Beitrag vom 11.10.2012
Finanz und Wirtschaft
Südafrika steht am Rand eines Wirtschaftskriegs
Wolfgang Drechsler, Kapstadt
"Wenn sich die Gemüter jetzt nicht schnell beruhigen, wird Südafrika auf Jahre in eine Abwärtsspirale geraten.â€
Noch sind die Regale in den Supermärkten gefüllt. Und noch gibt es Benzin an den Zapfsäulen und Geld in den Bankautomaten. Doch mit Âjedem Tag gerät die südafrikanische Wirtschaft mehr ins Trudeln. Beobachter warnen, bald würden die Auswirkungen der vielen illegalen Streiks, wie desjenigen der 20 000 Lastwagenfahrer, auch im öffentlichen Leben des Landes spürbar sein. «Wenn sich die Gemüter jetzt nicht schnell beruhigen, wird Südafrika auf Jahre in eine Abwärtsspirale geraten», mahnt der renommierte Ökonom Chris Hart mit Blick auf die jüngste Herunterstufung des Landes. Vergangene Woche hat die Ratingagentur Moody's dem Investitionsstandort am Kap ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt und die Handlungsfähigkeit der Regierung offen hinterfragt.
Was Anfang August als kleiner Streik auf einer Platinmine bei Johannesburg begann, hat eine Kettenreaktion ausgelöst und in den vergangenen beiden Monaten zur schwersten Krise des Landes seit dem Ende der Apartheid vor fast zwanzig Jahren geführt. Mehr als 80 000 Bergleute befinden sich mittlerweile im Ausstand und verlangen massive Lohnerhöhungen von bis zu 22% - bei einer Inflationsrate von 5%. Dies würde die Wettbewerbsfähigkeit des Landes weiter untergraben und viele der bereits angeschlagenen Platin-, Gold- und Kohleförderer unprofitabel machen.
Innere Sicherheit in Gefahr
Angesichts der gewaltsamen Eskalation vieler Proteste und des Übergreifens der Streiks auf immer mehr Branchen warnen Sicherheitsexperten wie Michael Hough vom Institute for Strategic Studies in Pretoria vor Gefahren für die innere Sicherheit. Hough sieht Südafrika «am Rand eines Wirtschaftskriegs»; das grösste Problem liege darin, «dass die unrealistischen Lohnforderungen mit politischen Fragen verknüpft werden, was eine Lösung stark erschwert». Wenig hilfreich ist zudem, dass das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vergiftet ist und niemand dem anderen traut. Statt sich als Partner zu sehen, werden am Kap (oft rassisch gefärbte) Feindbilder gepflegt.
Als Auslöser der Streikwelle gelten allgemein die astronomischen Lohnerhöhungen von über 20%, die der Platinförderer Lonmin seinen (illegal streikenden) Arbeitern Mitte September unter Druck gewährt hatte. Die Botschaft war eindeutig: Illegale Streiks und Gewalt zahlen sich aus. Mitte August waren in Lonmins Platinbergwerk Marikana 34 streikende Bergleute von der Polizei erschossen worden Bereits zuvor hatte es auf der Mine zehn Tote gegeben, darunter Polizisten, Wachleute und einige arbeitswillige Kumpel.
Wie befürchtet wurden die vom Konzern notgedrungen zugestandenen ErÂhöhungen rasch zur Messlatte für viele andere Sparten der Minenbranche, etwa beim weltweit drittgrössten Goldproduzenten AngloGold. Dabei waren die Tarifabschlüsse dort längst bis zum nächsten Jahr festgeschrieben. Nun soll nach den Vorstellungen der Streikenden alles ganz neu verhandelt werden. «Wir haben nicht mehr viel Zeit, um eine Lösung zu finden, sonst werden sehr viele Menschen ihre Arbeit verlieren», warnt AngloGold-Chef Mark Cutifani. Die Zukunft der Industrie stehe auf «des Messers Schneide». Wenn die Gewerkschaften weiterhin derart rücksichtslos agierten, müssten einzelne Bergwerke bald geschlossen werden.
AngloGold wie auch der weltweit grösste Platinförderer Anglo Platinum haben weitere Zugeständnisse deshalb abgelehnt. Am Freitag hat Angloplat 12 000 streikende Mitarbeiter entlassen, nachdem sie eine gerichtlich angeordnete Rückkehr zur Arbeit zum wiederholten Male ignoriert hatten. Die Antwort der Arbeiter folgte: Neue Leute würde das Unternehmen nur über ihre Leichen anstellen können, hiess es aus Kreisen der Streikenden, die zur Warnung gleich einmal ein Ausbildungszentrum des Unternehmens abfackelten. «Es gibt einen Zeitpunkt, an dem man einfach hart vorgehen muss», sagt Angloplat-Chef Chris Griffith. «Dieser Zeitpunkt ist nun gekommen.»
Dass es längst um mehr als nur um Geld geht, zeigt der Streik bei Afrikas grösstem Eisenerzproduzenten Kumba, der vergangene Woche nach Protestaktionen eine Mine am Südrand der Kalahariwüste schliessen musste. Dabei hatten die 6200 Kumpel des Konzerns letztes Jahr im Rahmen einer extrem grosszügig bemessenen Gewinnbeteiligung jeder umgerechnet bis zu 60 000 Fr. (!) extra bekommen. Für dieses Jahr war eine Lohnerhöhung von 8,8% ausgehandelt worden. Nun wollen die Kumpel noch mehr. «Es geht zumindest versteckt längst um politische Fragen - oder einfach nur um puren Opportunismus», sagt Des Kilalea von RBC Capital Markets in London «Wir haben jedenfalls das Gefühl, dass die Arbeitsbeziehungen in Südafrika völlig zerrüttet sind.»
Die Regierung, die bislang nur zuschaute oder die Lage verbal herunterspielte, macht nun plötzlich die Minenkonzerne durch die von ihnen gewährten Lohnerhöhungen für die Eskalation der Streiks verantwortlich. So kritisierte Bergbauministerin Susan Shabangu ausdrücklich, dass Impala Platinum, Südafrikas zweitgrösster Platinförderer, die Gehälter der Arbeiter nach einem wilden Streik im Februar noch zweimal erhöht und dadurch anderswo ebenso hohe Erwartungen geschürt habe. Wie hoch die Forderungen sind, wird daran deutlich, dass der Durchschnittslohn schwarzer Südafrikaner bei der letzten Erhebung im Jahr 2010 bei umgerechnet 3000 Fr. im Jahr lag. Nun fordern die Arbeiter auf den Minen gut 1300 Fr. Mindestlohn - pro Monat.
Regierung hat versagt
Das Blutbad auf der Mine und das beispiellose Ausmass der Streikwelle haben die Kritik am regierenden ANC lauter werden lassen, zumal die Partei sich seit Jahren in internen Machtkämpfen zermürbt. Seit der Machtübernahme der früheren Widerstandsbewegung 1994 hat die soziale Kluft in der Gesellschaft, vor allem unter den Schwarzen selbst, stark zugenommen Zwar beklagt Präsident Jacob Zuma, die Wirtschaft befinde sich noch immer in weissen Händen, doch wächst im Land das Gefühl, dass vor allem eine kleine schwarze Elite von der Befreiung profitiert hat, aber nun wenig unternimmt, um das Los der breiten Masse zu verbessern.
Für die Lebensbedingungen der Arbeiter und ihrer Familien fühlt sich die Regierung jedenfalls nicht verantwortlich. Stattdessen appelliert Zuma regelmässig an die Minenbetreiber, den Umbau der Unterkünfte zu forcieren. Von Anstrengungen seiner Regierung spricht er hingegen so gut wie nie. Die Unternehmen machen geltend, dass sie neben Löhnen und Gehältern auch noch hohe Steuern an den Staat zahlen - Geld, das die Regierung nutzen könnte, um das Leben der ärmeren Südafrikaner zu verbessern. Doch davon ist bislang wenig zu sehen.