Direkt zum Inhalt
Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 17.10.2024

Finanz und Wirtschaft

Südafrika auf der Suche nach einem Neubeginn

Nach den Wahlen vor vier Monaten ist die neue Einheitsregierung unerwartet gut gestartet. Die Stimmung im Land dreht, Börsen und Währung steigen. Doch der harte Teil hat grade erst begonnen.

Wolfgang Drechsler, Kapstadt

Seit den Wahlen Ende Mai spekuliert Südafrika darüber, wie lange seine neue Regierung der Nationalen Einheit wohl halten mag. Dreissig Jahre nach dem Ende der Apartheid verlor der Afrikanische Nationalkongress (ANC) damals zum ersten Mal seit 1994 seine absolute Mehrheit – und stürzte derart spektakulär von 57 auf 41% ab, dass die frühere Widerstandsbewegung zur Bildung einer Koalitionsregierung gezwungen war.

Statt jedoch, wie vielerorts befürchtet, mit linksradikalen Kräften zu paktieren, koalierte der ANC mit der weltanschaulich ganz anders gepolten marktwirtschaftlich-liberalen Demokratischen Allianz (DA). Was nicht zuletzt daran lag, dass die Linkspopulisten ihr Blatt mit Maximalforderungen frühzeitig überreizten. Zudem fürchten Staatschef Cyril Ramaphosa und der gemässigte Flügel des ANC, dass ein Bündnis mit den Linksradikalen und deren Verstaatlichungs- und Umverteilungsforderungen Südafrika binnen kurzer Zeit zu einem zweiten Venezuela oder Simbabwe machen würde.

Rally an der Börse

Für Südafrikas junge Demokratie kommt das Arrangement zwischen den politischen Erzfeinden ANC und DA einem politischen Erdbeben gleich. Mit Folgen: Fast genau hundert Tage nach ihrem Amtsantritt Anfang Juni ist die Stimmung im Land umgeschlagen. Selbst die gebeutelte Wirtschaft hat erstes Zutrauen in die neue Regierung gefasst. Sichtbar ist dies an der Landeswährung Rand, die traditionell ein besonders guter Gradmesser für den Zustand Südafrikas ist – und sich zuletzt um fast 10% aufgewertet hat. Ebenso erstaunlich ist die bemerkenswerte Erholung der Johannesburger Börse (JSE), deren Gesamtindex ebenfalls um rund 10% zulegen konnte und alle Sektoren umfasste. Auch sind die Anleiherenditen gefallen, was Südafrika die Tilgung seiner Schulden erleichtert.

Dass die Aktivität innerhalb der Wirtschaft dennoch gedämpft ist, deutet jedoch darauf hin, dass sich an der Basis selbst (noch) wenig verändert hat. Zu gross ist hier die Skepsis nach den vielen Enttäuschungen der letzten Jahre, darunter die Plünderung des Staates durch den inzwischen aus dem ANC ausgetretenen Ex-Präsidenten Jacob Zuma und dessen systematische Zerstörung staatlicher Institutionen und Unternehmen. Umfragen in der Geschäftswelt zeigen einen immerhin leichten Stimmungsumschwung im dritten Quartal, der ausweist, dass viele CEO zumindest den langen Abwärtstrend für gebrochen halten.

Verantwortlich dafür sind nicht zuletzt bemerkenswerte Fortschritte im Innenministerium, wo der neue DA-Minister Leon Schreiber den Augiasstall binnen nur drei Monaten weitgehend ausgemistet und den Stau an Visaanträgen um fast zwei Drittel reduziert hat. Daneben plant Schreiber ein vereinfachtes System für ausländische Facharbeiter, was für die vielen Unternehmen, die am Kap verzweifelt nach qualifiziertem Personal suchen, ein Segen wäre.

«Niemand kann derzeit sagen, wer Staatschef Ramaphosa vor den nächsten Wahlen ersetzen wird.»

Mehr als alles andere sorgt das neue politische Konstrukt aber auch für einen gewissen Schutz der Wirtschaft vor plötzlichen Kurzschlussreaktionen des ANC. Momentan verhalte sich die frühere Widerstandsbewegung für einmal etwas berechenbarer als sonst, diagnostiziert der angesehene Kommentator RW Johnson, ein prominenter früherer Politikwissenschaftler. Allerdings könne die Partei jederzeit wieder in jene alten Muster zurückfallen, die dem Land über die letzten 15 Jahre immensen Schaden zugefügt hätten.

Ein Anzeichen dafür ist das selbstherrliche Auftreten des ANC im Wirtschaftszentrum Gauteng, wo seine Führungsriege entgegen den getroffenen Absprachen nicht mit der DA kooperiert, sondern deren weithin beliebten Bürgermeister Cilliers Brink in der Landeshauptstadt Pretoria zu Fall brachte – ein Indiz für das anhaltend starke Ressentiment weiter Kreise im ANC gegenüber der Einheitsregierung. Niemand kann derzeit zudem sagen, wer Staatschef Ramaphosa vor den nächsten Wahlen ersetzen wird. Sein Vize Paul Mashatile gilt als Befürworter einer engeren Kooperation mit den Linksradikalen und verkörpert damit eine Strömung im ANC, die sich partout nicht mit einer Machtteilung abfinden will.

Daneben will Ramaphosa bis zum Jahresende ein höchst umstrittenes Gesetz verabschieden, das Schulen die Zuständigkeit darüber verwehren würde, wie viele Schüler sie aufnehmen und vor allem in welcher Sprache sie diese unterrichten wollen. Vertreter der afrikaanssprachigen Minderheit, die einen Gutteil der DA-Wähler ausmachen, werten dies zu Recht als einen Angriff auf ihre Kultur und Identität. Sollte der ANC auf dem Gesetz in seiner gegenwärtigen Form beharren, könnte die Regierung daran zerbrechen. Schliesslich haben die Liberalen ihren Anhängern vor den Wahlen versprochen, die schlimmsten Auswüchse des ANC zu stoppen. Neben dem Schulgesetz gehört dazu auch der Versuch des ANC, das komplett marode staatliche Gesundheitswesen mit dem effizienten privaten System zu fusionieren und dann in (inkompetente) staatliche Hände zu legen, was viele Ärzte zur Auswanderung veranlassen dürfte.

Nachhaltig geschwächt

Auch sind Südafrikas Probleme inzwischen derart tief verankert, dass es nun einer Rosskur bedarf. Um zum Beispiel endlich wieder Wachstumsraten von mehr als einem Prozentpunkt zu erzielen, müsste die Einheitsregierung ihren Aktionismus schnell durch einen weitreichenden Reformplan ersetzen. Als Erstes müssten dafür die grössten Wachstumshindernisse mutig angegangen werden, etwa die gesellschaftlich tief verwurzelte Korruption, die demoralisierend hohe Kriminalität, aber auch die bis vor Kurzem noch extrem unzuverlässige Stromversorgung. Das fast besessene Streben des ANC nach einem Rassenproporz hat alle wichtigen Institutionen und die Wirtschaft nachhaltig geschwächt. Immer öfter zählt am Kap nicht die Befähigung des Einzelnen, sondern allein die (schwarze) Hautfarbe.

Trotz dieser Defizite ist unzweifelhaft, dass die neue politische Konstellation Südafrika eine (eher unerwartete) zweite und wohl auch letzte Chance gegeben hat, vielleicht doch noch zu jenem Vorbild für Afrika zu werden, das der Kontinent so dringend bräuchte. Sollte es der neuen Regierung trotz des ihr im Ausland und daheim entgegengebrachten Wohlwollens nicht gelingen, die neue Chance für mehr Wachstum und Jobs mit der notwendigen Dringlichkeit zu nutzen, dürfte die junge und mehrheitlich arbeitslose Bevölkerung am Kap immer empfänglicher für die wirtschaftsfeindlichen Parolen der Linksradikalen werden.