Beitrag vom 26.08.2020
Zeit Online
In Mali hat das Militär geputscht
Ist das ein Grund zum Feiern?
Von Issio Ehrich
Als malische Soldaten vergangene Woche ihre Regierung stürzten, forderte Außenminister Heiko Maas sofort "die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung". So wie zahlreiche Amtskollegen. Die UN verurteilten den Coup, der westafrikanische Staatenverbund Ecowas verhängte Sanktionen. Ein Militärputsch ist zu ächten – das gilt inzwischen als international anerkanntes Prinzip. Eigentlich ein Fortschritt.
Nur fragen sich die meisten Malier, so sie Maas’ Appell denn gehört haben, wovon dieser deutsche Politiker spricht. Eine "verfassungsmäßige Ordnung" herrscht schon lange nicht mehr.
Mali ist seit Jahren auf dem Weg zum "gescheiterten Staat". Den nun gestürzten Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta, auch IBK genannt, hatten die Malier deshalb schon seit Monaten mit Massenprotesten aus dem Amt zu jagen versucht.
Berlin, Brüssel und vor allem Paris, das in der Sahelregion zudem eine multinationale Militäroperation gegen islamistische Terrorgruppen anführt, stehen nun vor dem Dilemma: Wie umgehen mit Putschisten, die vom Volk bejubelt werden? Und die innerhalb der malischen Armee zu den wichtigsten Partnern des Westens im "Kampf gegen den Terror" zählen? Assimi Goita, Präsident des "Nationalkomitees zur Rettung des Volkes" – so nennen sich die neuen Machthaber –, ist Kommandant einer Eliteeinheit, er wurde unter anderem in den USA und in Deutschland ausgebildet.
Mali galt lange als eine afrikanische Erfolgsgeschichte. Nach dem Aufstand gegen eine jahrzehntelange Diktatur 1991 wurde eine demokratische Verfassung entworfen. Seither fanden regelmäßig Wahlen statt, es floss üppig Entwicklungshilfe, besonders aus Deutschland. Was niemand zur Kenntnis nehmen wollte: In Bamako wuchs die Korruption, während die Peripherie verarmte.
2012 eskalierte die Lage. Tuareg-Rebellen erhoben sich in Allianzen mit Islamisten im Norden und riefen einen eigenen Staat Namens "Azawad" aus. Schon damals putschten Militärs gegen eine Regierung, die der Krise nichts entgegenzusetzen hatte. In den Wirren des politischen Übergangs drohten Islamisten, das ganze Land zu überrennen. Auf malische Bitte hin stoppte die einstige Kolonialmacht Frankreich den Vormarsch. Wenig später entsandten UN und EU ihre Missionen.
In jenen Tagen übernahm Keïta das Präsidentenamt – zunächst als Hoffnungsträger. Doch die Sicherheitslage wurde immer prekärer. Inzwischen bedrohen IS- und Al-Kaida-nahe Gruppen auch die Nachbarländer Burkina Faso und Niger. Bei ihrer Expansion setzen sie nicht nur auf Gewalt, sondern instrumentalisieren ethnische Spannungen, wachsende Armut und die Wut der Menschen auf Korruption und Staatsversagen. Präsident Keïta erwies sich im Amt als Bremser, nicht als Reformer. Im Index für fragile Staaten, ermittelt von der Denkfabrik Fund For Peace, lag Mali 2012 auf Platz 79. Heute liegt es auf Rang 16.
Maas lobte noch die "Fortschritte" im Land
Über vier Millionen Menschen, ein Fünftel der Bevölkerung, sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, über 700.000 von Hunger bedroht. Im Zentrum des Landes reklamieren Bürgerwehren, die Bevölkerung vor Islamisten zu schützen, weil es der malische Staat nicht kann. Ebensolchen Milizen werden auch Massaker an Zivilisten vorgeworfen. Immer wieder wurde der Verdacht laut, dass es Absprachen zwischen Regierung und Bürgerwehren gab.
Zudem kritisierten malische und deutsche Militärs lange vor dem Putsch, dass Keïta und seine Regierung grundlegendste Reformen im Sicherheitsapparat verweigerten. So fehlt den malischen Streitkräften seit je ein System zum Personalmanagement. Niemand weiß genau, wie viele Männer und Frauen in der Truppe dienen – eine ideale Voraussetzung für korrupte Offiziere und Politiker, Soldzahlungen für Soldaten abzuschöpfen, die gar nicht existieren.
Was immer Berlin, Paris oder Brüssel in den vergangenen Jahren an politischem Druck ausgeübt haben mögen: Viel bewirkt haben sie nicht bei Keïta. Im Gegenteil, der Präsident durfte sich bestätigt fühlen. Anfang des Jahres ließ Keïta in Mali Parlamentswahlen stattfinden – trotz Corona-Pandemie, Terroranschlägen und der Entführung von Oppositionsführer Soumaïla Cissé während einer Wahlkampftour. Am Wahltag blieben denn auch die meisten Wähler zu Hause.
Schnell erhoben Opposition und NGOs den Vorwurf der Wahlfälschung. So entstand jene Protestbewegung namens M5-RFP, die Keïtas Rücktritt forderte. Außenminister Maas lobte jedoch noch im Juni die "Fortschritte" im Land, darunter die Parlamentswahlen.
Tausende Malier machten wenig später von Artikel 121 ihrer Verfassung Gebrauch, der ihnen ein Recht auf "zivilen Ungehorsam" gewährt, wenn die Republik in Gefahr ist. Keïta jedoch setzte im Juli Anti-Terror-Einheiten gegen Protestierende ein. Mindestens 14 Menschen starben. Vernehmbaren Protest aus Berlin gab es nicht.
Den Putschisten geht es offensichtlich nicht um den Zugang zu Geldtöpfen, sondern um ein annähernd funktionierendes Staatswesen – mit einer halbwegs funktionierenden Armee. Das "Nationalkomitee" hat versichert, dass die Abkommen mit den UN, der EU, sowie die Anti-Terror-Operation mit Frankreich und anderen Sahelstaaten weiter Bestand haben. Nur innenpolitisch soll alles auf den Prüfstand gestellt werden. Wie ein Übergang zu einer zivilen Regierung vonstattengehen soll, ist noch völlig unklar. Anfang der Woche war plötzlich von einer dreijährigen Übergangszeit unter einer Militärregierung die Rede, was das "Nationalkomitee" wenig später dementierte. Dagegen würde nicht nur das Ausland, sondern auch die zivile Opposition Sturm laufen.
So unübersichtlich die Lage derzeit noch sein mag – der Coup bietet eine Chance für Mali und eine Lehre für das Ausland. Jahrelang sahen die westlichen Verbündeten über die grassierende Korruption hinweg, weil Keïta sich als Verbündeter im "Krieg gegen den Terror" ausgab. Berlin muss den Putsch nicht ausdrücklich gutheißen, um zu signalisieren: Wir haben verstanden, dass diese Politik mehr Schaden als Nutzen angerichtet hat. Und dass die Malier vielleicht selbst am besten wissen, wie man eine verfassungsmäßige Ordnung wiederherstellt.