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Beitrag vom 29.10.2011

Südkurier

In Afrika misst man nach Saat und Ernte

Wolfgang Drechsler, Kapstadt

Jedes Klischee hat einen Funken Wahrheit. Das gilt auch für Afrika, jenen Kontinent, der für gehetzte Europäer eine Attraktivität erlangt hat.

Ganz neu ist das nicht: Schon das frühe Bürgertum projizierte seine Wünsche und Sehnsüchte gern auf die auswärtige Welt - und verklärte den Überseebewohner mit seiner vermeintlichen Zeit zur Muße rasch zum "Edlen Wilden".

Auf der Suche nach einer Wachstumsnische könnte Afrika womöglich bald in einem Bereich punkten, der bislang als Wettbewerbsnachteil gilt: die "Verweigerung, in die Moderne zu springen", wie die Kamerunerin Axelle Kabou in einer Streitschrift schrieb. Natürlich kann man kulturelle Merkmale wie etwa das unterschiedliche Zeitempfinden schwer verallgemeinern. Dennoch tickt der größte Teil des Kontinents Afrika nach ehernen Gesetzen: Nicht Stunden oder Minuten gliedern das Zeitempfinden, sondern natürliche Zyklen und alte Regeln: Regen- und Trockenzeiten, Aussaat und Ernte, Geburt, Heirat oder Tod. Es gibt keinen Geschäftsmann, der auf Dienstreise im traditionellen Afrika nicht einmal tagelang auf einen Termin warten musste. Nicht ohne Grund wird der Aphorismus bemüht, dass der Westen die Uhr habe - Afrika aber die Zeit. Das ist nicht unproblematisch, wie der kenianische Politikprofessor Ali Mazrui in einem Essay schreibt: "Es wäre schön, wenn wir Afrikaner die klotzige Rollex nicht nur ums Handgelenk trügen, sondern gelegentlich auch einmal draufschauen würden."

Angesichts der oft tiefen Armut in Afrika sind viele Europäer regelmäßig überrascht, wie viel Lebensfreude die Menschen dort ausstrahlen - und wie viel intensiver die soziale Interaktion verläuft, zumindest auf der Oberfläche. Vermutlich erklärt sich dies damit, dass Afrikaner viel stärker als die meisten Europäer in der Gegenwart leben und deshalb trotz der wirtschaftlichen Misere ihres Kontinents bei Umfragen stets zu den weltweit größten Optimisten zählen. Bei ihrer Umfrage ist die Forschungsgruppe Gallup immer wieder zu dem verblüffenden Ergebnis gekommen, dass Afrikaner bei der Frage, ob das neue Jahr besser als das alte wird, weltweit ganz vorne rangieren.

"Was die Menschen in Afrika durchhalten lässt, ist allein die Hoffnung auf eine unbekannte, bessere Zukunft" sagt der Nigerianer Kayode Fayemi. Jeder Sonnenauf- und -untergang sei in Afrika ein kleiner Triumph der Hoffnung über den Alltag.