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Beitrag vom 22.07.2022

FAZ

KOLONIALER JUSTIZMORD

Rehabilitation für einen Nationalhelden Kameruns

1914 wurde der Kameruner Stammeskönig Rudolf Duala Manga Bell hingerichtet. Das Gerichtsverfahren der deutschen Kolonialjustiz war nicht fair. Jetzt wollen deutsche Politiker in rehabilitieren.

Von Rüdiger Soldt

Die Hinrichtung des Duala-Königs, Rudolf Duala Manga Bell, am 8. August 1914 in Kamerun gilt als einzigartiger Justizmord in der Geschichte des deutschen Kolonialismus. Hundert Jahre später diskutieren Bundes- und Kommunalpolitiker über die Rehabilitierung dieses Opfers kolonialistischer Politik. Die Vorgeschichte beginnt im Jahr 1900: Die Kolonialverwaltung wollte in Duala, einer kamerunschen Küstenstadt, eine deutsche Siedlung aufbauen. Das Ziel war „rassische Segregation“. Die einheimische afrikanische Bevölkerung sollte aus der Hafenstadt am Golf von Guinea in die malariaverseuchten Mangrovensümpfe umgesiedelt werden, die Europäer sollten in einem separaten Stadtviertel leben. Zwischen beiden Siedlungsgebieten wurde ein kilometerbreiter Korridor geplant.

Wirtschaftlich ging es den Behörden in der deutschen Kolonie darum, die Angehörigen des Duala-Stamms die Geschäfte mit Palmöl, Elfenbein oder anderen Rohstoffen streitig zu machen. Die Duala beschafften die Rohstoffe im Hinterland und verkauften sie oder tauschten ihre Ware mit deutschen oder britischen Händlern. Schließlich vertrieben die Deutschen die Duala, erhoben Steuern und führten die Prügelstrafe ein. Der Gouverneur von Kamerun, Jesko von Puttkamer, bezeichnete die Duala „als das faulste, falscheste und niederträchtigste Gesindel“. Den Gouverneur, dessen brutaler Herrschaftsstil mit der Nilpferdpeitsche als „Puttkamerei“ bezeichnet wurde, störte es nicht, dass deutsche Kaufleute schon 1884 mit den Stammesführern der Duala vertragseinig geworden waren: Sie hatten einen „Schutzvertrag“ unterschrieben. Vereinbart wurde, gemeinsam Handel zu treiben und die Verwaltung an die deutschen Behörden zu delegieren. In einer Zusatzvereinbarung versprachen die Deutschen, den profitablen Handel der „Buschleute“ im Hinterland nicht zu stören. Die Vertreibungen waren ein Vertragsbruch.

An der Spitze der Widerstandsbewegung

Wahrscheinlich wäre daraus nie ein politisches Thema geworden, wenn Stammeskönig August Manga Ndumbe Bell seinen Sohn Rudolf Duala Manga Bell nicht nach Deutschland zur Ausbildung geschickt hätte. 1891 war Bell nach Deutschland gereist und zunächst im schwäbischen Aalen als Pflegekind der Lehrerfamilie Oesterle untergekommen. Er besuchte die Volks- und Lateinschule, ließ sich evangelisch taufen und nahm an den Faschingsfesten teil. Von 1894 bis 1896 lebte er in Ulm, besuchte dort das Gymnasium, ohne es mit dem Abitur abzuschließen.

Nach seiner Rückkehr nach Kamerun diente er der deutschen Kolonialverwaltung, seit 1908 war er König der Duala. Dass sich Manga Bell an die Spitze der Widerstandsbewegung gegen die deutsche Enteignungspolitik stellen würde, hatten die Kolonialherren nicht erwartet. Bell hatte in Ulm und Aalen auch die Vorzüge des deutschen Rechtssystems kennengelernt. Er arbeitete für die deutsche Kolonialverwaltung, dennoch galt für ihn der Rechtsgrundsatz „pacta sunt servanda“. In Berlin warb er bei Zentrums- und SPD-Politikern für einen Stopp der Siedlungspolitik.

„Unschuldiges Blut hängt ihr auf“

1914 wurde Manga Bell verhaftet und wegen Hochverrats angeklagt. Der Prozess wurde in Duala geführt, aber die beiden Strafverteidiger Hugo Haase, der damals auch SPD-Vorsitzender war, und Paul Levi, der Rosa Luxemburg verteidigt hatte, wurden mit Verfahrenstricks davon abgehalten, an dem in Kamerun geführten Verfahren teilzunehmen. Das Strafverfahren wegen Hochverrats sollte den antikolonialen Widerstand brechen, Grundsätze eines unabhängigen und fairen Prozesses wurden missachtet. Am 8. August 1914 wurde Manga Bell hingerichtet. Auch sein Vertreter Ngoso Din starb im Innenhof der deutschen Polizeistation in Duala. „Unschuldiges Blut hängt ihr auf. Umsonst tötet ihr mich (…) Aber verdammt seien die Deutschen“, soll Manga Bell kurz vor seiner Hinrichtung gesagt haben. Zur Abschreckung blieben sie drei Tage am Galgen hängen. Der Jurist und Journalist Christian Bommarius hat diesen Justizskandal 2015 in einer Monographie akribisch aufgearbeitet und die Diskussion über die Rehabilitation angestoßen.

Die beiden baden-württembergischen Städte Aalen und Ulm haben jetzt beschlossen, nach dem König öffentliche Plätze zu benennen. „Es ist ein wichtiger Beitrag zur Rehabilitation der Person und zur Aufarbeitung der Kolonialzeit“, sagt der Ulmer Landtagsabgeordnete Martin Rivoir (SPD). Der Platz in der Nähe des Neubaus für die Ulmer Staatsanwaltschaft eigne sich für die Würdigung besonders. In Aalen fasste der Gemeinderat einen ähnlichen Beschluss.

Nur die Bundesregierung hat die Petition zur Rehabilitierung Manga Bells und Ngoso Dins noch nicht abschließend beantwortet. Im Mai gab es ein Gespräch der Initiatoren mit Katja Keul (Grüne), der Staatsministerin für internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt. Auf eine parlamentarische Anfrage der Linkspartei teilt das Außenministerium im Mai mit, dass ein solches Rehabilitierungsbegehren „sen­sible Identitätsfragen in den Nachfolge­gesellschaften“ aufwerfe. Die Bundesregierung werde diese Fragen im Dialog mit den Nachfolgestaaten lösen. Für die Rehabilitierung Manga Bells kämpft auch dessen Großneffe Jean-Pierre Félix-Eyoum. Der 71 Jahre alte Nachfahre war Lehrer in Bayern, er vermutet, dass die Bundesregierung Reparationsforderungen fürchte. Darum gehe es den 400 Unterzeichnern aber nicht. „Wir wollen“, sagt Félix-Eyoum, „dass die Regierung bestätigt, dass er zu Unrecht hingerichtet worden ist. Wenn das bis 2024 gelänge, wäre das gut. Dann wollen wir seinen 110. Todestag feiern.“