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Beitrag vom 16.04.2021

NZZ

Die öffentliche Entwicklungshilfe klettert trotz Corona-Krise auf ein Rekordniveau

Die Entwicklungshilfe der Industriestaaten zeigt sich krisenresistent. Sie ist 2020 auf ein Rekordniveau gestiegen. Doch mehr Hilfe bedeutet nicht immer mehr Entwicklung. Diese unbequeme Tatsache geht in der internationalen Zusammenarbeit oft unter.

Thomas Fuster

In Krisen ist sich jeder selbst der Nächste. Diese Beobachtung gilt auch für die Corona-Pandemie, etwa mit Blick auf die Beschaffung von Schutzmaterialien oder Impfstoffen. Die Abschottung ging in den Industriestaaten aber nicht so weit, dass die öffentliche Entwicklungshilfe hintangestellt wurde. Schätzungen der Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) zeigen vielmehr, dass die Zahlungen der 29 Mitglieder des OECD-Entwicklungshilfeausschusses (DAC) im letzten Jahr um real 3,5% auf rekordhohe 161,2 Mrd. $ zulegten.

Ein Prozent der Corona-Hilfen

Ist das nun viel oder wenig Geld? Wenig überraschend gehen die Meinungen auseinander. Der Generalsekretär der OECD, Ángel Gurría, sieht das Glas eher halb leer. Dies deshalb, weil die reichen Staaten rund um den Globus bisher gegen 16 Bio. $ für den Kampf gegen die Corona-Pandemie aufgewendet hätten, die für die Entwicklungshilfe bereitgestellten Mittel aber nur 1% dieser Summe ausmachten. Ferner wird darauf hingewiesen, dass 2020 zwar die Entwicklungshilfe zunahm, dafür aber alle anderen Geldflüsse in Entwicklungsländer, etwa über Handel, Direktinvestitionen oder Rimessen, zurückgingen.

Im Vergleich mit den Schuldenbergen, die im vergangenen Jahr aufgrund der Pandemie weltweit aufgetürmt wurden, mutet aber fast jede Zahlung bescheiden an. Insofern überzeugt der Einwand von Gurría nur beschränkt. Tatsache bleibt, dass die im Jahr 2020 von den DAC-Staaten gesprochene Entwicklungshilfe nicht nur absolut, sondern auch in Relation zur Wirtschaftskraft zugenommen hat, und zwar von 0,30 auf 0,32% des Bruttonationaleinkommens (BNE). Das gilt auch für die Schweiz, wo die Quote von 0,42 auf 0,48% gestiegen ist.

Hohe Krisenresistenz

Dieser relative Anstieg verdankt sich aber nicht ausschliesslich höheren Zahlungen, obschon von den 29 DAC-Staaten immerhin 16 ihre Beiträge erhöhten. Auch der Nenner muss berücksichtigt werden. Der konjunkturelle Abschwung im Zuge der Pandemie führte dazu, dass auch das BNE an Gewicht verlor. Eine fixe Summe an Entwicklungshilfe erscheint somit aus relativer Betrachtung höher als im Vorjahr. Für den Fall der Schweiz war der Effekt dieses Abschwungs aber kleiner als die 263 Mio. Fr., die das Land 2020 zusätzlich für Entwicklungshilfe aufwendete.

Insgesamt zeigt sich erneut, dass die Entwicklungshilfe relativ krisenresistent ist. Ihr Betrag hat sich seit 2000 real mehr als verdoppelt. Die Finanz- und Euro-Krise führte zwar temporär zu leichten Rückgängen. Die gesprochenen Gelder erholten sich aber bald wieder. Dies hatte teilweise auch mit der europäischen Flüchtlingskrise von 2015 und 2016 zu tun, zumal die DAC-Mitgliedstaaten bestimmte Kosten für die Unterstützung von Flüchtlingen, Asylsuchenden und vorläufig aufgenommenen Personen der Entwicklungshilfe anrechnen können.

Input statt Output im Fokus

Irritierend wirkt in der entwicklungspolitischen Diskussion die hohe Bedeutung, die der Uno-Zielvorgabe von 0,7% des BNE beigemessen wird. Die Uno hatte diese willkürliche Referenzgrösse 1970 erstmals für die Geberstaaten formuliert. Seither wird nach Vorlage der DAC-Zahlen stets aufgelistet, wer zu den «vorbildlichen» Gebern gehört, weil er die Marke übertrifft, und wer seiner Verantwortung angeblich nicht gerecht wird; im Jahr 2020 gehörten Schweden, Norwegen, Luxemburg, Dänemark, Deutschland und Grossbritannien zu den «Vorbildlichen».

Irritierend ist der Fokus auf die Geberquoten deshalb, weil der Erfolg von Entwicklungshilfe selbstverständlich nicht am Aufwand gemessen werden kann, sondern nur am Ergebnis. Dieser Aspekt wird oft ignoriert und die Quantität mit deren angeblicher Qualität gleichgestellt. Ein wichtiger Grund für diese Verkürzung dürfte sein, dass sich Ökonomen seit Jahren damit schwertun, einen klaren Einfluss der Entwicklungshilfe auf das Wirtschaftswachstum oder auf die Armutsreduktion nachzuweisen. Da ist die Versuchung gross, anstelle des (unsicheren) Outputs den exakt messbaren Input ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit zu rücken.