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Beitrag vom 10.04.2019

NZZ

Was in Moçambique nach dem Zyklon bleibt, sind Ruinen, Verluste und zerstörte Träume

Nach dem Rückgang der Flut zeigen sich die enormen und langfristigen Schäden, die «Idai» hinterlassen hat.

David Signer, Beira

Als der Zyklon mit seinen Regenfluten über Moçambique hereinbrach, suchte die 17-jährige Joaquina Ernesto zuerst Schutz in der Schule von Buzi. Aber bald schon strömte das Wasser durch die Fenster. Also rettete sie sich mit ihrem neun Monate alten Baby aufs Dach. Doch die Flut stieg weiter an. Jemand brachte sie in einem Kanu zum Stadion des Ortes. Dort drängten sich die Überlebenden bereits auf der Tribüne. «Bald stand ich bis zur Hüfte im Wasser», erzählt sie. «

Also stieg ich weiter hoch, bis auf die obersten Ränge.» Aber das Stadion füllte sich wie ein Pool. Bald reichte ihr das Wasser selbst auf der höchsten Treppenstufe bis zum Hals. Sie war allein, trug das Baby im Arm, das Fieber und Durchfall hatte, und rief um Hilfe. Immer mehr ertranken, im Wasser schwammen Schlangen. Dann tauchte ein Helikopter am Himmel auf. Die Verzweifelten im Stadion fuchtelten mit den Armen und schrien. «Aber die Leute im Helikopter warfen nur Biskuits herunter und flogen davon. Erst am nächsten Tag kam der Helikopter wieder, rettete uns und brachte uns zum Flughafen von Beira», sagt Joaquina Ernesto.

Verletzungen und Schutt

Nun ist sie im Lager Ifapa in der Küstenstadt Beira, mit 1800 weiteren Obdachlosen. Ihren Mann hat die junge Frau, seit der Zyklon «Idai» am 14. März über das Land fegte, nicht mehr gesehen. Er war in Buzi, westlich von Beira, von einem herumwirbelnden Blechdach verletzt worden und konnte sich in ein kleines Boot retten. Sie weiss nicht, ob er noch lebt. Buzi ist immer noch von der Aussenwelt abgeschnitten und auf dem Landweg nicht erreichbar. «Als ich hier ankam, hatte ich nichts, nicht einmal Kleider, nur noch meinen Sohn», sagt sie. Er ist immer noch krank. Wenn ihr Mann umgekommen ist, ist Joaquina Ernesto allein. Ihr Vater und ihre Grosseltern sind tot, die Mutter krank. In Moçambique beträgt die Lebenserwartung 58 Jahre.

In den meisten Landesteilen ist das Wasser zurückgegangen. Aber das Leiden ist nicht vorbei. Im Gegenteil. Vielerorts, vor allem in den entlegenen Gegenden, wird das Ausmass der Zerstörung erst jetzt ersichtlich. Laut der Uno sind 1,7 Millionen Menschen vom Zyklon betroffen, vor allem durch die Zerstörung ihrer Häuser. Man geht von über tausend Toten aus. Hinzu kommen die Krankheiten, die durch das verschmutzte Wasser verursacht werden, vor allem Cholera. Trotz den Impfungen, die letzte Woche begannen, wurden bis jetzt über 3000 Fälle verzeichnet, mit sechs Toten.

Wie oft bei solchen Katastrophen trifft es vor allem die Armen. Dass 90 Prozent von Beira zerstört worden sind, wie man oft lesen konnte, ist stark übertrieben. Die Innenstadt mit ihren soliden Gebäuden blieb relativ unversehrt, vielerorts nimmt das Leben bereits wieder seinen gewohnten Lauf. In vielen Vierteln riss der Sturm vor allem die Blechdächer weg und zerstörte die Fensterscheiben, aber die Mauern blieben intakt. In den prekären Aussenquartieren hingegen nahm der Zyklon, der mit einer Spitzengeschwindigkeit von 200 Kilometern pro Stunde auf das Festland traf, den Bewohnern oft noch das wenige, was sie hatten. Es wird lange dauern, bis sie sich von diesem Schlag erholen.

Da ist zum Beispiel Mafana Franque Nhamaiao. Die 28-Jährige lebt mit ihrem Mann in den Ruinen ihres Hauses, am Rand von Beira, im Ndunda-Viertel. Solche ärmlichen Quartiere, mit ihren zusammengezimmerten Hütten, liegen zum Teil unter dem Meeresspiegel und waren den bis zu sechs Meter hohen Wellen und den Überschwemmungen hilflos ausgeliefert. Zwei von Nhamaiaos vier Kindern schlafen in dem, was «Idai» von ihrem Heim übrig liess. Die andern zwei kamen bei der Grossmutter unter. «Als der Sturm einsetzte, stieg mein Mann aufs Haus, um das Blechdach mit Steinen zu beschweren», erzählt sie.

«Beim Nachbar schlug ein durch die Luft fliegender Stein ins Dach ein und stürzte ins Wohnzimmer. Der Nachbar rannte herüber und rief meinem Mann zu, er solle herunterkommen, das sei zu gefährlich.» Also gingen sie auf die andere Strassenseite und suchten Schutz in einem soliden Rohbau. «Von dort aus mussten wir mit ansehen, wie die Hälfte unseres Hauses einstürzte. Das Dach wirbelte durch die Luft wie ein Papierdrachen.» Ein Bekannter, der beim einsetzenden Sturm ebenfalls versucht hatte, sein Hausdach zu beschweren, wurde durch den Wind vom Dach geweht und verletzte sich so stark, dass man ihm das Bein amputieren musste. Nhamaiaos Mann wurde von einem Holzstück mit einem Nagel darin getroffen, das mit einem solchen Tempo durch die Luft flog, dass es ihn schwer am Bein verwundete.

«Mein Mann hat kein regelmässiges Einkommen, und ich habe gesundheitliche Probleme. Das wenige Geld, das er verdient, geht für meine Behandlungen drauf. Er sagt, das habe Priorität, das Haus könnten wir später wiederaufbauen», sagt sie. So hat die Familie das Dach behelfsmässig mit Plastik abgedichtet und hockt im Schutt.

Das Dach ist davongesegelt

Dondo liegt etwa zwanzig Kilometer landeinwärts von Beira. Es war der erste grössere Ort, auf den der Zyklon traf, nachdem er Teile Beiras verwüstet hatte. Im Quartier Nhamaiabué, das «Idai» besonders in Mitleidenschaft zog, wohnt Elisabeth Antonio Sande. Sie ist 43 Jahre alt und hat acht Kinder. Sie sagt, ihr Mann habe eine Zweitfrau genommen. Es sieht nicht so aus, als würde er sich um die Erstfrau und die Kinderschar kümmern. Sande wohnte zwar in einem soliden Haus mit Mauern, aber das Dach ist davongesegelt, und die Küche sowie das Wohn- und die Kinderzimmer sind eingestürzt.

Im «Salon», wie sie es nennt, steht nur noch ein Stuhl mit einem fehlenden Bein. Der Boden ist voller Schutt und Schlamm, in dem eine Handtasche, eine verdreckte Hose und ein paar zerfledderte Schulhefte auszumachen sind. Dort, wo vorher die Mauer des Kinderzimmers stand, hat Sande einen Meter hoch Backsteine aufeinandergetürmt, ohne Mörtel. Aber sie zweifelt, ob das eine gute Idee war. «Nachts schlafe ich schlecht, weil fürchte, dass die Backsteine auf mich herunterfallen könnten», sagt sie. Immerhin schaffte sie es, beim aufziehenden Sturm rechtzeitig woanders hinzugehen, so dass niemand Schaden nahm.

Früher kaufte Sande Fisch in Beira, den sie in Dondo verkaufte. «Aber seit einer Operation kann ich keine Lasten mehr tragen, ich musste den Handel aufgeben», sagt sie. Sie hat die acht Kinder bei Verwandten untergebracht, weil sie nicht mehr für sie aufkommen kann. Erst recht hat sie keine Mittel, um das Haus wieder aufzubauen.

Samuels zerstörter Neubau

Samuel Condissa Dauce ist ein 60-jähriger Bauer. Er lebt mit seiner Frau und den neun Kindern ausserhalb von Tica. Tica liegt etwa dreissig Kilometer nordwestlich von Dondo, ebenfalls in der Schneise der Zerstörung, die «Idai» schlug. «Als der Sturm abends einsetzte, flüchteten wir uns aus dem gemauerten Wohnhaus in eine Lehmhütte daneben», erzählt er. «Zuerst trug der Wind das Dach weg. Dann brach ein schwerer Ast des Mangobaums ab, stürzte auf das Haus und zertrümmerte die Mauern.» Zum Glück befand sich die Familie immer noch in der Hütte. Diese stürzte dann zwar auch ein, verletzt wurde aber niemand. Was Dauce besonders schmerzt: Das neue Haus war erst vor drei Monaten fertiggestellt worden, das Sofa hatte er vor zwei Monaten gekauft. Nun steht es zerfetzt und verdreckt in den Trümmern.

Die Kinder sitzen auf einer Matte unter dem havarierten Mangobaum. Die Lehmhütte hat Dauce schon fast wieder aufgebaut, dieses Mal sicherheitshalber mit einem Strohdach. Der Wiederaufbau des Hauses muss warten, bis genug Geld da ist. Das Blechdach liegt etwa zwölf Meter weiter. «Zum Glück hat es niemanden getroffen.» Es kursieren Geschichten von herumfliegenden Dächern, die Leuten einen Arm oder Schlimmeres abtrennten.

Dauce baut Mais, Gemüse und Bananen an. Der Zyklon erreichte Moçambique kurz vor der Ernte, die nun verloren ist. «Sobald das Wasser zurückgegangen ist, pflanze ich wieder an», sagt er. Er hat auch ein paar Kühe und Ziegen. «Glücklicherweise grasten sie auf einer erhöhten Wiese», sagt er, «sonst wären sie ertrunken.» Im Chaos des Sturms hat jemand seine Pumpe gestohlen, mit der er die Felder bewässerte. Das wurmt ihn. Dass sich die Cholera ausbreitet, weiss er. Dem Trinkwasser fügt er deshalb Chlor bei.

Das Kino in der Bambushütte

Der 26-jährige Zito Nhambo lebt mit seiner 29-jährigen Frau Inês und den fünf Kindern in Nhamatanda. In dieser Kleinstadt etwa zwanzig Kilometer nordwestlich von Tica führten die beiden ein kleines Kino in einer Bambushütte. Es bot bis zu fünfzig Personen Platz, die Filme schaute man sich auf einem Fernsehbildschirm an. Auf dem Dach war eine Parabolantenne montiert, im Kino wurden Spielfilme eines Privatsenders gezeigt, den Nhambo abonniert hatte; manchmal spielte er auch DVD ab. In einem Nebenraum der Bambushütte führte seine Frau Inês ihren kleinen Coiffeursalon, davor gab es einen Kiosk mit Öl, Linsen, Zündhölzern, Kerzen, Batterien und Biskuits.

«Als der Zyklon kam, flog das Blechdach weg, und wir waren dem strömenden Regen schutzlos ausgeliefert», erzählt Nhambo. «Das Wasser stand uns bis zu den Knien.» Sie versuchten zu retten, was sie konnten. «Der Fernseher ging kaputt», sagt Inês, «aber den Decoder und den Lautsprecher konnten wir ins Trockene bringen.» Dann fiel die Bambushütte zusammen und als Nächstes das Wohnhaus aus Lehm. Verletzt wurde niemand, die Familie hatte sich rechtzeitig in das Haus von Nhambos Vater gerettet. Nun steht der grosse Lautsprecher auf einem Ölfass; manchmal spielen sie etwas Musik, um sich aufzuheitern.

Das Wohnhaus hat das Ehepaar in gemeinsamer Arbeit schon wieder aufgebaut. Das Blechdach haben sie sicherheitshalber mit Steinen und Ästen beschwert. Dort, wo das Kino stand, sind schon einmal einige Backsteine aufgeschichtet. «Mit der Wiedereröffnung müssen wir wohl etwas warten», sagt Nhambo. «Das Studio in der Stadt wurde überflutet, alle Maschinen sind kaputt, es wird nichts gesendet.» Aber auf einem wackligen Tischchen verkaufen sie bereits wieder Seife und Bohnen.

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Der Autor dankt der Hilfsorganisation Solidar Suisse, in Moçambique seit Jahren im Bereich Trinkwasser tätig, für die Unterstützung bei dieser Reportage.