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For a different development policy!

Beitrag vom 03.11.2008

Bonner General-Anzeiger

Streit um die Entwicklungshilfe

"Stammtisch-Philosophie":
Die Pauschalverurteilung der bisherigen Afrika-Politik provoziert Widerspruch
Von Lutz Warkalla

BONN. Ist es die pure Lust an der Provokation? "Nein", sagt Kurt Gerhardt, "natürlich nicht." Aber aufrütteln will der ehemalige Kölner WDR-Journalist mit einem Herz für Afrika schon, wenn er
mit seinen Mitstreitern der Entwicklungshilfe in Afrika vorwirft, versagt zu haben. Der Bonner Aufruf, in dem er gemeinsam mit Rupert Neudeck, dem Gründer der Hilfsorganisationen Cap Anamur und Grünhelme, Winfried Pinger, dem ehemaligen entwicklungspolitischen Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion und anderen eine radikale Neuorientierung der Entwicklungshilfe fordert, hat jedenfalls eine Debatte ausgelöst. Von "undifferenzierter Stammtisch-Philosophie" spricht etwa
Claudia Warning, Vorstandsmitglied des Evangelischen Entwicklungsdienstes und Vorsitzende des Verbandes Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO). Und für Barbara Unmüßig, Vorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung, ist der Aufruf ein "Beispiel für Schlichtheit in der Argumentation".

Hauptursache für das Versagen der Entwicklungshilfe sei der Irrglauben, der Norden könne Afrika
entwickeln, heißt es in dem Aufruf. "Das glaubt doch heute keiner, der in der Entwicklungszusam-menarbeit tätig ist", sagt Claudia Warning dazu. Die Hauptkritik zivilgesellschaftlicher
Organisationen richtet sich aber ausgerechnet gegen die Forderung, die Zivilgesellschaft und
Nichtregierungsorganisationen (NRO) ins Zentrum von Entwicklungszusammenarbeit zu stellen:
NRO seien genauso anfällig für Misswirtschaft und Fehler wie Regierungsstellen, eine Garantie, das NRO bessere Arbeit leisten, gebe es nicht. Zudem, so Warning, "schätzt der Aufruf die Rolle der Zivilgesellschaft falsch ein: Sie will und muss mit dem Staat zusammenarbeiten, nicht an ihm
vorbei oder ihn ersetzen." Der Aufbau von Infrastruktur oder Gesundheitsdiensten sei nun mal
Aufgabe des Staates.

Kurt Gerhardt räumt ein, der Aufruf sei "etwas holzschnittartig" geraten; aber der Text sei bewusst knapp gehalten, um Wirkung zu erzielen. Tatsächlich scheint es den Unterzeichnern des Aufrufs - darunter mehrere Ex-Botschafter mit langjähriger Afrika-Erfahrung - vor allem um eine Definition von Entwicklungszusammenarbeit zu gehen, die ihre Funktion auf Armutsbekämpfung im engsten Sinn reduziert, auf Hilfe zur Selbsthilfe etwa durch Kleinkredit-Projekte, wie sie Pinger seit Jahren favorisiert.

Selbst der Politikwissenschaftler Franz Nuscheler, der dem Aufruf viel Sympathie entgegen bringt, glaubt, Armutsbekämpfung sei ohne Milliardenbeträge für gobale Strukturpolitik, etwa Aids-Bekämpfung, Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel oder Ernährungssicherung, nicht machbar. Für Gerhardt aber ist das keine Entwicklungshilfe. Entwicklungshilfe bedeute, Afrikas Entschlossenheit zur Eigenleistung zu stärken. "Zu befürchten ist das Gegenteil: dass, je mehr Geld nach Afrika fließt, desto mehr diese Entschlossenheit geschwächt wird; dass mithin als Entwicklungshilfe Deklariertes zum Entwicklungshindernis wird."

Dass Entwicklungszusammenarbeit einer ständigen Überprüfung bedarf, dass es Korruption
und Misswirtschaft gibt und dass zu viele afrikanische Politiker vor allem an das eigene Wohl denken, bestreitet allerdings niemand. Man darf gespannt sein, was der so genannten Memorandums-Gruppe zu diesem Thema einfällt: Wie schon im Vorfeld der letzten Bundestagswahlen arbeiten die Entwicklungsexperten derzeit an einem Positionspapier, das ihre Anforderungen an die künftige Entwicklungspolitik formuliert.
www.bonner-aufruf.eu