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Beitrag vom 01.12.2012

Handelsblatt

Welt-Aids-Tag

Die Krankheit des schwarzen Kontinents

von Wolfgang Drechsler

Afrika bleibt der Kontinent, der von Aids am stärksten betroffen ist. Besonders explosiv ist die Lage in Mosambik - doch ausgerechnet hier zeigt ein Beispiel, wie Aids effektiv bekämpft werden kann.

Kapstadt. Wer nach einem günstigen Nährboden für die Ausbreitung der Aids-Epidemie sucht, wird in Mosambik schnell fündig: Ein langer Bürgerkrieg hat hier viele Familien zerrissen, Tausende Frauen in die Prostitution getrieben und Millionen entwurzelt. Die Rückkehr des Friedens vor 20 Jahren spülte zusätzlich Händler, Trucker und Flüchtlinge aus Teilen von Afrika ins Land, wo Aids bereits viel länger grassiert. Neue Studien zeigen zudem, dass mosambikanische Teenager früh Sex haben und dabei oft mit mehreren Partnern zur gleichen Zeit. Junge Frauen sind häufig mit weit älteren Männern liiert. Und nur zwei von zehn Mosambikanern wussten, wie Aids genau übertragen wird.

Ein explosives Gemisch, bei dem es nicht überraschen kann, dass die Zahl der Aids-Kranken in den letzten Jahren massiv gestiegen ist. Dennoch gibt ausgerechnet die frühere portugiesische Kolonie Anlass zu der Hoffnung, dass die Aids-Epidemie in Afrika womöglich doch gestoppt werden kann.

Rogerio Alface gehört jedenfalls zu den Vorkämpfern in einem Projekt, das seit zwei Jahren versucht, einen bedenklichen Trend in sein Gegenteil zu verkehren: die immer größere Zahl von Patienten in Afrika, die ihre lebensrettenden Anti-Aids-Präparate nicht rechtzeitig erhält - und damit eine langfristige Besserung verhindert.

Wie einfach Lösungen sein können, zeigt ein Beispiel aus der mosambikanischen Zentralprovinz Tete. Den dort tätigen Medizinern der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" wurde vor zwei Jahren jedenfalls schnell klar, dass eine Kehrtwende hier nur gelingen könnte, wenn auch die Patienten mehr Verantwortung für ihre Krankheit übernehmen würden. Den Ärzten kam dabei die Idee, Gruppen von jeweils sechs Aids-kranken Patienten zusammenzustellen. Statt ihre Tabletten jedes Mal einzeln abzuholen, sollten sich die Gruppenmitglieder fortan abwechselnd auf den oft mühseligen Marsch in die nächstgelegene Klinik machen. Ein attraktiver Nebeneffekt war, dass sich die Zahl der Klinikbesuche für die Teilnehmer der Sechsergruppe schlagartig von zwölf auf nur noch zwei pro Jahr verringerte.

Bei einer späteren Auswertung des Projekts wurde sein großer Erfolg schnell deutlich: Während die Gruppen mit sechs Patienten praktisch kein einziges Mal die Abholung ihrer Aids-Medikamente versäumte und deshalb auch nur zwei Prozent verstarben, waren es bei den auf sich selbst gestellten Aids-Kranken rund 20 Prozent. Entsprechend viel höher lag auch die Todesrate.

Das Ergebnis der Studie im "Journal of Acquired Immune Deficiency Syndromes" ist eine Offenbarung. Daneben senkte das Bilden von Sechsergruppen die Arbeitslast der Ärzte, die in dem armen Land extrem dünn gesät sind, was wiederum die Kosten der Behandlung reduzierte. Mosambik hat bis heute nur 2,7 Ärzte pro 100.000 Menschen. (In den USA sind es etwa 100 Mal so viel) Und es gibt einen weiteren Nutzen: Wenn Patienten in kleineren Gruppen organisiert sind, fühlen sie sich auch nicht länger mit ihrer Krankheit allein gelassen, wie dies gerade in Afrika wegen der Stigmatisierung von Aids oft der Fall ist.

Schwieriger gestaltet sich die Lage ausgerechnet im weiter entwickelten Südafrika. Hier werben seit Jahren vor allem bekannte Stars und Sternchen für eine stärkere Bewusstseinswerdung. Doch was passiert eigentlich, wenn die vermeintlichen Vorbilder plötzlich ihre Meinung ändern - und Dinge behaupten, die direkt mit den herkömmlichen Behandlungsmethoden in Konflikt stehen? Ein Musterbeispiel dafür, was alles schiefgehen kann, lieferte zuletzt die Schauspielerin Lesego Motsepe, die sich am Welt-Aids-Tag vor einem Jahr als HIV-positiv outete und in einer Radioshow erzählte, dass sie bereits seit 13 Jahren mit Aids lebe. Doch erst als sie im Oktober 2010 kurz vor dem Tod gestanden und kaum noch Widerstandskräfte gehabt habe, sei sie auf Anti-Aids-Medikamente umgestiegen - mit großem Erfolg.

Eigene Rezepte gegen das Virus

Kaum sechs Wochen später wollte sie jedoch von alledem nichts mehr wissen. In einem weiteren Interview ließ Motsepe ihre Fans nun wissen, fortan keinerlei Anti-Aids-Medikamente mehr zu schlucken. Gegen den ausdrücklichen Rat ihrer Ärzte habe sie sich "von dem Teufelszeug gelöst", weil sie nicht bis zum Ende ihres Lebens Tag für Tag Tabletten nehmen wolle. Statt dessen riet sie jungen Menschen nun plötzlich zur einer "holistischen Einstellung" und empfahl ihre eigene Rezepte gegen das Virus: viel Yoga und Meditation, vor allem aber viel Knoblauch und Rote Beete - genau wie Südafrikas frühere Gesundheitsministerin und Aids-Leugnerin Manto Tshabala-Msimang es den Menschen am Kap einst verordnet hatte - mit verheerenden Folgen. Auch auf Nachfragen blieb Motsepe hart: Sie allein werde entscheiden, unter welchen Bedingungen das Virus in ihrem Körper lebe. Harter Tobak in einem Land, in dem mehr Menschen als irgendwo anders mit dem Virus infiziert und Millionen bereits an Aids verstorben sind, weil sie keinen Zugang zu den lebensrettenden Präparaten hatten.

Die Folgen der Kehrtwende für Südafrika können schwer überschätzt werden. "Viele schwarze Jugendliche hängen förmlich an den Lippen von Stars, zumal ihnen daheim oft die eigenen Vorbilder fehlen" sagt Karin Chubb, die in einem Kapstädter Township ein Kinderprojekt leitet. Dabei bräuchten die meisten Teenager, insbesondere die Jungen, dringend eine starke Vaterfigur. Weil es diese oft nicht gibt, orientieren sich viele vor allem oft an Rappern, die ihre Maskulinität nicht selten durch die Zahl der Frauen definieren, mit denen sie schlafen.

Wie ernst die Lage am Kap ist, zeigt der jüngste Jahresbericht des renommierten Institutes of Race Relations in Johannesburg. Allein zwischen 1996 und 2010 stieg demnach die Zahl der Kinder, die daheim ohne Vater aufwachsen, um rund 14 Prozent. "Fast die Hälfe der Kinder am Kap hatte Väter, die nicht mehr bei ihrer Familie leben" heißt es in dem Bericht. Noch ernüchternder: Nur bei wenig mehr als einen Drittel aller schwarzen Kinder war der Vater zugegen. Dabei ist inzwischen weithin bekannt, dass Jungen ohne Väter zu einem oft überzogenen Macho-Verhalten neigen, während Mädchen ohne Vaterfigur häufig weniger Selbstachtung haben - und deshalb vermehrt herumschlafen. Kein Wunder, dass die Lage in Südafrika auch 20 Jahre nach Ausbruch der Aids-Epidemie unverändert ernst bleibt: Rund 900 Menschen, ganz überwiegend Schwarze, infizieren sich hier noch immer jeden Tag mit dem HI-Virus - trotz aller Aufklärungskampagnen. In Deutschland sind es demgegenüber "nur" 3400 im Jahr. Und rund 500 Menschen sterben am Kap jeden Tag an den Folgen der Epidemie - so viele wie in Deutschland in einem Jahr!