Skip to main content
For a different development policy!

Beitrag vom 28.02.2021

Hessischer Rundfunk, hr-iNFO

Sklavenhandel in Afrika - Eine verborgene Geschichte

von Rebecca Hillauer

Im Februar wird in den USA traditionell der Black History Month gefeiert.
In vielen Veranstaltungen wird in diesem Monat an die Bedeutung der
Schwarzen für die amerikanische Geschichte erinnert.
Eine Geschichte, die mit etwa 12 Millionen Schwarzafrikanern beginnt,
die als Sklaven nach Amerika verschleppt wurden.
Dieser transatlantische Sklavenhandel steht heute fast ausschließlich im
Fokus, wenn es um Sklaverei und Rassismus geht. Dabei existierte
schon lange vorher ein innerafrikanischer Sklavenhandel:
Afrikaner jagten andere Afrikaner und verkauften ihre Opfer - an
muslimische Sklavenhändler.

Mit der Islamisierung entstand in Afrika das erste weltumspannende
System für Menschenhandel. Die Sklaven mussten zu Fuß durch die
Sahara marschieren und wurden - wenn sie überlebten - auf die
arabische Halbinsel verschifft oder später auch nach Amerika
weiterverkauft. Historiker sprechen von bis zu 17 Millionen Menschen
die auf diese Weise verschleppt wurden. Die europäischen
Kolonialmächte beuteten ihre Kolonien zwar rücksichtslos aus,
beendeten aber den innerafrikanischen Sklavenhandel - ein System das
weit über tausend Jahre bestand. In der afrikanischen und islamischen
Welt wird dieser Teil der Vergangenheit heute weitgehend
totgeschwiegen. Rebecca Hillauer beleuchtet in ihrem Wissenswert ein
verborgenes Stück Geschichte.

(Sp 01) Sprecher
„Der arabische Theil der Bevölkerung hier lebt vom Sklavenhandel. Alle
Soldaten und die übrigen Sultansbeamten sind Helfershelfer und
empfangen ihren Antheil am Raube.“

(A 01) Autorin
So beschreibt am 16. August 1888 Freiherr von Eberstein seine
Erfahrungen im heutigen Tansania. In der Hafenstadt Lindi leitet er die
Station der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft.
[[Im Landesinnern werden Schwarzafrikaner von anderen Afrikanern
gejagt und an arabische Sklavenhändler verkauft, die sie über das Rote
Meer und den Indischen Ozean weiter verschiffen.]]
Der Freiherr ist erschüttert. Denn seit der sogenannten Berliner KongoAkte von 1885 ist Sklaverei völkerrechtlich verboten. Doch in Afrika geht
der Menschenhandel überall dort weiter, wo die Kolonialmächte
militärisch oder politisch keinen Zugriff haben. Dies sogar noch bis ins
20. Jahrhundert.

Take 01: Egon Flaig
Sklaverei bedeutet, dass Menschen in extreme Unfreiheit versetzt
werden können - und das ein sozial akzeptiertes Verhältnis ist.

(A 02) Autorin
So definiert Egon Flaig, bis zu seiner Emeritierung an der Universität
Rostock Ordinarius für Alte Geschichte, Sklaverei: als eine sozial und
gesellschaftlich anerkannte Institution.

Take 02: Egon Flaig
Alle sehen es, alle billigen es. Der Unterschied etwa zur
Zwangsprostitution ist, wie die Behörden reagieren. Die Prostituierte, die
entflieht und aufs Polizeikommissariat geht, wird nicht zurückgebracht
zu ihrem Peiniger, sondern der Peiniger wird gejagt. Wäre sie seine
Sklavin, würde die Polizei sie in Ketten legen und sie ihrem Besitzer
zurückgeben.

(A 03) Autorin
In seinem Buch „Weltgeschichte der Sklaverei“ beschreibt Egon Flaig die
islamische Sklaverei als die umfassendste, die sowohl die Sklaverei in
der Antike als auch die in den späteren USA weit in den Schatten stellt.

Take 03: Egon Flaig
[[Immer schon, seit es dokumentierte Menschheit gibt, finden wir
Sklaverei. Allerdings war diese Sklaverei in hohem Maße regional.]] Was
die muslimische Sklaverei auszeichnet, ist, dass es dem Islam gelingt,
ein Weltsystem zu schaffen. Das liegt an der geographischen Lage. An
der optimalen Lage an der Grenze zu Afrika, Zentralasien und Südasien -
und mit Einfluss nach Europa.

(A 04) Autorin
Der Islam entsteht im frühen 7. Jahrhundert auf der arabischen
Halbinsel. In einer Gesellschaft, in der Sklaverei allgegenwärtig ist.
Seit fünf Jahrhunderten schon exportieren arabische Sklavenhändler
von Kolonialstädten an der ostafrikanischen Küste aus schwarze
Sklaven. Über den Indischen Ozean verschiffen sie die afrikanischen
Sklaven nach Nordarabien, nach Persien oder in den Irak, wo die erste
Plantagenwirtschaft der Welt aufgebaut wird.

(A 05) Autorin
Weder im Koran noch in den Hadithen, den überlieferten Aussprüchen
des Propheten Mohammed, findet man Grundsätzliches zur Sklaverei.
Darauf weist Tilmann Nagel hin. Er war bis zu seiner Emeritierung
Professor für Islamwissenschaft und Arabistik in Göttingen.

Take 04: Tilmann Nagel
Dass sich Personen im Eigentum anderer Personen befinden, ist für die
Gesellschaft des frühen Islam und auch später eine
Selbstverständlichkeit. Und insofern nimmt der Koran auf die Sklaverei
schon Bezug, aber auf etwas, das selbstverständlich existiert und nicht
begründet oder eigens reformiert werden muss. Es ist einfach da.

Take 05: Mouhanad Khorchide
Im Koran lesen wir jetzt keine Maßnahmen, wie man zu Sklaven kommt,
aber auch kein Verbot von Sklaverei.

(A 06) Autorin
Sagt auch Mouhanad Khorchide [sprich: Muhánnad Korschied]. Er lehrt
als Professor für islamische Religionspädagogik an der Universität in
Münster. Allerdings regle der Koran durchaus, wie ein Sklave den Status
eines Freien erlangen könne. Zum Beispiel:

Take 06: Mouhanad Khorchide
Wenn man sündigt. Wenn man ein Versprechen nicht erfüllt, also man
verspricht im Namen Gottes, etwas zu machen und macht es nicht. Dann
heißt es in der fünften Sure, Vers 89, dann sollte man als Buße einen
Sklaven freikaufen.

(A 07) Autorin
Die Bedingungen und Umstände von Sklaverei und Versklavung werden
erst im islamischen Recht, der Scharia, systematisiert, erklärt Tilmann
Nagel:

Take 07: Tilmann Nagel
Man formt dann ein Rechtssystem der Sklaverei, das wirklich die
einzelnen Bestimmungen verdeutlicht. Was darf ein Sklave, der seinem
Herrn zu Gehorsam verpflichtet ist, aus eigenem Antrieb? Darf der Herr
ihm bestimmte Aufgaben übertragen? Darf ein Versklavter eine Ehe
eingehen?

(A 08) Autorin
Was also genau sagt die Scharia über Sklaverei? Mouhanad Khorchide
fasst es so zusammen:

Take 08: Mouhanad Khorchide
Da finden wir im klassischen islamischen Recht, dass die Mehrheit der
Schulen Sklaverei erlaubt hat. Wahabitische Gelehrte in Saudi-Arabien
haben bis hinein ins 20. Jahrhundert Sklaverei erlaubt. Und das so
begründet, dass früher zu Prophet Mohammeds Zeit Kriegsgefangene in
die Sklaverei genommen wurden. Und die berufen sich ja darauf.

(A 09) Autorin
Tatsächlich waren Kriege die Hauptquellen der Versklavung.
Wenn sich rivalisierende muslimische Stämme oder Völker bekriegten,
wurden auch muslimische Kriegsgefangene versklavt. Die meisten
Kriege wurden jedoch gegen Nicht-Muslime geführt, konstatiert der
Althistoriker Egon Flaig:

Take 09: Egon Flaig
Die Muslime folgten der religiösen Pflicht zum Dschihad, dem Krieg zur
Unterwerfung aller nicht muslimischen Völker. Und sie eroberten in
einmaliger Schnelligkeit von 635 bis 720 ein riesiges Gebiet von Spanien
und vom Senegal bis nach Indien. Vom Tschadsee bis zum Kaukasus und
zum Hindukusch. Sie errichteten dabei das größte und langlebigste
sklavistische System der Weltgeschichte.
9
(A 10) Autorin
Die Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide und Tilmann Nagel
nennen dafür die theologischen Begründungen:

Take 10: Mouhanad Khorchide
Das islamische Recht hat das auch so klar auch formuliert, dass ein
Muslim einen Nicht-Muslim zum Sklaven nehmen darf. Aber umgekehrt,
dass ein Nicht-Muslim den Muslimen zum Sklaven nimmt - das darf er
nicht. Die Muslime haben dann die Pflicht, ihn zu befreien, diesen
Sklaven - unbedingt.

Take 11: Tilmann Nagel
Die Vorstellung, dass der Mensch an sich frei geboren worden ist - die
existiert im Islam nicht. Die Freiheit des Menschen ist nicht in der
Existenz des Menschen selbst verankert, sondern ist durch Allah
zugeteilt. Und zwar teilt er die den Muslimen mit, weil die anerkennen,
dass sie seine Knechte sind. Die anderen, die eben Allah nicht als solche
erkennen, die können zur Strafe von den Muslimen in den Sklavenstatus
herabgedrückt werden. [[Das ist die, sagen wir mal, metaphysische
Begründung für das Sklaventum.]]

(A 11) Autorin
Der Nachschub an Sklaven kam vom südlichen Rand des christlichen
Europas, aus dem Kaukasus, aus Indien und – vor allem – aus Afrika.
Der Teil des Kontinents südlich der Sahelzone, also Schwarzafrika,
wurde zum größten Sklavenlieferanten des Globus. Der Althistoriker
Egon Flaig:

Take 12: Egon Flaig
Zwar waren die meisten süd-saharischen Gesellschaften längst
Sklavengesellschaften. Aber die islamische Kolonisierung veränderte
alles. Entlang des Sahelgürtels entstanden islamisch verwaltete
Sultanate und Emirate. Diese Staaten bejagten unterbrechungslos ihre
nicht-muslimischen Nachbarn.

(A 012) Autorin
Der innerafrikanische Sklavenhandel spielte schon damals eine große
wirtschaftliche Rolle, betont auch der Theologe John Azumah aus Ghana.
Azumah wurde als Muslim geboren und konvertierte mit 17 Jahren zum
Christentum.

Take 13: John Azumah
Slavery was a very important part of economic expansion in West Africa.
… ...and imposed Islamic rule over them.

(VO 01) Sprecher
Die Sklaverei war ein wesentlicher Teil der wirtschaftlichen Expansion in
Westafrika. Dennoch geben viele Muslime nicht einmal zu, dass es
überhaupt eine islamische Kolonisierung gab. Die gab es aber in dem
Sinn, dass dominante muslimische Stämme schwächere Stämme
eroberten und ihnen ihre Herrschaft aufzwangen.

(A 13) Autorin
Durch die Islamisierung wurden die afrikanischen Könige zu Mittätern.
Wer sich dem Islam unterwarf, konnte der Versklavung entgehen. Für
die meisten war dies der Grund für die Kollaboration. Bis Anfang des 10.
Jahrhunderts waren alle Bewohner der Sahara zum Islam konvertiert.

(A 14) Autorin
Mit der Karawane kam eine neue Form des Massentransports auf. Sie
brachte den transsaharischen Sklavenexport.
Wochenlang mussten die eingefangenen Menschen durch die Wüste
marschieren, angetrieben von arabischen Sklavenhändlern.
Die Todesrate war enorm hoch. Wissenschaftler schätzen sie auf
20 bis 30 Prozent

(A 15) Autorin
Die Europäer spielten bei dem brutalen Geschäft eine marginale Rolle.
Denn bei der Versklavung gilt es, drei Akteure zu unterscheiden: den
Sklavenjäger, den Sklavenhändler und den Sklavenhalter. Die Europäer
in Afrika, so berichtet Egon Flaig, hätten Sklaven verschifft, aber nicht
versklavt.

Take 14: Egon Flaig
Die Versklavungsprozesse in Afrika waren innerafrikanische Kriege.
Geführt im ganzen Sahel. 6.000 Kilometer. Das war das
Versklavungsgebiet. Der Großteil kam in den islamischen Kernbereich,
und ein kleinerer Teil ging an die Küsten. Und an den Küsten wurden sie
an Afrikaner verkauft und an Europäer weiterverkauft.

(A 16) Autorin
Der Theologe John Azumah ist der weitverbreiteten Vorstellung
nachgegangen, Muslime hätten Sklaven besser behandelt als
europäische oder amerikanische Sklavenhändler und -halter.

Take 15: John Azumah
That is not necessarily the case. ... …many of the male black slaves
taken into the Islamic world were castrated at eunuchs.

(VO 02) Sprecher
Das stimmt so aber nicht. Einer der Hauptunterschiede war, dass die
Sklaven, die in den Westen gebracht wurden, heiraten, sich fortpflanzen
und Familien haben konnten. Deshalb gibt es heute so viele
Afroamerikaner in Nordamerika und in der Karibik. In der islamischen
Welt finden Sie nur sehr wenige schwarze Nachkommen des
Sklavenhandels, obwohl der sehr massiv war. Und einer der Gründe
dafür ist, dass viele der männlichen Sklaven, die in die islamische Welt
gebracht wurden, als Eunuchen kastriert wurden.

(A 17) Autorin
Die grausame Prozedur überlebte nur einer von fünf. Handelten die
Araber aus rassistischen Gründen und wollten deshalb nicht, dass
Schwarzafrikaner in ihren Ländern Kinder zeugten? Führt also
Rassismus zur Sklaverei? Oder verhält es sich umgekehrt? Lange
stritten Wissenschaftler über diese Frage. Inzwischen, meint Egon Flaig,
seien die international anerkannten Sklavereiforscher sich einig: Es ist
die Sklaverei, die zu Rassismus führt.

Take 16: Egon Flaig
Der versklavte Mensch ist Eigentum. [[Meistens wird er ferngehalten von
qualifizierten Berufen. Das heißt,]] er nimmt Positionen ein und übt
Tätigkeiten aus, von denen man weiß, dazu gehört nicht viel. Es ist
vollkommen logisch, dass solche Menschen wahrgenommen werden als
nicht gleichwertig. Und zwar nicht nur rechtlich nicht gleichwertig.
Sondern sie werden wahrgenommen als von Natur aus minderwertig.
Nichts anderes ist der Kern des Rassismus. Und genau das produziert
die Sklaverei.

(A 18) Autorin
Egon Flaig meint jedoch ebenso: Afrika ist ein Sonderfall. Zum einen
wurden im Zuge der islamischen Kolonisation immer mehr Afrikaner
Muslime. Zum anderen riss der Bedarf an Sklaven nicht ab. Schließlich
seien sogar schwarze Muslime gezielt gejagt und versklavt worden,
obwohl das islamische Recht dies eigentlich verbiete. Den Grund sieht
nicht nur der Althistoriker Egon Flaig in einem Rassismus der Araber
gegenüber dunkelhäutigen Menschen.

(A 19) Autorin
Im Jahr 1614 schreibt ein schwarzer Rechtsgelehrter in Mali gegen
diesen Rassismus eine Fatwa, also ein islamisches Rechtsgutachten.
Ahmad Baba hatte miterlebt, wie hellhäutige Marokkaner aus dem
islamischen Nordafrika die muslimische Metropole Timbuktu zerstörten
und versklavten. In seiner Fatwa stellt er die orthodoxe islamische Lehre
über den arabischen Rassismus.

(Sp 02) Sprecher
Der Grund der Sklaverei ist der Unglaube. (...) Wer auch immer als
Ungläubiger gefangen genommen wird, darf nach dem Recht in Besitz
genommen werden. Aber keinesfalls derjenige, der aus freiem Willen
zum Islam übertrat von Anfang an, gleichgültig, welchem Volk er
angehört. (...) Diese sind freie Muslime, die zu versklaven auf keine
Weise gestattet ist.]]

(A 20) Autorin
Ob Muslim oder Nicht-Muslim: Versklavte wurden entmenschlicht,
rechtlich zu einer Sache erniedrigt und ihrer Identität beraubt. Sogar
Militärsklaven wagten keinen Aufstand. [[Die Konsequenzen waren
dramatisch:]] Dem islamischen Kerngebiet verschaffte der
Sklavenimport eine wirtschaftliche und militärische Vormachtstellung.
Die bejagten Gebiete bluteten derweil immer mehr aus, betont Egon
Flaig.

Take 17: Egon Flaig
Wichtig ist zu wissen, dass die Abolition ausschließlich ein europäisches
Projekt war. Außerhalb der europäischen Kultur hat es niemals eine
abolitionistische Ideologie gegeben. Und wenn man die Ideologie
nachverfolgt, woher sie kommt, dann findet man die ersten Zeugnisse im
spätantiken Christentum. Und zwar bei religiösen Minderheiten. Und es
blieben religiöse Minderheiten, die permanent, auch über das Mittelalter
hinweg, die Sklaverei anklagten.

(A 21) Autorin
1794 verbot Frankreich die Sklaverei auf seinen gesamten Territorien,
konnte wegen der Revolutionskriege das Verbot aber nicht durchsetzen.
1807 untersagte Großbritannien den Handel mit Sklaven im gesamten
Empire. Die Briten errichteten eine europäische Seeblockade, um
Sklavenschiffe abzufangen. Wenn man die Zufuhr abschneidet, dann
bricht das System zusammen. So dachte man. Das aber war ein Irrtum.
Die Versklavungskriege zu Land gingen weiter. Egon Flaig:

Take 18: Egon Flaig
Um die Sklaverei auszutrocknen, musste man das Versklaven selber
unterbinden. Das heißt schlicht, in Afrika selber intervenieren.

(A 22) Autorin
Doch die islamischen Eliten empfanden es als Zumutung, dass sie keine
Sklaven mehr haben sollten. Und sie wehrten sich heftig. Ein markantes
Beispiel ist der sogenannte Araberaufstand im späteren DeutschOstafrika. Er dauerte von 1888 bis 1889. Claudia Lederer, Rechts- und
Islamwissenschaftlerin:

Take 19: Claudia Lederer
Sultan Bargasch war verschrien als jemand, der Nicht-Muslime hasst
wie die Pest. Nicht nur die Deutschen, sondern alle Europäer sollten
vertrieben werden, damit man weiter ungestört seinen Sklavenhandel
betreiben kann. Der machte vom Staatshaushalt des Sultans einen sehr
großen Prozentsatz aus - mindestens Dreiviertel. Das heißt also, es wäre
ohne den Sklavenhandel die wirtschaftliche Grundlage des Sultanats
weggebrochen.

(A 23) Autorin
Claudia Lederer hat die Geschichte des Araberaufstands erforscht.
Dazu wertete sie vor allem Primärquellen in verschiedenen Sprachen
aus, darunter tausende von Akten des deutschen Reichskolonialamts.
Laut diesen Zeugnissen begann der Sultan von Sansibar Gerüchte zu
streuen, die Deutschen wollten die Herrschaft übernehmen und alle
Sklaven frei lassen, und stachelte die Einheimischen zum Widerstand an.

Take 20: Claudia Lederer
Die haben gedacht, da kommen jetzt Eroberer, die wollen alles
umkrempeln. Sie werden alle zwangschristianisiert. Es kamen Scharen
mit Kämpfern daher, das waren teils zwar Söldner, aber auch arabische
Sklavenjäger und -händler von außerhalb. Die wurden alle
zusammengezogen, um die Europäer, die Christen, die Fremden
loszuwerden.

(A 24) Autorin
In der islamischen und afrikanischen Welt ist dieses Kapitel der
gemeinsamen Geschichte bis heute ein Tabu. 2020 offenbarte die
nigerianische Journalistin und Schriftstellerin Adaobi Tricia Nwaubani
[sprich: Adaóbi Trischa Nwaubáni] in der BBC, dass ihr Urgroßvater ein
Sklavenhändler gewesen war.

(Sp 03) Sprecherin
Das Kaufen und Verkaufen von Menschen (… ) hatte schon lange vor der
Ankunft der Europäer stattgefunden. (…) Der erfolgreiche Verkauf von
Erwachsenen wurde als eine Heldentat angesehen, für die ein Mann mit
Lobeshymnen gefeiert wurde, ähnlich wie Heldentaten im Ringen, im
Krieg oder bei der Jagd auf Tiere wie den Löwen.

(A 25) Autorin
Obwohl Nwaubani Adaobi Tricia die Praxis der Sklaverei verurteilt, bittet
sie um Nachsicht für ihren Vorfahren:

(Sp 04) Sprecherin
Es wäre unfair, einen Mann des 19. Jahrhunderts nach den Prinzipien
des 21. Jahrhunderts zu beurteilen. [[Die Vorstellung "alle Menschen
sind gleich geschaffen" war der traditionellen Religion und dem Gesetz
in seiner Gesellschaft völlig fremd.]]

(A 2) Autorin
Die gleiche Messlatte sollte auch gegenüber den einstigen europäischen
Kolonialisten gelten, meint der Ghanaer John Azumah. Doch statt
Selbstkritik zu üben, richteten muslimische Afrikaner und Araber ihre
Aufmerksamkeit lieber auf die Schuld der Europäer und Amerikaner.
Auch in der westlichen Forschung sei vor allem die Rolle europäischer
Nationen in der Geschichte der Sklaverei omnipräsent. Eine gefährlich
einseitige Sicht, die, so argumentiert John Azumah, den Islamisten in die
Hände spiele.
Take 21: John Azumah
Back in the 90s, Western academics were shying away… ... contributed
to by Western scholarship and academia on the works of Islam in Africa.

(VO 03) Sprecher
Seit den 90er Jahren zensieren sich westliche Akademiker selbst bei
diesen schwierigen Themen. Bei der mit dem Dschihad verbundenen
Gewalt und der Sklavenjagd und dem Sklavenhandel, der von
muslimischen Gesellschaften in Afrika sehr massiv betrieben wurde.
Viele radikale muslimische Gruppen berufen sich auf die romantisierten
Geschichten über den Islam, zu denen westliche Akademiker
beigetragen haben.

(A 27) Autorin
Heutzutage beten Millionen von Afrikanern in Moscheen, obwohl ihre
Vorfahren im Namen des Islam geknechtet wurden. Andere fordern von
den früheren Kolonialmächten eine finanzielle Wiedergutmachung.
Junge Aktivisten in Europa verlangen wiederum von Museen die
Rückgabe afrikanischer Artefakte an die einstigen Kolonien.
In Deutschland zuletzt, als Gegenstände in das Humboldt-Forum in
Berlin überführt werden sollten. Nach Ansicht von Karl-Heinz Kohl, der
bis zu seiner Emeritierung an der Goethe-Universität in Frankfurt am
Main Ethnologie lehrte, muss man bei dieser Debatte die aktuellen
gesellschaftlichen Verhältnisse im postkolonialen Afrika
mitberücksichtigen.

Take 22: Karl-Heinz Kohl
Das große Problem in vielen afrikanischen Ländern ist bis heute das
sogenannte Nation Building. Die Herausbildung eines gemeinsamen
Nationalbewusstseins, das die ethnischen Grenzen, die eben die
Gesellschaften dort immer noch kennzeichnen, transzendiert. Und die
Gegenstände, die besonders schönen Gegenstände nun auch, von
einzelnen dieser Gruppen dort auszustellen, das würde ein
Ungleichgewicht schaffen und doch einige Unruhe in diese
Gesellschaften bringen.

(A 28) Autorin
Aktuell, so Karl-Heinz Kohl, gäbe es lediglich aus zwei afrikanischen
Staaten, Kamerun und Nigeria, offene Rückgabeforderungen.
Doch Eigentumsrechte sind in Afrika häufig schwer zu bestimmen.
So erheben außer den beiden Regierungen auch private Akteure und
lokale Stämme einen Anspruch auf die Artefakte. Tansania, das
ehemalige Deutsch-Ostafrika, hatte 2019 eine Rückgabe sogar
abgelehnt. Natürlich müsse man Restitutionsforderungen von
afrikanischer Seite nachkommen, meint Karl-Heinz Kohl. Einseitigen
Forderungen deutscher Aktivisten erteilt der Ethnologe dagegen eine
Absage.

Take 23: Karl-Heinz Kohl
Was mich stört an der gegenwärtigen Diskussion, ist diese Attitüde des
Sprechens für jemand anderen. Die Aktivisten übernehmen eine
paternalistische Rolle, indem sie sagen "Wir sprechen für Afrika."
Warum lässt man die Leute in Afrika nicht für sich selbst sprechen?
[[Die afrikanischen Politiker, die Könige der verschiedenen ethnischen
Gruppen, die können sich selbst artikulieren.]]

(A 29) Autorin
Eine vergleichbare verzerrte Wahrnehmung sieht Egon Flaig auch in
Bezug auf die Kolonialgeschichte und die Sklaverei. Sklaverei wäre in so
gut wie allen Hochkulturen, und auch in sogenannten primitiven
Kulturen, der Normalzustand gewesen. Daher bedeute ihre Abschaffung
den größten Kulturbruch in der Menschheitsgeschichte. Und der
Kolonialismus sei der Preis dafür.

Take 24: Egon Flaig
Das größte Unrecht begangen haben diejenigen, die Menschen aus dem
Zustand des Freiseins versetzt haben in den Zustand radikaler
Unfreiheit. Mit anderen Worten, die Versklaver müssten am meisten
entschädigen.

(A 30) Autorin
Die Versklaver waren allerdings Afrikaner. Folgt man der Logik
Egon Flaigs, müssten also deren afrikanische Nachfolgestaaten
Wiedergutmachung leisten. Der gewaltsame Kampf ihrer Vorfahren zur
Verteidigung der Sklaverei wird nach Ansicht von Egon Flaig in der
aktuellen Kolonialismus-Debatte jedoch allzu oft ausgeblendet. Und
noch mehr: zu einem afrikanischen „Anti-Kolonialismus“ umgedeutet.
Diesem Narrativ widerspricht der Althistoriker aufs Schärfste. Weil man
damit die Schuld einseitig bei den Europäern suche.

Take 25: Egon Flaig
Die Schuld wäre die, polemisch gesagt, in Afrika interveniert zu haben,
um die Sklaverei abzuschaffen. Und das mit militärischen und
politischen Mitteln. Nicht zimperlichen Mitteln. Das wäre unsere Schuld.

(A 31) Autorin
Die islamischen Länder schafften die Sklaverei offiziell erst im
20. Jahrhundert ab. Etwa Persien 1928, die Türkei 1933 und SaudiArabien 1962. Doch Papier ist geduldig. Nur ein verändertes
Bewusstsein könne bewirken, dass in allen islamischen Ländern die
Sklaverei auch de facto beendet wird. Davon sind der
Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide und der Theologe John
Azumah überzeugt.

Take 26: Mouhanad Khorchide
Man muss auch bestimmte Positionen innerhalb der etablierten
Rechtsschulen verwerfen. Und sagen: „Das war mal in anderen
historischen Kontexten. Und unabhängig davon, ob wir eine Mehrheit
oder Minderheit sind, ob wir in einem islamischen Staat sind oder nicht.
Das gilt für uns heute nicht mehr.“

Take 27: John Azumah
Africans have to get a more holistic history of their past. (…) That is the
only way to move forward in this is.

(VO 04 ) Sprecher 2
Wir Afrikaner müssen eine ganzheitlichere Geschichte unserer
Vergangenheit bekommen. Wir müssen unsere Geschichte kritisch
studieren - statt sie zu leugnen und zu romantisieren. Erst dann können
wir, gemeinsam, in eine sinnvolle Zukunft gehen. Das ist der einzige
Weg.