Beitrag vom 30.05.2013
Wiener Zeitung
Clans aus dem Norden haben die Macht in der Zentralafrikanischen Republik an sich gerissen
Stunde Null im Herzen Afrikas
Und das stimmt nicht nur in Bezug auf die Ministerien. Bevor General Noureddine Adam die Interessen seiner Minderheit durchsetzen kann, muss er in der Hauptstadt mit der Mehrheit Frieden schaffen und Normalität wiederherstellen.
Kalaschnikows statt Renten und Gehälter
An einem Morgen Anfang Mai hält Präsident Djotodia im Radio eine Ansprache: Es sollen endlich wieder Gehälter und Renten ausgezahlt werden, zum ersten Mal seit der Seleka-Machtübernahme und überhaupt seit vielen Monaten. Sofort bilden sich lange Schlangen in der Innenstadt. Tausende Lehrer, Ministerialbeamte, Ärzte und Rentner drängeln sich vor den Banken. "Ich bin Witwe, muss fünf Kinder ernähren und nach den Plünderungen habe ich nichts mehr; wir hungern", schluchzt eine Frau. "Diese Ausländer besetzen unser Land", brüllt ein anderer hinter ihr.
Als kunterbunt bemalte Geländewagen mit schwerbewaffneten Kämpfern anrollen, heizt sich die Stimmung auf. Keine Sorge, erklärt einer von General Adams Leibwächtern der Menge: Der Präsident träfe sich in der Nähe mit Ministern, die Umgebung müsse gesichert werden. Doch aus Angst vor Plünderungen schließen die Banken sogleich ihre Pforten. Tausende hungrige Menschen bleiben draußen und protestieren lautstark: gegen die Banken und gegen Seleka. Der Oberst zieht an einem Joint und gibt dann den Befehl, die Kalaschnikows durchzuladen. Viele Leute laufen davon. Eine Patrouille französischer Soldaten kommt angefahren. Sie tragen Helme und schusssichere Westen. Sie winken, gucken sich um und fahren wieder davon. Die Menschen vor den Banken brüllen auch ihnen wütend Parolen hinterher: "Ihr steckt doch unter einer Decke", rufen sie.
Nur der 71-jährige Michel Fayouma steht seelenruhig mitten in der aufgewühlten Menge. In der Hand hält er seine vergilbte Geburtsurkunde aus dem Jahr 1942, mit französischem Staatssiegel. Er lebe elf Kilometer westlich von Bangui, sagt er. An diesem Morgen sei er früh aufgestanden und in die Stadt gelaufen, in der Hoffnung, seine Rente zu erhalten. "Wer seid ihr denn?", brüllt der alte Mann in Anzug und Hut den jungen Seleka-Kämpfern entgegen. Doch diese verstehen kein Französisch. "Die sind nicht von hier", murmelt er verdutzt.
Erst als der Alte die französischen Soldaten sieht, lächelt er. Er beginnt, die Marseillaise zu singen, die er einst in der Schule gelernt hat. Die Menge buht ihn aus.