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For a different development policy!

Beitrag vom 31.08.2022

nzz.ch Neue Zürcher Zeitung

Afrika braucht unser Geld nicht

Kurt Gerhardt

Die Entwicklungshilfe für Afrika bewirkt das Gegenteil dessen, was der Kontinent braucht. Dies sind gemeinwohlorientierte Regierungen und Verwaltungen, die im Sinne der Menschen arbeiten und nicht gegen sie.

Für Afrikas Entwicklung ist es ziemlich belanglos, wer in europäischen Hauptstädten die zuständigen Ministerien leitet und was in Bundeshaushalten steht. Wer das anders sieht, überschätzt den Einfluss der Industrieländer auf das wirtschaftliche Fortkommen unserer südlichen Nachbarn. Das hängt von ganz anderem ab als von unseren Ideen und Entscheidungen.

Für afrikanische Entwicklungen ist bei weitem wichtiger, dass die Menschen ihre eigenen personellen und materiellen Möglichkeiten ausschöpfen, die immens sind – und bei weitem nicht genutzt werden.

Enormer Ressourcenreichtum

Wenn seit Jahrzehnten in Asien ein Land nach dem anderen zu immer neuen Entwicklungssprüngen ansetzt – wie zurzeit Vietnam und Bangladesh –, aber über Afrika, vor allem die Staaten südlich der Sahara, Ähnliches nicht gesagt werden kann, dann liegt das wesentlich daran, dass die Völker Afrikas Regierungen gewähren lassen, die mit dem Wohl der Menschen nicht viel im Sinn haben, sondern vor allem mit dem eigenen und dem ihrer Clans. Afrika stellt so gut wie keine Güter her, die auf dem Weltmarkt verkäuflich sind.

Wenn Asiaten das aber mit grossem Erfolg können, warum Afrikaner nicht, obwohl sie seit sechzig Jahren von uns weit mehr mit Entwicklungshilfe versorgt worden sind als Asiaten? Wer sagt, das müsse man verstehen, das sei kulturell bedingt und liege am Kolonialismus, redet Unsinn – und tendenziell rassistisch.

Der enorme Ressourcenreichtum Afrikas ist weitgehend versickert, am sichtbarsten in den Taschen der politischen Klasse, die sich seit Jahrzehnten ungeniert an den Erlösen aus den Verkäufen der Bodenschätze bedient. Die Tochter des früheren angolanischen Präsidenten Dos Santos gilt als Dollarmilliardärin. Die ugandischen Parlamentsabgeordneten genehmigten sich vor kurzem dreissig Millionen Dollar für neue Autos. Der Vizepräsident Äquatorialguineas erwarb für sein Privatvergnügen eine Hochseejacht für 120 Millionen Dollar. Solche Schurkenstücke gibt es en masse. In den «Panama Papers» und «Pandora Papers» kann man darüber lesen.

Es wäre allerdings ein Fehler zu glauben, der Missbrauch öffentlicher Ressourcen sei nur eine Sache der oberen Kreise. Korruption durchzieht alle gesellschaftlichen Schichten. Die Mächtigen ziehen den grössten Nutzen daraus, die Ohnmächtigen den geringsten. Dass aber die Armen das masslose Treiben ihrer Ausbeuter geradezu lethargisch über sich ergehen lassen, ist unbegreiflich.

Die Chancen auf gesellschaftliche Entwicklungen werden auch durch anderen Schwund vertan. Instandhaltung ist in Afrika noch immer weitgehend unbekannt. Am Zustand der Strassen ist das besonders deutlich zu sehen. Allein die Schäden an den Lastwagen, die über die mit Schlaglöchern übersäten Strassen donnern, verursachen enorme Kosten. Das dafür nötige Geld fehlt an anderer Stelle. Schlechte Strassen sind eine Katastrophe für Transporte verderblicher Waren, ins In- und ins Ausland.

Weiteres Beispiel massiver Geldverschwendung: die regelmässigen und besonders in heissen Zeiten höchst ärgerlichen Ausfälle der öffentlichen Stromversorgung. Misswirtschaft verschlingt einen grossen Teil des Volksvermögens. Der Staat Niger erlaubte sich in der Hauptstadt Niamey eine Strassenüberführung für umgerechnet 64 Millionen Euro – in einem Land, in dem wegen fehlender Lehrer und Schulgebäude viele Kinder nicht zur Schule gehen können. Mehr als hundert Millionen Euro hat Niger im Juli 2019 für die Ausrichtung einer zweitägigen Gipfelkonferenz der Afrikanischen Union ausgegeben.

Grassierende Korruption

Wenn Afrika aufhörte, seine Ressourcen zu vergeuden, und sie stattdessen klug nutzte, könnte es hoffnungslosen jungen Leuten, die übers Mittelmeer nach Europa wollen, eine Perspektive geben. Um das zu erreichen, müsste allerdings auch der in allen gesellschaftlichen Bereichen herrschende Schlendrian beendet werden. Dringend nötig wären besseres Planen, konsequentes Durchsetzen, gründlichere Arbeit, Zuverlässigkeit und Stetigkeit. Daran fehlt es überall.

Es braucht gemeinwohlorientierte Regierungen und Verwaltungen, die im Sinne der Menschen arbeiten und nicht gegen sie. Ohne Eindämmung der grassierenden Korruption wird allerdings aus alledem nichts. Und ohne Abkehr von unverantwortlich hohen Geburtenraten auch nicht.

Das sind alles Dinge, auf die wir keinen Einfluss haben, sondern die afrikanische Gesellschaften selbst leisten müssen. Warum sie das – anders als Asiaten – nicht längst getan haben, liegt wesentlich daran, dass sie schon viel zu lange von Geschenken leben: von Bodenschätzen, Entwicklungshilfe und von den sogenannten Rücküberweisungen von Afrikanern aus dem Ausland. Dauergeschenke lähmen die Eigeninitiative.

Wir haben uns viel zu sehr eingemischt. Und tun es immer noch. Ein wesentlicher Teil unserer Entwicklungshilfe besteht aus Verletzungen des Subsidiaritätsprinzips, des Grundgesetzes jeglichen Beistands: Helfen in der Not, aber keine Eigenleistung ersetzen.

Beispiel Verkehrswege – ein Dauerthema afrikanischer Entwicklung. Wenn wir Strassen reparieren oder ersetzen, die mangels Unterhaltung unbefahrbar geworden sind, missachten wir die Subsidiaritätspflicht – denn diese Arbeiten könnten Afrikaner selber machen, auch wenn sie mit einfacherer Technik und grösserer Arbeitsintensität länger dauerten. Dasselbe gilt für Eisenbahnverbindungen, die nicht mehr funktionieren, weil die Staaten es an Wartung und Pflege von Netzen und Maschinen haben fehlen lassen.

Eine Erhöhung unserer Entwicklungshilfe würde also das Gegenteil dessen bewirken, was Afrika braucht. Den grotesken Zustand der gigantischen Fehlleitung von Ressourcen bei gleichzeitiger Massenarmut kann man mit Entwicklungshilfe nicht beenden. Im Gegenteil, damit festigt man ihn. Die Einübung der für wirtschaftlichen Erfolg entscheidenden Tugenden kostet nichts. Sie ist keine Frage des Geldes, sondern des Willens.

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Kurt Gerhardt war Journalist und in den 1980er Jahren Landesdirektor des damaligen Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) im westafrikanischen Niger.