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For a different development policy!

Beitrag vom 08.07.2020

FAZ

Nur noch geopolitische Interessen?

Deutschland will seine Entwicklungspolitik reformieren. Warum zieht sich Berlin aus einigen Ländern zurück?

Von Peter Carstens, Berlin

Neue Partnerschaften: Entwicklungsminister Gerd Müller im Berliner Zoo mit Giraffe Max
Neue Partnerschaften: Entwicklungsminister Gerd Müller im Berliner Zoo mit Giraffe Max dpa
Die deutsche Entwicklungspolitik soll sich stark verändern. Aus mehr als zwei Dutzend bisher geförderten ärmeren und armen Ländern will Deutschland sich demnächst zurückziehen. Darunter sind Burma und Burundi, Haiti, Nicaragua und Sierra Leone. Mit den anderen soll die Zusammenarbeit stärker an Reformbereitschaft und guter Regierungsführung orientiert werden sowie an neu definierten Kernthemen. Das unterstützen prinzipiell auch die Grünen, kritisieren aber eine herablassende, ignorante Haltung des Ministeriums gegenüber den betroffenen Ländern und sprechen von „stümperhafter Planung“ bei Minister Gerd Müller (CSU).

Im Entwicklungshilfeministerium dürfte man diese Kritik sehr aufmerksam registrieren, denn die Grünen könnten in einer künftigen Regierung im Auswärtigen Amt oder im Entwicklungshilfeministerium Verantwortung übernehmen. Vielleicht sogar in beiden Häusern, so wie das zuletzt bei der FDP während der Koalition mit der Union von 2009 bis 2013 der Fall war. Damals hatte die traditionell schlechte Kooperation der beiden Ministerien einige Verbesserung erfahren. Unter anderem bekamen Mitarbeiter des Entwicklungshilfeministeriums in den Botschaften eine feste Position und die Diplomaten damit Ansprechpartner. Eine Fusion der beiden Häuser, in anderen Ländern durchaus üblich, ist aber zumindest in der Amtszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel wieder verworfen worden, wegen der unterschiedlichen Kulturen, aber auch, weil nun alle Koalitionsparteien jeweils ein Ministerium mit internationalem Bezug haben: das Auswärtige Amt für die SPD, das Verteidigungsministerium für die CDU und für die CSU seit 2013 das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ). Zumindest eines, vielleicht sogar zwei dieser Ministerien würden die Grünen nach der Bundestagswahl 2021 übernehmen.

Auch deswegen ist das Interesse groß am Reformvorhaben, das Minister Müller Ende April in einem Papier skizziert hatte und dann unter der etwas spröden Überschrift „BMZ 2030“ präsentiert wurde. Neben der traditionellen Aufgabe, Hunger und Armut zu bekämpfen, soll sich die Zusammenarbeit mit Ländern in Afrika, Asien und Südamerika, aber auch am Rande der Europäischen Union demnach auf einige Kernthemen konzentrieren. Dazu zählen Friedenssicherung, Ausbildung und nachhaltiges Wachstum sowie Klima und Gesundheit. Ein neues Planungsverfahren soll die Arbeit in neuen „Partnerschaftskategorien“ erleichtern: bilaterale Partner, globale Partner bei der Lösung von Zukunftsfragen wie dem Klimaschutz und „Nexus- und Friedenspartner“, worunter Länder zu verstehen sind, die bei der Stabilisierung und Friedenssicherung unterstützt werden, etwa Irak, Jemen, Syrien, Kongo oder Libyen.

Eine gewisse Schockwirkung entfaltete das Papier vor allem in den Ländern, die demnächst nichts mehr bekommen sollen, jedenfalls nicht im Rahmen bilateraler Zusammenarbeit. In dem Papier heißt es, es sei „ganz klar: Menschen in den ärmsten Ländern, die von Hunger und Not bedroht sind, werden wir in allen Ländern weiter unterstützen.“ Die laufenden Maßnahmen würden „verantwortungsvoll zu Ende geführt“. Das allerdings ist aus Sicht der Grünen ein recht einseitiger Prozess. In einer kleinen Anfrage, die der F.A.Z. vorliegt, haben sie sich deshalb nach Einzelheiten der geplanten Reform, die aus ihrer Sicht weitgehend am Parlament vorbeigegangen ist, erkundigt. Sowohl der Obmann im Ausschuss, Ottmar von Holtz, als auch der Sprecher für Entwicklungspolitik, Uwe Kekeritz, sehen die Gefahr, dass „Scherbenhaufen vorprogrammiert“ sind. Die Bundesregierung „kippe“ neun der ärmsten Länder von der Liste, ohne dass mit diesen zuvor gesprochen worden wäre. Bei anderen sei das Kriterium der „geringen Signifikanz“, also die mangelnde Bedeutsamkeit der Zusammenarbeit, nicht mehr als „eine billige Ausrede“. Die neue Auswahl zeige, so von Holtz, das weniger qualitative Kriterien eine Rolle spielten als „geopolitische Interessen“. Das gilt aus seiner Sicht etwa für Länder an afrikanischen Flucht- und Migrationsrouten, die Partner bleiben, „ungeachtet ihrer oftmals autoritären Regierungsführung“. Das wecke, so der Grünen-Politiker von Holtz, den Verdacht, es gehe „vor allem um Migrationskontrolle“.

Kritik üben die Grünen auch am Verfahren, das Müller und seine Mitarbeiter wählten, um die Betroffenen über den Abzug zu informieren. Wie sich aus einer Liste des BMZ ergibt, waren von den 21 Ländern auf der Streichliste fast alle erst nach Veröffentlichung des BMZ-Planes mündlich und schriftlich entweder über das Auswärtige Amt oder über das BMZ informiert worden, Aserbaidschan etwa nur mündlich und erst im Juni. Das erinnere, so von Holtz, an eine frühere „koloniale Haltung“ und jedenfalls nicht an ein Gespräch auf Augenhöhe. Und auch, wenn den Betroffenen dabei geholfen werden soll, bisherige bilaterale Projekte in internationale teilweise zu überführen, sei das „Politik von oben herab“, so von Holtz und Kekeritz.

Bei sechs weiteren Ländern war bereits zuvor klar, dass die bilaterale Zusammenarbeit enden würde, etwa mit Costa Rica, das sich „erfreulicherweise so entwickelt“, dass direkte staatliche Unterstützung nicht mehr nötig sei. Bei anderen, Burma und Burundi werden als Beispiele genannt, wurden vereinbarte Reformen nicht umgesetzt. Mit der Beendigung unfruchtbarer Partnerschaften soll ein Zeichen gesetzt werden: Schlechte Regierungsführung und Korruption sollen nicht folgenlos bleiben. „Wegen Korruption fließen jedes Jahr allein aus Afrika 50 Milliarden Dollar illegal ab.“ Dagegen, so das Reformkonzept, wolle man „noch stärker angehen“. Der Etat des Entwicklungshilfeministeriums ist zuletzt, geknüpft an den Anstieg des Verteidigungsetats, stark gestiegen. Er beträgt rund 10,8 Milliarden Euro pro Jahr.