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Beitrag vom 18.11.2012

WELT-SICHTEN

Bundestag kürzt Entwicklungshilfe

Mit der Kürzung um 124 Millionen Euro fällt der Haushalt 2013 erstmals seit 2005 niedriger aus als im Vorjahr. Entwicklungsminister Dirk Niebel, sagen Beobachter, sei erbost und äußerst verärgert gewesen, als Ende vergangener Woche der Beschluss fiel. Das Ministerium verfügt fürs kommende Jahr damit noch über knapp 6,3 Milliarden Euro, projektiert waren gut 6,4 Milliarden. Damit habe sich die schwarz-gelbe Regierung endgültig vom versprochenen Ziel verabschiedet, bis 2015 die deutsche Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts (ODA-Quote) zu steigern, klagen Oppositionspolitiker und Hilfsorganisationen - von der Welthungerhilfe und terre des hommes über World Vision bis zur Lobbyorganisation ONE. Sie rechnen seit Jahren vor, dass der Etat nahezu verdoppelt werden müsse, wenn dieses international vereinbarte Ziel erreicht werden solle.

Noch im Herbst hatte Minister Niebel mit einem Rekordhaushalt geprahlt

Auch der Minister sprach von einem "herben Rückschlag". Noch bei den ersten Haushaltsberatungen des Bundestagsplenums im September hatte er stolz erklärt, er habe erneut einen "Rekordhaushalt" auf den Weg gebracht. Geplant war gegenüber dem Vorjahr ein Aufwuchs um 37 Millionen Euro. Sollte es in den abschließenden Beratungen im Bundestag bei den Kürzungen bleiben, so Niebel, könne Deutschland "dem selbst gesteckten Anspruch nicht mehr gerecht werden".

Entwicklungspolitiker der Opposition gehen derweil Hinweisen nach, dass bei den Haushaltsberatungen hinter den Kulissen manches anders lief als geplant. Nach ihren Kenntnissen war seit längerem klar, dass der Europäische Entwicklungsfonds EEF für 2013 eine so genannte Minderbedarfsmeldung an das BMZ geschickt habe: Man brauche aus Berlin 144 Millionen Euro weniger als geplant, hatte es aus Brüssel geheißen. Das BMZ habe frühzeitig geplant, dieses frei werdende Geld in bilaterale Projekte umzuschichten. Doch nach dem Kürzungsbeschluss der Haushälter bleiben davon gerade noch 20 Millionen Euro übrig. Das BMZ wollte sich zu den Abläufen nicht äußern; man sei dabei, alles zu analysieren.

Die Vorsitzende des Entwicklungsausschusses kann die Kürzung "nicht verstehen"

Damit bleibt undurchsichtig, ob es eine Absprache gab zwischen der BMZ-Leitung und den Haushältern, dass das Ministerium das Geld für den EEF für andere Zwecke verwenden kann. Äußerungen der Vorsitzenden des Entwicklungsausschusses im Bundestag (AWZ), Dagmar Wöhrl (CDU/CSU), nähren aber diese Vermutung. "Ich kann die Kürzung des Entwicklungsetats nicht verstehen", schreibt sie in einer Stellungnahme. Dies sei "weder mit uns Fachpolitikern abgesprochen, noch im AWZ so abgestimmt worden".

"Spiegel online" meldete unter Berufung auf Koalitionskreise, die "treibende Kraft" hinter den Kürzungen sei FDP-Haushälter Jürgen Koppelin gewesen. Koppelin sei verärgert, weil er sich von Parteifreund Niebel "nicht genug gefördert" sehe - in welcher Weise auch immer. In der "Frankfurter Rundschau" heißt es indessen, Wolfgang Kubicki, FDP-Fraktionschef in Schleswig-Holstein und enger Vertrauter von Koppelin, habe seine Finger im Spiel gehabt. Kubicki habe Niebel einen Dämpfer verpassen wollen, weil der Entwicklungsminister als Gegner von Christian Lindner gelte, des FDP-Fraktionschefs in Nordrhein-Westfalen. Diesen wiederum sähe Kubicki gern als nächsten Bundesvorsitzenden der Liberalen.

Hilfsorganisationen hoffen derweil darauf, dass sich das Blatt bei den abschließenden Beratungen im Bundestag noch wenden lässt. Danuta Sacher von terre des hommes: "Wir werden mit den Parlamentariern in den kommenden Wochen intensive Gespräche führen."

Johannes Schradi