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Beitrag vom 30.08.2021

FAZ

Wo ist das ganze Geld für Afghanistan geblieben?

Hunderte Milliarden Dollar Entwicklungshilfe haben kaum geholfen / Gelder versickern in Briefkastenunternehmen in Steueroasen

wvp.Washington In Afghanistan sind nicht nur die ausländischen Militärs gescheitert, sondern auch die Entwicklungshelfer. Die USA allein haben in den vergangenen 19 Jahren 144 Milliarden Dollar in Militärhilfe und den Wiederaufbau gesteckt. Rund 60 Prozent wurden zwar in die militärische Sicherheit gesteckt, mit 25 Prozent aber sollten Regierungsinstitutionen entwickelt und am Laufen gehalten werden, der Rest wurde für humanitäre Hilfe und zivile Projekte ausgegeben. Das ist einer aktuellen Analyse des Wissenschaftlichen Dienstes des Kongress zu entnehmen. Das Pentagon rechnet noch die Ausgaben für die Streitkräfte-Einsätze hinzu und kommt auf 825 Milliarden Dollar.

Und der Ertrag? „Nach Jahrzehnten des Krieges bewegt sich Afghanistan hin zu einer sichereren, stabileren und wohlhabenderen Zukunft“, heißt es im noch im April aktualisierten Länderreport der amerikanischen Entwicklungshilfe-Behörde US Aid, der so schnell von den Entwicklungen überholt wurde, dass die Ministerialbeamten gar nicht hinterherkamen.

Dass die internationalen Hilfszahlungen oft nicht das gewünschte Ziel erreichten, war schon lange klar. Sie verfehlten nicht nur den Zweck, wehrfähige Streitkräfte aufzustellen, sie scheiterten auch darin, eine robuste Wirtschaft aufzubauen. Die Weltbank selbst analysiert in ihrem Länderbericht, dass die hohen Wachstumsraten zwischen 2003 und 2012 in Höhe von mehr als 9 Prozent im Jahresschnitt neben Erfolgen in der Landwirtschaft vor allem der immensen Entwicklungshilfe selbst geschuldet war, die einen boomenden Dienstleistungssektor finanzierte.

Seit 2015 betrug die jährliche Wachstumsrate aber nur noch 2,5 Prozent. Weil die Bevölkerung ungefähr genauso schnell wuchs, steht unterm Strich für jeden Einzelnen wirtschaftliche Stagnation in einem der ärmsten Länder der Welt. Als Faktor nennt die Weltbank den Rückgang der Hilfe und die Verkleinerung der Truppenkontingente. Der Dienstleistungssektor brach ein, als die Entwicklungshelfer sich teilweise zurückzogen, und ließen die Erkenntnis zurück: Die Blüte war nicht nachhaltig.

Entwicklungshelfer haben die Lage sogar verschlimmert: Die Hilfsprogramme zur Stabilisierung und Demokratisierung des Landes waren hochgradig fragmentiert, unkoordiniert und armselig exekutiert, heißt es in einer Analyse von Transparency International aus dem Jahr 2019. Die Geldgeber stärkten dem Bericht zufolge damit neopatrimoniale Regierungsformen und parallele Herrschaftsstrukturen. Das ist die verklausulierte Sprache für das Phänomen, dass viele Geldgeber Warlords und ihre Clans bereicherten, um ihre Ziele zu erreichen.

Das war nicht die einzige Form der Zweckentfremdung: Voriges Jahr untersuchten drei Ökonomen in einem Weltbank-Aufsatz auffällige Zuwächse auf Konten in Steueroasen, die von Bürgern und Gesellschaften aus bitterarmen Ländern gehalten wurden, und zwar immer dann, wenn die Weltbank gerade Geld überwiesen hatte. Eine Korrelation war besonders auffällig: Je größer die Abhängigkeit von Entwicklungshilfe, desto schneller wachsen die Konten. Die Forscher ermittelten ein Sickerrate von 7,5 Prozent für 22 untersuchten Länder. Von 100 Dollar Entwicklungshilfe verschwinden 7 Dollar und 50 Cent in Steueroasen. In der Kategorie „abhängig von Hilfe“ ist Afghanistan ganz weit oben. Man könnte argumentieren, dass 7,5 Prozent weniger brisant als erwartet ist. Nur, stellt Studien-Ko-Autor Jørgen Juel Andersen von der BI Norwegian Business School klar: Geld in einem Steueroasen-Konto zu verstecken ist nur eine und sogar ziemlich primitive Methode. Es gibt Alternativen: Die Forscher haben auch herausgefunden, dass immer, wenn Geld von der Weltbank fließt, neue Briefkastenunternehmen in Steueroasen gegründet werden, deren Führungspersonal mit Entwicklungsländern verbunden ist.

Die Weltbank teilte inzwischen mit, dass sie ihre Auszahlungen pausiert, bis sie ein klareres Bild über die Pläne der Taliban hat, die das Land nun regieren. Seit 2002 hat die Entwicklungsinstitution Afghanistan 5,3 Milliarden Dollar gewidmet, zudem verwaltet sie den Afghanistan Reconstruction Trust Fund mit knapp 13 Milliarden Dollar, dessen wichtigster Geldgeber Deutschland ist. Nichtregierungsorganisationen, die mit der Weltbank kooperieren, versuchen aber weiter humanitäre Hilfe im Land zu leisten.

Der Internationale Währungsfonds IWF hat eigene Probleme. Seine Kredite, zeigt eine jüngere Überprüfung, laufen weniger Gefahr, abgezweigt zu werden: Vermutlich weil sie direkt bei der Zentralbank landen und konkret an makroökonomische Ziele geknüpft sind, vermutet IWF-Forscher Shekhar Shankar Aiyar. Doch der Fonds fror jetzt rund 400 Millionen Dollar ein, die Afghanistan in Form von Sonderziehungsrechten zustehen. Die Sonderziehungsrechte waren aufgestockt worden, um besonders armen Ländern den Kampf gegen die Pandemie-Krise zu erleichtern. Konservative Politiker in Amerika hatten sich stets gegen die Aufstockung der Sonderziehungsrechte gestemmt mit der Begründung, sie kämen auch Schurkenstaaten zugute. Nun können die Taliban auf die Mittel hoffen, sobald sie als Regierung anerkannt werden.