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Beitrag vom 04.04.2014

Allgemeine Zeitung, Windhoek

Westliches Afrikabild zwischen Extremen

von Wolfgang Drechsler

Der 4. Kooperationsgipfel zwischen der Europäischen Union und Afrika, abgehalten in Brüssel, steht bei allen guten Absichtserklärungen auch in einem Rahmen der Spannung, des Vorurteils sowie alter und neuer Ressentiments. Afrika-Korrespondent Wolfgang Drechsler, Kapstadt, schildert den Wandel pauschaler Beurteilung und Hemmschwellen vor klarer Einschätzung des vielseitigen Kontinents mit 54 Staaten.

Seit Beginn der europäischen Entdeckungsfahrten im 15. Jahrhundert ist die Wahrnehmung Afrikas steten Schwankungen unterworfen. Die Gründe dafür liegen im herrschenden Zeitgeist der jeweiligen Epoche und den damit verbundenen Überlegenheitsgefühlen, Sehnsüchten oder Ängsten.

Oberflächlich betrachtet, konnte sich die Bewertung Afrikas deshalb in Europa binnen kurzer Zeit stark verändern: Ein Beispiel dafür ist die grundsätzlich andere Sichtweise auf Afrika während der Aufklärung und nur 100 Jahre später zu Beginn der industriellen Revolution (1850). Wurden die Menschen in Übersee vom nach Emanzipation strebenden Bürgertum zunächst noch in der Figur des "edlen Wilden” idealisiert, kam es mit dem Einsetzen der Kolonialära zu einem tiefen Bruch: Überzeugt von der eigenen Überlegenheit wurde der Afrikaner für die Europäer nun zu einem Entwicklungshindernis bei der Landnahme, zumal er den Boden nach ihrem Empfinden unproduktiv und ineffizient nutzte.

Zwischen Finsternis und Schlaraffenland

Dieses negative Bild veränderte sich erneut nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Rassenwahn der Nazi-Ära: War der Europäer im 19. Jahrhundert noch fest von der Überlegenheit seiner eigenen Kultur und deren technischem Segen überzeugt, wurde der ungezügelte Fortschrittsglaube durch die Folgen der Unterwerfung von Natur und Mensch tief erschüttert und mündete in einer neuen Menschenrechtskultur und fast extremen Form von Kulturrelativismus.
B
ei allen Schwankungen findet sich jedoch in der Bewertung Afrikas eine Konstante: Als Projektionsfeld der eigenen Hoffnungen oder Ängste war der vermeintlich dunkle Kontinent fast immer entweder einseitig negativ oder positiv besetzt. "So wie man sich vor fatalistischem Afropessimismus hüten sollte, so riskant sind auch Beschönigungen”, schreibt David Signer, Afrikaredakteur der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), ein studierter Ethnologe. Mancher Idealist sei in Afrika aus Enttäuschung schnell zum Rassisten geworden.

In der Tat war Afrika niemals das von Joseph Conrad beschworene "Herz der Finsternis” noch das Schlaraffenland, das viele Unternehmensberater heute malen. Die Ex­treme haben vielmehr dazu geführt, dass inzwischen auch viele Afrikaner über die verzerrte Sicht ihres Kontinents klagen, insbesondere durch die westlichen Medien. Nicht ganz zu Unrecht wird etwa moniert, dass Afrikas 54 Länder zu oft über einen Kamm geschoren und Unterschiede ausgespart werden. Allerdings machen es die Vielzahl der Länder und Kulturen aber auch der rückläufige Platz in den Medien oft schwer, das Doppelleben Afrikas zu präsentieren: auf der einen Seite die unbändige Lebenslust, die Kreativität in der Armut und das Leben im Jetzt, auf der anderen die lähmende Opferhaltung, der Dreck, die fehlende Wartung von Dingen, aber auch die unglaubliche Gleichgültigkeit seiner Eliten gegenüber dem Gemeinwohl.

Selbstkritik wenig ausgeprägt

Auch unterscheidet sich die afrikanische Sicht des eigenen Kontinents oft schon deshalb viel weniger von der westlichen, weil die afrikanischen Medien selbst kaum über den Tellerrand ihres jeweiligen Landes, geschweige denn des eigenen Kontinents hinausschauen und sich bei der Berichterstattung stattdessen stark an den oft gescholtenen westlichen Medien und Nachrichtenagenturen orientieren. Ebenso selten wird thematisiert, dass man in afrikanischen Medien so gut wie nichts über Europa erfährt. Die Ressentiments, die viele Afrikaner gegenüber der westlichen Presse hegen, kommen auch daher, dass die Bereitschaft zur Selbstkritik in Afrika wenig ausgeprägt ist und die Schuld an der Misere gern den ehemaligen Kolonialisten zugeschoben wird.

Europäische Furcht vor Fakten

Zu der verzerrten Darstellung Afrikas trägt aber auch bei, dass viele europäische Beobachter vor einer widersprüchlichen Darstellung Afrikas zurückschrecken, weil sie befürchten, Afrika durch Berichte wie etwa über den dort noch immer tief verwurzelten Aberglauben als unfähig zur Veränderung darzustellen und so womöglich rassistische Klischees zu bedienen. Dabei haben sich u.a. gerade Aberglaube und Hexerei, mit denen sich NZZ-Afrikaexperte Signer jahrelang in Westafrika beschäftigte, als hartnäckiges Entwicklungshindernis entpuppt. Vielleicht gerade weil der Kolonialismus einst kulturelle Unterschiede zur Rechtfertigung der politischen und wirtschaftlichen Unterdrückung Afrikas missbraucht hat, werden kontroverse Themen wie markante kulturelle Differenzen heute oft lieber von vornherein ausgeblendet, wodurch das Afrikabild nur noch weiter verzerrt wird.