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Beitrag vom 26.12.2019

NZZ

Secondhand-Kleidung

«Wenn es so weitergeht, werde ich Milliardär» – wie Barry mit dem Verkauf von gespendeten Secondhand-Kleidern in Côte d’Ivoire Karriere macht

Von wegen Wohltätigkeit: In Afrika ist der Handel mit gespendeten Altkleidern ein lukratives Geschäft. Ein Verkäufer erzählt, wie er mit ausgedienten T-Shirts und Hosen aus Europa und Asien Geld verdient.

Fabian Urech, Abidjan

Barry sitzt vor seinem kleinen Marktstand und zeigt auf den in Plastik verpackten Kleiderballen. «Dreihundert T-Shirts sind da drin», sagt er. «Fünfundfünfzig Kilo, frisch eingetroffen aus Grossbritannien.» Hinter ihm türmen sich Jeans und Traineranzüge, vom Sonnenschirm hängen Hemden herunter, auf einem Stuhl steht eine Nähmaschine mit Handantrieb. «Das Geschäft läuft nicht schlecht», sagt der hagere Mann und lacht.

Der Mittdreissiger mit jugendlichem Gesicht ist Kleiderhändler, einer von Hunderten in Adjamé, einem Quartier in Abidjan. Wer in der Hauptstadt des westafrikanischen Küstenstaats Côte d’Ivoire neue Kleider braucht, kommt oftmals hierher. Auf dem riesigen Markt bieten laut Schätzungen täglich bis zu 50?000 Händlerinnen und Verkäufer ihre Ware an. Neu sind die Kleider, die hier auf kleinen Marktständen entlang der Strasse ausgelegt werden, aber selten. Meist handelt es sich um Secondhand-Ware, die in Industriestaaten gespendet wurde – nicht selten im Glauben, sie würde einem wohltätigen Zweck zugutekommen.

Tatsächlich aber wird nur ein geringer Teil der gespendeten Kleider gratis an Bedürftige verteilt. Die meisten Kleidungsstücke werden sortiert, in Ballen verpackt und in Entwicklungsländer verkauft – an Händler wie Barry.

«Europäische Qualität wird besonders geschätzt»

Er sei vor fünfzehn Jahren nach Abidjan gekommen, erzählt der junge Geschäftsmann. Nachdem sein Vater gestorben sei, habe er zu Hause in Tahoua keine Arbeit gefunden. Die Kleinstadt liegt im Zentrum Nigers, knapp 1500 Kilometer von der ivoirischen Küste entfernt. «Als ältester Sohn war es meine Pflicht, mein Glück anderswo zu suchen.»

In die fremde Grossstadt nahm er einzig eine kleine Nähmaschine mit, die er in der Heimat nach einer kurzen Ausbildung zum Schneider gekauft hatte. Barry begann ganz unten in der Hierarchie der Kleiderhändler in Adjamé: Er kaufte Hosen und Hemden mit Mängeln, einem Loch oder Riss etwa, flickte die Stücke und verkaufte sie zum Drei- oder Vierfachen des Kaufpreises weiter. «Toklo-Toklo» werden diese Schneider hier genannt. «Wie das Geräusch, das die kleinen Nähmaschinen machen», erklärt Barry.

Weil er fleissig gewesen sei und auch an den Wochenenden gearbeitet habe, habe er bald einen eigenen Marktstand betreiben können. Vier Jahre nach seiner Ankunft hatte Barry schliesslich genug Geld gespart, um direkt in das Importgeschäft einzusteigen. Seinen Marktstand betreibt er zwar weiterhin, sein Hauptgeschäft sei heute aber der direkte An- und Weiterverkauf der Kleiderballen.

Barry führt zu seinem Lager in einer engen Nebengasse. Im rund fünf Meter hohen Raum stapeln sich die eng zusammengeschnürten Bündel bis zur Decke. Er kaufe von einem Händler in Accra, der Hauptstadt des Nachbarlands Ghana. Wie er selber und die meisten anderen Kleiderhändler sei auch dieser ein Haussa, erklärt er. Vom dortigen Hafen würden die Kleider per Lastwagen nach Abidjan transportiert. Das sei aus steuerlichen Gründen günstiger, als sie direkt nach Abidjan zu verschiffen.

Wo die Kleider herstammen, zeigt ein Blick auf die Lieferscheine, die an einige der Ballen geheftet sind: Grossbritannien, Südkorea, Indien. Manchmal bekomme er auch Waren aus Deutschland und der Schweiz, sagt der Kleiderhändler. «Europäische Qualität wird bei den Kunden besonders geschätzt – oft sind gebrauchte Kleider von dort besser als Neuware aus China.»

Ein globales Milliardengeschäft

Der Altkleidermarkt ist in den letzten Jahren zum globalen Milliardengeschäft angewachsen. Das Gros der Kleider, die etwa in Europa in Sammelcontainer geworfen werden, wird zum Kilopreis weiterverkauft. Afrika ist der grösste Käufer. Zuletzt wurden Secondhand-Kleider im Wert von rund 1,2 Milliarden Dollar pro Jahr auf den Kontinent verschifft. Ghana, der grösste Abnehmer Afrikas und ein wichtiges regionales Verteilzentrum, importiert laut Schätzungen jährlich über 150?000 Tonnen Altkleider.

Als Zwischenhändler fungieren oft unbekannte Kleinbetriebe. Sie bieten Händlern wie Barry die Wahl zwischen verschiedenen Grobkategorien: Jeans für Frauen oder Männer, Kinderkleider, Unterwäsche oder T-Shirts. Die Preise variieren je nach Produkt: Für einen Ballen mit rund 300 T-Shirts zahlt der Ankäufer in Abidjan umgerechnet rund 215 Franken, für Hosen oder Kinderkleider deutlich mehr.

Was genau sich in den wetterfest verpackten Kleiderballen befindet, weiss der Käufer erst, wenn er ihn aufmacht. «Wenn du Glück hast, bekommst du eine gute Qualität und machst einen schönen Gewinn», meint Barry, «wenn die Ware kaputt ist, zahlst du manchmal obendrauf.» Deshalb sei der direkte Weiterverkauf der ungeöffneten Bündel insgesamt lukrativer und risikoarmer. Knapp zehn Prozent seines Kaufpreises schlägt der Nigrer beim Weiterverkauf darauf. Für die Betreuung des Lagers und das Austragen der Waren hat er inzwischen ein Dutzend Personen angestellt.

Was bleibt da am Ende des Monats übrig für ihn? Barry will keine Zahlen nennen. Buch führe er sowieso nicht. Alles sei hier oben, sagt er und tippt an seine Stirn. Zudem hörten die Konkurrenten vielleicht mit, und von denen gebe es hier viele. Deshalb will er auch nicht fotografiert werden. «Aber ja, es geht vorwärts», sagt Barry schliesslich. Immerhin habe er vor zwei Jahren seiner Mutter die Pilgerreise nach Mekka finanzieren können. Und letztes Jahr sei er selber hingefahren. «Ich habe sehr klein begonnen und habe hart gearbeitet. Wer weiss, wenn es so weitergeht, werde ich irgendwann Milliardär.»