Skip to main content
For a different development policy!

Beitrag vom 04.09.2019

FAZ

Sudan

Kurz nach der Revolution

Außenminister Maas reist nach Sudan, das nach dem Umbruch weiter an den Folgen der autoritären Herrschaft leidet. Von Johannes Leithäuser

KHARTUM, 3. September
So schnell ist das Auswärtige Amt nicht oft. Vor kaum zwei Wochen wurde das Verfassungsdokument unterschrieben, mittels dessen Militär und Opposition sich in Sudan übergangsweise die Macht teilen wollen, vor wenigen Tagen erst hat der neue Premierminister Abdallah Hamdok sein Amtsgebäude bezogen, dem Außenminister Heiko Maas nachmittags seine Aufwartung macht. Das Glückwunschtelegramm der deutschen Bundeskanzlerin trifft am selben Tag in Khartum ein, Maas hätte es auch persönlich übergeben können. Ein Dreivierteljahr hat das Ringen um die Herrschaft in Sudan jetzt gedauert, seit dem Beginn der Straßenproteste im vergangenen Dezember, dem erzwungenen Rücktritt des Diktators al Baschir im April, den folgenden Dauerdemonstrationen und ihrer versuchten militärischen Niederschlagung, einer gewaltsamen Konfrontation mit mehr als hundert Toten Anfang Juni und der folgenden schrittweisen Annäherung beider Seiten, des Militärs und des Oppositionsbündnisses. Eine Reise in diese Szenerie eines politischen Umbruchs hätte kaum so rasch organisiert werden können, wären nicht deutsche Diplomaten seit einiger Zeit schon mit der Begleitung dieses politischen Wandels befasst gewesen.

Sudan krankt am Ende einer jahrzehntelangen autoritären Herrschaft nicht nur an dramatischen Staatsschulden, an den Folgen der Abspaltung des ölreichen Südsudans und an allgemeinem wirtschaftlichem Mangel; es hat bislang auch die innere Befriedung des Landes nicht zustande gebracht. Eine der größten UN-Stabilisierungsmissionen, Unamid, bemühte sich mehr als ein Jahrzehnt lang, den Bürgerkrieg im westsudanesischen Darfur einzudämmen, die lokale Bevölkerung zu schützen und auf einen Ausgleich hinzuarbeiten. Jetzt soll diese Mission beendet werden, an der Deutschland sich viele Jahre lang mit der Entsendung von einigen Dutzend militärischen Beratern und Polizeifachleuten beteiligt hat. Das deutsche diplomatische Engagement ist in jüngerer Zeit aufwendiger gewesen. Es hat von Berlin aus seit 2017 den Versuch gegeben, die Anführer der Bürgerkriegsmilizen zu einer Verständigung zu bewegen, eine Art Vorabkommen wurde im vergangenen Dezember geschlossen, dessen Wirksamkeit dann aber der Umsturz in Khartum fürs Erste begrub. Jetzt steht die neue Übergangsregierung vor der Aufgabe, die Separatisten einzuhegen. Berlin hat zugesagt, sich bei Bedarf weiterhin um Vermittlung zu bemühen.

Außenminister Maas beginnt seinen Besuch in der sudanesischen Hauptstadt mit einer Besichtigung des Volksaufstands. Im Hof des Goetheinstituts stehen auf Staffeleien vergrößert aufgezogene Fotografien, die Szenen der monatelangen Proteste, des Schmerzes und des Mutes der Bevölkerung zeigen. Ein Bild hält den Moment des Jubels fest, in dem ein Eisenbahnzug mit Demonstranten aus der Stadt Adbara, von wo die Proteste ihren Ausgang nahmen, im Zentrum Khartums eintrifft. Maas wird der Lokführer vorgestellt, der diesen Zug steuerte, er unterhält sich mit den jungen Fotografinnen, die die Schnappschüsse der Revolution festhielten, alle sind angerührt von der Erinnerung. Der deutsche Botschafter, der die Szene schildert, verliert einen Augenblick die Festigkeit in seiner Stimme.

Die deutsche Regierung hat sich in den vergangenen Monaten bemüht, für das neue Sudan einen internationalen Rahmen zu zimmern, der dem Land bei seiner Entwicklung helfen soll. Wie in anderen Fällen auch ist zu diesem Zweck ein „Freundeskreis“ von Staaten versammelt worden, die erstens selbst bereit und daran interessiert sind, Sudan voranzuhelfen, und zweitens andere Länder dazu bewegen können, sich auch zu engagieren. Der Freundeskreis umfasst in diesem Fall außer Deutschland die einstige Kolonialmacht Großbritannien, Frankreich und Norwegen, die Vereinigten Staaten, die sudanesischen Nachbarn Ägypten und Äthiopien, die Golfstaaten Saudi-Arabien und Vereinigte Arabische Emirate, die in Khartum über Einfluss verfügen, sowie die internationalen Organisationen Afrikanische Union und UN. Das Gründungstreffen dieser institutionellen Freunde fand im Juni in Berlin statt. Über Hilfsschritte, die als Erstes vereinbart werden könnten, soll unter anderem Maas’ Besuch in Khartum Klarheit bringen.
Die Fotografin Duha Mohamed, die im Sommer Monate auf dem Protestgelände gegenüber dem Militärministerium verbracht hat, sagt, es gehe nicht zuerst um finanzielle Hilfe. Noch wichtiger seien Bildung und, vor allem, Beratung – außerdem Anleitung beim Aufbau von Institutionen, bei der Verbesserung von Schulen und Universitäten, bei der Organisation der Wirtschaft. Sie gibt die Empfindung wieder, die sie auf dem Protestplatz am meisten beeindruckt hat: dass sich dort nicht nur die unzufriedene Jugend der Hauptstadt versammelte, sondern viele verschiedene Gruppen kamen, aus dem ganzen Land. „Wir haben uns plötzlich vereint gefühlt“, sagt sie. Und sie erzählt, dass der Aufstand den Frauen die Chance gab, aus ihren Beschränkungen einer traditionalistischen Gesellschaft auszubrechen und sich im Protest gegen staatliche Willkür auch selbst zu befreien.

Der deutsche Außenminister wirkt beeindruckt und später auch amüsiert, als er nach dem Gespräch mit dem neuen Ministerpräsidenten auf dem Pressekonferenz-Podium zuerst hinter einer Wand von Mikrofonen fast verschwindet, die dann durch eine Welle von Rückkopplungen auch noch jede Tonübertragung vereiteln. Erst nach zwanzig Minuten, in denen immer wieder schrille Pfeiftöne durch den Saal ziehen, kann Maas den lobenden Satz in die Kameras sagen, in Sudan sei „Großartiges geschehen“. Ansonsten vermeidet er in Khartum pathetische Wendungen. Er spricht anerkennend davon, dass „das Land sich auf den Weg macht in eine bessere Zukunft“, er verspricht die Unterstützung Deutschlands und Europas dabei. Aber er sagt auch vorsichtig, es herrsche eine „Situation, in der noch nicht entschieden ist, ob diese Entwicklung anhält“ – als fürchte er, dass zu viel Begeisterung für naiv gehalten werden könnte. Und er stellt fest: „Es müssen auch gewisse Voraussetzungen hier geschaffen werden, damit wir hier helfen können.“ Als wolle er die Erwartungen, die sein Besuch – der erste eines westlichen Ministers – bei der neuen sudanesischen Regierung weckt, gleich wieder dämpfen.

Begriffe und Formeln, die in Deutschland sonst gebräuchlich sind, wenn von Afrika die Rede ist, also Nachbarkontinent, Migrationsströme, Fluchtursachenbekämpfung, bemüht der Außenminister schon gar nicht. Sie würden Sudan womöglich stärker in die deutsche Aufmerksamkeit rücken, aber hätten wenig zu tun mit dem Moment selbstbewusster Hoffnung, in dem Khartum gerade lebt.

Bei den Reisen des Außenministers Maas reist eher immer ein spezieller nach innen gerichteter sozialdemokratischer Bildungsauftrag mit. Auch das deutsche Engagement in Sudan wird zu einer Facette im ständigen Werkeln des Ministers mit seiner Fraktion an der Antwort darauf, was denn unter einer verantwortungsvollen deutschen Außenpolitik zu verstehen sei. Momentan raspeln und schleifen die Werkzeuge allerdings vor allem an der Frage, ob die deutsche Luftwaffe im Kampf gegen den IS im Irak und in Syrien ihre Aufklärungsflüge nochmals verlängern soll, obwohl das Mandat dafür Ende Oktober ausläuft – und vor Jahresfrist nur unter dem Versprechen (der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen) verlängert worden war, dies sei bestimmt das letzte Mal. Zwar macht sich Sudan der IS-Terror nicht akut bemerkbar, aber die generellen Fragen innerer und äußerer Sicherheit stellen sich auch hier. Das Auswärtige Amt bemüht sich in der Amtszeit des gegenwärtigen Ministers überall, mit diplomatischen Mitteln den Einfluss und die Mitsprache Deutschlands zu vergrößern: in den Beratungen über Syrien, im Bemühen um ein Ende des Krieges im Jemen, beim Aufbau des Iraks, jetzt auch in Sudan. Ein innenpolitisch motivierter militärischer Abzug aus Jordanien kann die Reputation, die Maas in der Region für Deutschland zu schaffen sucht, leicht beschädigen.