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For a different development policy!

Beitrag vom 06.11.2009

Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Dirk Niebel

Mikrofinanz vor neuen Herausforderungen

Berlin, 6. November 2009, 20:00 Uhr
Haus der Deutschen Wirtschaft
Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Professor Yunus,
liebe Frau Dött,
sehr geehrte Damen und Herren,
Ich möchte mich beim Bund der Katholischen Unternehmer und bei den Mitveranstaltern ganz herzlich für die Einladung bedanken. Heute ist mein erster öffentlicher Auftritt als Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Und ich freue mich aus zweierlei Gründen ganz besonders, hier bei Ihnen sprechen zu dürfen:
Zum einen, weil für mich die "Mikrofinanzierung" ein unverzichtbares Instrument erfolgreicher Entwicklungspolitik ist.
Zum anderen, weil ich die Ehre habe, den Vortrag des Friedensnobelpreisträgers Herrn Professor Muhammad Yunus einzuleiten. Dem Vater der Mikrokredite.
Die Grameen Bank hat schon Millionen Menschen durch Kredite zu einem besseren Leben verholfen. Menschen wie Sinina Adbena aus Ghana. Als ihr Mann sich scheiden ließ, stand die Kleinbäuerin und Mutter von sechs Kindern vor dem Nichts. Die Ernte reichte kaum, um die Familie zu ernähren. Sinina hatte die Idee, sich selbstständig zu machen. Doch woher sollte sie das Geld dafür nehmen? Gespart hatte sie nichts. Wer gibt einer Bäuerin schon einen Kredit? Da hörte sie im Dorf von Mikrokrediten.
Für Sinina Adbena hat es sich gelohnt: Die Neu-Unternehmerin nahm einen Kredit über 100 Dollar auf. Mit ihrem Startkapital baute sie an der Hauswand ihres kleinen Lehmhauses einen Laden. Nach nur 16 Wochen hatte sie ihren ersten Kredit zurückgezahlt. Heute besitzt Sinina Adbena ein neues Haus mit richtigem Laden und kann einen Teil ihres Gewinns für die Ausbildung der Kinder zur Seite legen. All das verdankt Sinina Adbena einem Mikrokredit-Programm.
Die Geschichte eines Erfolgs. Und ich bin stolz sagen zu können, dass die deutsche Entwicklungszusammenarbeit einen großen Beitrag zu dem weltweiten Siegeszug der Mikrokredite geleistet hat. Deutschland gehörte zu den ersten Geber-Regierungen, die in die Mikrofinanzierung eingestiegen sind. Bereits seit den 80er Jahren arbeiten wir mit Mikrofinanzinstitutionen zusammen. Heute unterstützen wir in 63 Ländern den Aufbau von Finanzsystemen - von Afghanistan bis zur Demokratischen Republik Kongo, von Aserbaidschan bis Indonesien. Mit knapp 130 Millionen Euro können wir uns im internationalen Vergleich sehen lassen. Die KfW Entwicklungsbank ist zudem der weltweit größte Investor in Mikrofinanzinstitutionen.
Bei der Mikrofinanz-Förderung kooperieren wir eng mit der deutschen Wirtschaft: Die Sparkassenstiftung für internationale Kooperation und der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisen-Verband (DGRV) leisten großartige Arbeit. Das Engagement von Sparkassen und Genossenschaftsbanken ist gelebte soziale Verantwortung von deutschen Unternehmen für globale Entwicklung!
Kernaufgabe der Entwicklungszusammenarbeit ist die Bekämpfung der Armut. Ziel ist, dass Menschen ihren eigenen Lebensunterhalt erwirtschaften können. Mit der Entwicklungszusammenarbeit tragen wir dazu bei, dass Menschen aus eigener Kraft wirtschaftlichen Wohlstand erlangen. Somit sind Mikrokredite ein urliberales Instrument der Hilfe zur Selbsthilfe. Weltweit gibt es rund 500 Millionen einkommensschwache Haushalte mit über 3 Milliarden Menschen, die keinen Zugang zu Finanzdienstleistungen wie Sparkonten, Krediten, Zahlungsverkehr oder Versicherungen haben. Der Großteil davon lebt in Entwicklungsländern. Für arme Menschen ist der Zugang zu Finanzdienstleistungen ein erster, wichtiger Schritt zur Sicherung ihrer Existenz und zur Überwindung von Armut. Mikrokredite stärken die Eigenverantwortung des Einzelnen und setzen Entwicklungspotenziale frei. Kredite, aber auch der Zugang zu einem sicheren Sparbuch oder zu Versicherungen gegen Krankheit oder Ernteausfall geben Sicherheit und Selbstvertrauen.
Sie, Herr Professor Yunus, haben es auf den Punkt gebracht, als Sie sagten: "Ein Mikrokredit bedeutet nichts anderes, als jedem Menschen dabei zu helfen, seine Fähigkeiten zu entwickeln und zu verwirklichen."
Mikrokredite sind ein Instrument, bei dem man mit relativ geringem finanziellem Einsatz große Wirkungen erzielt. Wie wichtig der Zugang zu Finanzdienstleistungen ist, wird auch deutlich, wenn wir in unser eigenes Land schauen. Vielerorts wird über eine "Kreditklemme" gesprochen. Es gibt Anzeichen, dass die großen Banken in unserem Land immer restriktiver Kredite vergeben - das ist eine Katastrophe für den Mittelstand. Der Mittelstand ist aber das Rückgrat der Wirtschaft: Das stimmt in Deutschland genauso wie in Entwicklungsländern.
Zugang zu Krediten ist also hier wie dort die Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum aus der Mitte der Gesellschaft heraus. Es ist die Voraussetzung für selbständige, mündige Bürger, die sich in Freiheit entfalten können. Oder in den Worten Friedrich Naumanns: "Wir wissen inzwischen, dass nur der frei sein kann, der weiß, wovon er die nächsten vier Wochen lebt."
Für uns ist der Aufbau nachhaltig wirtschaftender Finanzinstitutionen wichtig. Das bedeutet, dass wir keine Subventionsruinen schaffen wollen. Uns geht es darum, Mikrofinanzinstitutionen aufzubauen, die mit den eigenen Kundinnen und Kunden genügend Einnahmen erzielen und nicht auf "Gaben" von uns angewiesen sind. Dass dieses Anliegen mittlerweile als internationale "best practice" gilt, ist sicher auch ein Verdienst von Professor Yunus. Er hat mit der Grameen Bank vorgemacht, dass man auch mit ganz armen Menschen nachhaltige Bankgeschäfte tätigen kann.
Meine Damen und Herren,
Mikrokredite haben sich als wirksames und kostengünstiges Mittel zur Armutsbekämpfung bewährt. Doch auch die erfolgreichste Geschäftsidee muss sich an neue Gegebenheiten anpassen - wie die Auswirkungen der Wirtschaftskrise und des Klimawandels. Und sie muss neue Geschäftsfelder erschließen, um langfristig bestehen zu können. Aus meiner Sicht steht die Mikrofinanzierung aktuell vor drei großen Herausforderungen.
Erstens: Die bessere Versorgung kleiner und mittlerer Unternehmen mit Kapital.
Zweitens: Die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise auf die Mikrofinanzierung.
Und drittens: Die Entwicklung angepasster Finanzierungsprodukte für den ländlichen Raum.
Viele von uns denken bei Mikrokrediten an die Näherin, die sich eine eigene Nähmaschine leisten kann; den Bäcker, der einen neuen Ofen kauft; oder die Gemüseverkäuferin, die beim Großhändler eine größere Menge zum günstigeren Preis einkaufen kann. Das ist sicherlich die klassische Kundengruppe von Mikrokrediten. Diese Menschen werden auch weiter im Fokus bleiben.
Aber: Die Finanzierung von Wirtschaft, Produktivität und Jobs braucht mehr! Auch kleine und mittlere Unternehmen, die Beschäftigte anstellen, brauchen Finanzierung. Doch gerade viele kleine und mittlere Unternehmen in Entwicklungsländern haben keinen Zugang zu Krediten. Sie fallen genau in die Lücke, die zwischen Mikrokrediten und regulären Bankenkrediten klafft. Für diese Unternehmen besteht eine Art "permanente Kreditklemme". Dieses Problem nennen wir "Missing Middle". Es stellt eine der großen Herausforderungen der Finanzsystementwicklung dar. Wir müssen Wege finden, künftig auch Finanzierungsmöglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen in Entwicklungsländern bereitzustellen.
Ich weiß, dass vielen von Ihnen hier im Raum dieses Problem besonders am Herzen liegt. Ich möchte Sie bestärken, hieran gemeinsam mit uns weiterzuarbeiten! Die Bundesregierung wird dieses Thema auch in internationalen Zirkeln vorantreiben. Auf dem G20-Gipfel von Pittsburg haben die Staatschefs die Gründung einer "Arbeitsgruppe für finanzielle Inklusion" ("Financial Inclusion Expert Group") gegründet.
Mikrofinanzinstitutionen sind durch die Wirtschafts- und Finanzkrise stärker betroffen als viele bisher angenommen haben. Die Verschlechterung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen führt zu Kreditausfällen und zu überschuldeten Kreditnehmern. Mikrobanken sind von der Insolvenz bedroht. Hier ist die Entwicklungszusammenarbeit gefragt. Gemeinsam mit anderen Partnern hat das BMZ im Februar dieses Jahres deshalb einen Fonds gegründet. Dort, wo krisenbedingt Liquiditätsengpässe entstanden sind, unterstützt der Fonds bei der Überbrückung. Diese Art der Absicherung der Mikrofinanz-Institutionen ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Meine Damen und Herren,
Ich habe schon in den ersten Tagen meiner Amtszeit deutlich gemacht, dass die Überwindung des weltweiten Hungers für mich eine vorrangige Aufgabe der Entwicklungspolitik ist. Mit Blick auf die Mikrofinanzierung stelle ich fest: Die meisten Menschen, die wir erreichen, leben in Städten. Dort werden große Erfolge erzielt. Für den ländlichen Raum gilt das leider nur bedingt. Dabei leben 80 Prozent der Armen und ungefähr drei Viertel der Hungernden in der Welt auf dem Land. Die Weltbank betont im Weltentwicklungsbericht 2008: Investitionen in die kleinbäuerliche Landwirtschaft sind der Schlüssel zur Lösung der Entwicklungsprobleme. Darum müssen wir noch intensiver als bisher nach Lösungen für den ländlichen Raum suchen. Kleinbäuerinnen und Kleinbauern fahren ihre Erträge erst beträchtliche Zeit nach der Aussaat ein und können erst dann ihren Kredit zurückzahlen. Finanzierungsprodukte für diese speziellen Bedürfnisse liegen vielfach noch nicht vor. Hinzu kommt, dass ihr Einkommen stark dem Risiko von Dürren, Überschwemmungen und Missernten ausgesetzt ist. Bäuerinnen und Bauern laufen täglich Gefahr, das Wenige, was sie haben, auch noch zu verlieren.
Wir können dazu beitragen, diese Unsicherheit abzubauen, indem wir für kleine landwirtschaftliche Unternehmen neben Krediten auch entsprechende Versicherungen anbieten. Ich möchte, dass in Zukunft noch mehr Menschen Zugang zu Finanzdienstleistungen haben und somit die Chance, sich aus eigener Kraft zu entwickeln. Denn nur, wenn das Potenzial der Milliarden Armen als wirtschaftlicher Faktor gefördert wird, kann nachhaltige Entwicklung gelingen.
Meine Damen und Herren,
Sie sehen: Es gibt - weiterhin - viel zu tun. Das gilt gerade auch mit Blick auf Afrika, das als ärmste Region der Welt noch stärker ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit rücken muss. Aus Sicht des afrikanischen Mobilfunkunternehmers Dr. Mohamed Ibrahim hängt hierfür Entscheidendes von der Wirtschaft ab. Er sagt:
"Hilfe ist wunderbar. Wohltätigkeit großartig - aber sie wirken nur wie Aspirin. Aspirin wird Afrika nicht entwickeln, sondern bestenfalls die Schmerzen lindern. Was wir brauchen, ist mehr Business in Afrika."
In diesem Sinne freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen. Auf dass wir die Herausforderungen gemeinsam angehen!