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For a different development policy!

Beitrag vom 06.05.2014

Review 2014 (Auswärtiges Amt)

Außensicht

Das neue Afrika fordert eine neue deutsche Politik

von James Shikwati, Direktor des Interregionalen Wirtschaftsnetzwerks (IREN) in Nairobi www.irenkenya.com MAI

Die bisherige Entwicklungshilfe ist überholt

Die Zeiten westlicher Vorherrschaft sind Vergangenheit. Deutschland, Afrika und andere globale Akteure müssen nun gemeinsame Vorstellungen von Wohlstand und Stabilität erarbeiten. Dabei verbietet Respekt vor afrikanischen Traditionen alle weiteren Versuche, den Afrikanern westliche Verfassungskonzepte aufzwingen zu wollen. Das gängige Entwicklungsmodell, das afrikanische Regierungen zu korrupten Räubern macht, ist nicht länger haltbar.
Über ein Jahrhundert lang hat sich Deutschland dafür stark gemacht, dass die Afrikaner sich das westliche Weltbild zueigen machen sollten. Wenn die deutsche Außenpolitik sich einer kritischen Bestandsaufnahme unterziehen will, muss diese Strategie überdacht werden. Das 21. Jahrhundert hat eine multipolare Welt hervorgebracht, in der das Streben nach Sicherheit und Wohlstand allen gemeinsam ist.
Für deutsche Einflussnahme auf Afrika steht beispielhaft Bismarcks Berliner Konferenz, auf der in den 1880er-Jahren die Aufteilung des Kontinents beschlossen wurde. Sie zementierte in Afrika eine Situation, die Professor Ali Mazrui als "Erbe des westfälischen Friedens" bezeichnet hat, das "Käfige des Nationalstaats" und ein "Gefängnis des kapitalistischen Systems" geschaffen habe.
Die 54 Nationalstaaten Afrikas werden weiterhin durch vom Westen dominierte Strukturen aneinander gefesselt, die nicht nur die "Käfige" erhalten, sondern auch eine Verbraucherkultur fördern, die afrikanische Waren gering schätzt und eine wertschöpfende Güterproduktion auf dem Kontinent abwürgt.
Die Wechselbeziehung zwischen Afrika auf der einen und Deutschland und dem Westen auf der anderen Seite schuf einen in sich widersprüchlichen Kontinent, der an Bodenschätzen reich, aber von Menschen bevölkert ist, die in Armut und Überschuldung versinken. Die internationalen Mächte wetteiferten um die Bodenschätze Afrikas und degradierten zugleich die Afrikaner zu unfreiwilligen Zuschauern.
Der Kontinent verfügt über 30 Prozent der Mineralreserven der Erde, darunter 40 Prozent des globalen Aufkommens an Gold, 60 Prozent an Kobalt, 40 Prozent an Wasserkraft und 90 Prozent an Platin. Hier befinden sich über 9,7 Prozent der nachgewiesenen Ölreserven der Welt, 7,8 Prozent der gesamten Erdgasvorkommen, 6 Prozent der nachgewiesenen Kohlevorkommen und 60 Prozent der ungenutzten Ackerflächen.

Globale Umverteilung der Macht

Im Januar 2014 begann ein neues Kapitel der Weltgeschichte, als ein nichtwestliches Land, China, zu einer der führenden Handelsnationen der Welt aufstieg. Chinas jährlicher Warenverkehr von vier Billionen US-Dollar verdrängte die USA von ihrer Vorrangstellung. Diese phänomenale Leistung Pekings bietet für Afrikaner und Deutsche Herausforderungen und Chancen gleichermaßen. Der Einzug Chinas und anderer aufstrebender Volkswirtschaften in Afrika dürfte auch die bisher vom Westen dominierte Finanzstruktur des Kontinents verändern.
Dass Deutschland seine Außenpolitik für eine kritische Bestandsaufnahme durch Nichtdeutsche öffnet, ist eine begrüßenswerte Initiative, die Afrika nutzen und auf die es mit konkreten Beiträgen reagieren sollte. In dieser kurzen Abhandlung stelle ich dar, wie Deutschland seine Beziehungen zu Afrika gestalten sollte. Die Vorschläge bringen sowohl meine eigenen Ansichten wie auch die anderer Beteiligter zum Ausdruck, die sich auf meinem Online-Forum geäußert haben.
Afrika, Deutschland und andere globale Akteure sind gezwungen, gemeinsam nach Wohlstand und Stabilität zu streben, um den Durst nach Energie, Wasser und Nahrung zu stillen. Die globale Umverteilung der Macht eröffnet die Chance, das Vorgehen mächtiger Staaten zu zügeln. Auch eine Welt mehrerer Machtzentren wird durch die mögliche Herausbildung regionaler und ideologischer Lager bedroht, die versucht sein könnten, sich gegenseitig zu vernichten.
Afrika hat die katastrophalen Folgen dieser Lagerbildung während des Kalten Krieges erfahren. Das Interesse Afrikas, sich gedeihlich zu entwickeln und das Wohl seiner Menschen zu verbessern, erfordert ein ausgewogenes und multilaterales Engagement gegenüber dem Rest der Welt.

Was Deutschland ändern muss

Erstens muss Deutschland seine Kerninteressen offenlegen, damit es nicht den Anschein erweckt, keine eigenen Interessen zu verfolgen. Tragfähige Partnerschaften beruhen auf gegenseitiger Achtung und der Annäherung deutlich formulierter Interessen. Erst klare Kerninteressen erlauben es Deutschland, sich in Afrika überzeugend zu engagieren. Widersprüchliche Signale aus dem Auswärtigen Amt, dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, dem Verteidigungsministerium oder anderen Behörden schaden diesem Engagement.
Zweitens: Wenn es Berlin um eine langfristige Partnerschaft mit Afrika geht, dann muss sich dies in einer Erhöhung der Zahl deutscher Fachkräfte niederschlagen, die die Dynamik Afrikas zu würdigen verstehen. Dazu kann die gezielte Schulung von Deutschen in afrikanischen und von Afrikanern in deutschen Themen gehören. Auch die persönlichen Erfahrungen von Deutschen und Afrikanern auf dem Kontinent sollten genutzt werden.
Drittens ist ein Mentalitätswechsel nötig. Wenn Afrika zu einem Motor für Wohlstand und Stabilität werden soll, darf es nicht mehr als ferner Kontinent abgetan werden, in den deutsche Missionare ausziehen, um westliche Werte zu verbreiten. Die Finanzkrise der westlichen Staaten von 2008 legte die Unzulänglichkeiten all der Entwicklungsmodelle offen, die jahrzehntelang nach Afrika exportiert wurden. Das den afrikanischen Ländern aufgepfropfte Demokratiemodell kollidierte mit der Tyrannei ethnischer Interessen und schafft so ein politisches System der Exklusion und Instabilität. Ein guter Freund Deutschlands muss nicht unbedingt zu einem Deutschen gemacht werden.
Viertens sollte Deutschland sich um eine Neuausrichtung der internationalen Ordnung bemühen. Diese Ordnung ist bisher deckungsgleich mit Konzepten des Westens, die die Stimmen anderer Akteure übertönen. Das Wiedererstarken der asiatischen und der Aufstieg afrikanischer Volkswirtschaften wie etwa Nigerias sind klare Fingerzeige dafür, dass die westliche Vorrangstellung überdacht werden muss. Deutschland sollte sich offen zeigen für Multilateralismus und anerkennen, dass andere globale Akteure wie zum Beispiel China (Asien ganz allgemein), Lateinamerika und innerafrikanische Koaltionen ihren Einfluss auf afrikanische Angelegenheiten ausbauen werden.

Afrikas Einfluss wächst

Fünftens sollte Deutschland die Strukturen internationaler Zusammenarbeit darauf überprüfen, ob sie den neuen Realitäten gerecht werden. Deutschland sollte sich tatkräftig darum bemühen, die Abstimmungssysteme der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds zu reformieren, damit die aufstrebenden Volkswirtschaften und Afrika eine stärkere Stimme bekommen und die Dominanz der Industriestaaten abgewehrt wird. Deutschland sollte ein Partner sein, der der Stimme der afrikanischen Staaten in den Vereinten Nationen und der Welthandelsorganisation zu mehr Gehör und positiver Resonanz verhilft. Denn die Beschlüsse und Maßnahmen dieser globalen Institutionen prägen den afrikanischen Raum und beeinflussen damit die deutschen Interessen dort.
Sechstens sollte Deutschland in Fragen der afrikanischen Sicherheitsarchitektur seinen eigenen Weg gehen. Deutschland sollte das traditionelle westliche Modell meiden, zunächst ein Problem zu schaffen, dann die Reaktion zu kontrollieren und Lösungen parat zu haben. Anstatt weiter an einer Politik der Einmischung festzuhalten, sollte Deutschland durch seine zahlreichen über den Kontinent verteilten Botschaften und Konsulate den Aufbau eigener afrikanischer Fähigkeiten fördern. Erhöhte Kapazitäten der afrikanischen Nationalstaaten, der Afrikanischen Union und der regionalen Wirtschaftsorganisationen werden für die dringend benötigte Stabilität in der Region sorgen können.
Siebtens gilt es, in die Jugend Afrikas sowie in ihre schulische und berufliche Ausbildung zu investieren. Afrika erfreut sich einer demografischen Dividende, die auf 60% der eine Milliarde Menschen auf dem Kontinent geschätzt wird, die unter 25 Jahre sind. Investitionen in die Hochschul- und die berufliche Ausbildung werden Afrikas riesiges Potenzial an natürlichen Ressourcen, brach liegenden landwirtschaftlichen Nutzflächen und der rasch steigenden Urbanisierungsrate, die inzwischen bei 47% liegt, mobilisieren. Dank solcher Bildungsförderung könnte die Jugend Afrikas den einheimischen afrikanischen Lebensmitteln und größerer Nahrungsmittelsicherheit in der Region zur Anerkennung verhelfen.
Achtens: Wie ist es um die Stimme Afrikas in der sich verändernden Welt bestellt? In der sich verändernden Welt ist es für Deutschland von Vorteil, das Informations- und Medienmonopol des Westens zu beenden. Um sich ernsthaft in Afrika zu engagieren, muss Deutschland auch den Afrikanern zuhören. Das vom Westen dominierte Afrika-Bild hat den Kontinent und seine Menschen immer wieder verzerrt dargestellt. Wenn Deutschland Afrika und die Völker Afrikas zu Partnern gewinnen will, darf es sich in seiner Politik künftig weniger von den Übertreibungen der Medien beeinflussen lassen.
Neuntens muss Deutschland sich offener für die unterschiedlichen Maßstäbe staatlicher Legitimität in Afrika zeigen. Die hehren Werte der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte sind immer wieder sowohl von internationalen Organisationen als auch von Staaten missbraucht worden, um eigene Interessen durchzusetzen. Demokratische Verfahren, bei denen nicht das Prinzip "ein Mann, eine Stimme" gilt, sondern in denen derjenige die Wahlen entscheidet, der am meisten Geld einsetzt, sind keine verlässlichen Kriterien für die Legitimität der daraus hervorgegangenen Regierungen. Bei seinem Engagement in Afrika sollte Deutschland anerkennen, dass es legitime politische System geben kann, denen nicht die Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit zugrunde liegt.

Für eine andere Entwicklungspolitik

Zehntens sollte sich Deutschland für die Integration Afrikas einsetzen, um Handel und Gewerbe zu steigern. Die rasche Urbanisierung Afrikas und eine wachsende Mittelschicht mit einem verfügbaren Einkommen von zwei bis zwanzig US-Dollar am Tag machen es notwendig, dass Afrika sich für sich selbst öffnet. Deutschland sollte Bismarcks "Nationalstaatskäfige" der Armut demontieren und gemeinsam mit den Afrikanern die Integration des Kontinents zum Motor des Wohlstands machen. Es bedarf eines Rahmenwerks zur Förderung des Marktes, um der Plünderung afrikanischer Ressourcen ein Ende zu setzen.
Elftens sollte Deutschland sich für ein neues Modell der Entwicklungszusammenarbeit stark machen. Das überkommene Modell der Entwicklungszusammenarbeit dient dazu, Märkte zu entwickeln, Arbeitsplätze für reiche Staaten zu schaffen und die Afrikaner in Armut zu halten. Es hindert die Länder in Afrika daran, Anschluss an die globalen Wertschöpfungsketten zu finden und verstärkt eine paternalistische Einstellung, die es den Völkern Afrikas erschwert, die vor ihnen liegenden Herausforderungen anzupacken. Es macht afrikanische Regierungen zu korrupten Räubern im Dienste elitärer Interessengruppen. Anstelle einer "Helfermentalität" brauchen wir ein neues Modell der Entwicklungszusammenarbeit, das sich an den Stärken Afrikas (natürliche Ressourcen, "people skills" und Märkte) orientiert. Ein solches Modell sollte auch für die deutsche Verarbeitungsindustrie ein Anreiz sein, sich in Afrika anzusiedeln. Es sollte mit der Praxis Schluss machen, Afrika als nicht kreditwürdig abzutun, die der Finanzierung der Unternehmen von Afrikanern hohe Hürden in den Weg stellt.
Zwölftens sollte Deutschland in Klima und Umwelt investieren. Verschlechterte Klimabedingungen wirken sich unmittelbar auf die Nahrungsmittelpreise aus, erhöhen Konflikte um Zugang zu Trinkwasser und verstärken den Migrationsdruck. Der Wettbewerb unter globalen Akteuren wie auch unter Afrikanern um den Zugang zu natürlichen Ressourcen führt zur Schädigung der Umwelt. Umweltbedingte Katastrophen verursachen Konflikte und Unsicherheit. Deutschland sollte die Forschungszusammenarbeit über Umweltthemen in Afrika fördern.
Dreizehntestens sollte Deutschland dabei helfen, Menschen zusammenzubringen. Länder bestehen wegen ihrer Menschen. Deshalb sollte deutsche Außenpolitik sich um Begegnungsforen kümmern, die den persönlichen Austausch zwischen Afrikanern und Deutschen intensivieren. Das führt zu stärkerer kultureller Vertrautheit und fördert eine kreative Kunstindustrie.
Vierzehntestens sollte sich die deutsche Außenpolitik für die Beseitigung der Hürden einsetzen, die es Afrika erschweren, von globalen Märkten zu profitieren. Als Gegenleistung bietet Afrika große Investitionsmöglichkeiten unter anderem in den Bereichen Bergbau, Energie, Finanzen, Einzelhandel, Verkehr, Telekommunikation, öffentliche Dienstleistungen und in der verarbeitenden Industrie.
Fünfzehntestens sollte Deutschlands Afrika-Politik dem Ziel gemeinsamen Wohlstands und gemeinsamer Stabilität fest verpflichtet sein. Wie eine weitverbreitete Redensart sagt: "Man sollte das Gras nicht lehren, wie es wachsen soll, sondern die Steine vom Rasen entfernen, damit das Gras wachsen kann."