Beitrag vom 04.09.2021
NZZ
Chinesische Kredite an Afrika:
«China wird künftig mehr Forderungen stellen, bevor es die Brieftasche öffnet»
China breite sich in Afrika aus wie eine neue Kolonialmacht, heisst es oft. Dabei gehen die chinesischen Investitionen seit einigen Jahren zurück. Weshalb das so ist, erklärt Yunnan Chen vom Overseas Development Institute in London.
Samuel Misteli
Frau Chen, laut Zahlen der Universität Boston leiht China afrikanischen Staaten seit 2016 jedes Jahr weniger Geld. Die letzten Zahlen sind von 2019: Chinesische Staatsbanken vergaben Kredite im Umfang von sieben Milliarden Dollar, der tiefste Stand seit einem Jahrzehnt. Hat China das Interesse an Afrika verloren?
Die chinesischen Kredite erreichten bereits um 2013 ein Plateau – nicht nur in Afrika, auch anderswo. Nach der globalen Finanzkrise 2008/09 waren westliche Finanzinstitute auf dem Rückzug, chinesische Finanzinstitute sahen eine Chance, chinesische Unternehmen im Ausland zu fördern. Diese suchten nach neuen Märkten, unter anderem in Afrika. 2013 erreichte dieser Boom seinen Höhepunkt – im selben Jahr verpasste China diesen Auslandinvestitionen das Label «Belt-and-Road-Initiative».
Und was ist nach 2013 passiert?
Nach 2013 geriet Chinas Finanzmarkt in Schwierigkeiten: 2015 crashte die chinesische Börse, die Zentralbank verwendete ein Viertel ihrer Fremdwährungsreserven dafür, den Yuan zu stützen. Seither ist die Regierung viel stärker darauf bedacht, finanzielle Stabilität zu garantieren. Das hatte auch Folgen im Ausland: Chinas Staatsbanken standen unter dem Druck, ihre Kredite im Inland vorsichtiger zu vergeben. Sie wurden darauf auch im Ausland zurückhaltender.
Chinesische Kredite an afrikanische Staaten sind seit 2016 stark gesunken
Gab es auch externe Gründe für die neue Zurückhaltung?
Einige der grossen Projekte in Afrika starteten nach 2015, etwa im Eisenbahnsektor, in den einige der grössten Kredite an afrikanische Staaten geflossen sind. Eine erste Normalspurstrecke in Nigeria zum Beispiel wurde 2016 in Betrieb genommen, die Zuglinie von Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba nach Djibouti Anfang 2018. Bei manchen Projekten zeigte sich, dass die wirtschaftlichen Annahmen falsch waren. So transportieren die Züge etwa weniger Güter als vorausgesagt. Die chinesischen Finanzinstitute mussten einsehen, dass sie manche ihrer grossen Projekte nicht sorgfältig genug geprüft hatten.
Wieso diese Fehleinschätzungen?
Man muss bedenken, dass die chinesischen Finanzinstitute diese Art von Infrastrukturkrediten erst seit etwas mehr als einem Jahrzehnt in diesem Ausmass vergeben. Vor der Finanzkrise 2008 vergaben sie Kredite in viel kleinerem Ausmass. Die staatliche Exim-Bank zum Beispiel verfügt nicht über das technische Wissen, die Standards und die Due-Diligence-Mechanismen der Weltbank, die weit mehr Erfahrung bei der Vergabe grosser Kredite hat.
Gibt es weitere Gründe für die Fehleinschätzungen?
Der zweite wichtige Aspekt ist, dass manchmal nicht ökonomische, sondern politische Überlegungen am Anfang stehen. Viele der Eisenbahn- oder Telekommunikationsprojekte werden auf Regierungsebene vereinbart, und für die Banken und die mit der Umsetzung beauftragten Unternehmen heisst es dann: Schaut, dass es irgendwie funktioniert. Als Folge des politischen Drucks werden Projekte finanziert, die nicht hundertprozentig solid sind. Das hat sich bei vielen Belt-and-Road-Projekten als Problem erwiesen.
Lohnen sich diese Projekte aus der Optik der chinesischen Regierung trotzdem – weil sie eben einen politischen Nutzen haben?
Diese Projekte dienen tatsächlich dazu, diplomatische Verbindungen zu stärken. Aber auch wenn sie auf längere Dauer wirtschaftlich nicht rentieren, bringen sie kurzfristigen Nutzen: Sie fördern chinesische Auftragnehmer und Hersteller zum Beispiel im Maschinen- und Technologiesektor. Die chinesischen Staatsbanken – deren Job es ist, diese Firmen zu unterstützen – haben starke Anreize, selbst Projekte zu finanzieren, die längerfristig mit Risiken behaftet sind.
Und trotzdem haben die chinesischen Banken in den letzten Jahren weniger Kredite nach Afrika vergeben. Hat dabei auch die immer wieder geäusserte Kritik eine Rolle gespielt, China treibe Entwicklungsländer in die Schuldknechtschaft?
Die Kritik war tatsächlich wichtig dafür, dass die Kredite zurückgegangen sind – wenn auch weniger wichtig als die innerchinesischen Entwicklungen. China ist sehr darauf bedacht, als wohlwollender Partner für Entwicklungsländer zu erscheinen. Das Schuldenfallen-Narrativ hat Chinas Image stark beschädigt, vor allem die Geschichte um den sri-lankischen Hafen Hambantota war ein PR-Desaster. Dabei wird gerade dieser Fall oft missverstanden: Die chinesische Firma erhielt den Hafen nicht im Gegenzug für eine Schuldentilgung. Tatsächlich bat die sri-lankische Regierung die Firma, die Konzession zu übernehmen – ohne dass damit ein Schuldenerlass verbunden gewesen wäre. Trotzdem sind chinesische Kreditgeber seither enorm sensibel bei allem, was nach einer Beschlagnahme aussehen könnte.
Wie hat sich die Corona-Pandemie auf die Kreditvergabe ausgewirkt?
Wir haben noch keine Zahlen für 2020, aber ich gehe davon aus, dass die Kredite weiter zurückgegangen sind. Einige Länder, etwa in Südostasien, haben versucht, chinesisch finanzierte Projekte zu stoppen. Regierungen sind zurzeit zurückhaltend, wenn es darum geht, neue Kredite aufzunehmen. Die chinesischen Banken wiederum priorisieren die heimische Wirtschaft und deren Erholung.
Sie haben zahlreiche Gründe dafür genannt, dass die chinesischen Kredite in Afrika geschrumpft sind. Ist der Trend längerfristig, oder kann er sich auch wieder umkehren?
Das hängt stark davon ab, wie rasch sich die chinesische Wirtschaft und die afrikanischen Länder von der Pandemie erholen. Wir werden danach sicher nicht mehr dieselbe Explosion an Krediten sehen wie zu Beginn der 2010er Jahre. Andererseits: China wird sich nicht von der internationalen Bühne zurückziehen und sieht afrikanische Regierungen weiterhin als Schlüsselpartner – politisch und wirtschaftlich. Die chinesischen Kreditgeber werden aber Reformen vornehmen, wie sie Risiken einschätzen und welche Projekte sie für strategisch wichtig genug halten, um sie zu finanzieren. Sie werden auch mehr Forderungen stellen, bevor sie die Brieftasche öffnen.
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Yunnan Chen forscht am Overseas Development Institute in London; der Think-Tank ist auf humanitäre und Entwicklungsfragen spezialisiert. Chens Forschungsinteressen liegen vor allem im Bereich Entwicklungs- und Infrastrukturfinanzierung in Afrika. Sie ist eine der profundesten Kennerinnen von Chinas Aktivitäten in diesem Bereich.