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Beitrag vom 30.10.2022

Spiegel Online

Grüner Strom von der Elfenbeinküste

Kann hier mal jemand das Licht anmachen? Ja, sie können

600 Millionen Menschen in Afrika leben ohne Strom, und nur ein Prozent der weltweit produzierten Solarenergie kommt von dem sonnenreichsten Kontinent. Zwei Unternehmer aus Abidjan und ein Franke ändern das jetzt.

Von Sophia Bogner und Paul Hertzberg

Auch nachts ist die Welt nicht dunkel. Zumindest nicht vom Weltraum aus. Städte schimmern, Metropolen strahlen. Im Dunkeln glitzert der ganze Planet wie eine Discokugel. Europa leuchtet. Amerika leuchtet. Asien leuchtet. Afrika leuchtet nicht. Von allen Zahlen, die Afrikas Entwicklung beschreiben, ist diese vielleicht die krasseste: Weltweit leben 840 Millionen Menschen ohne Zugang zu Strom – 600 Millionen von ihnen in Afrika.

2020 lag der Nettostromverbrauch in Deutschland bei 488 Terrawattstunden. In Afrika, wo 1,3 Milliarden Menschen leben, bei gerade einmal 700 – und 70 Prozent dieses Stroms flossen in Südafrika und nördlich der Sahara. Es ist schwer, die Auswirkungen fehlender Elektrizität auf Wirtschaft und Gesellschaft zu messen. Aber sie sind auf jeden Fall gigantisch. Fehlende Elektrizität ist das wahrscheinlich größte Hindernis für Fortschritt. Das macht die Elektrifizierung Afrikas zu einer der wichtigsten Entwicklungsaufgaben überhaupt. Und: zu einer, die die ganze Welt etwas angeht.

Denn Afrika braucht mehr Energie, mehr Strom, mehr Netzausbau. Und mehr, mehr mehr, das hieß bisher auch: mehr Schornsteine, mehr CO2, mehr Weltuntergang. Elektrifiziert wird der Kontinent in den nächsten Jahrzehnten auf jeden Fall. Aber ob das nachhaltig und grün geschieht oder auf Kosten des Klimas, das wird von Einzelpersonen abhängen. Von Unternehmern wie Jean-Marc Aie und Livane Bodain.

Es ist neun Uhr abends, in einem Restaurant in Abidjan und Aie bestellt zum Wein Foie gras. Im Hintergrund läuft Michael Jackson. »Beat it«, singt der, und Aie fährt mit dem Löffel in die Stopfleberpastete. Aie und Bodain sind Anfang vierzig, Väter und Ehemänner. Sie haben lange gekämpft, und jetzt scheinen sie zu gewinnen. Das Leben ist gut zu ihnen. »Aber lange war es hart«, sagt Bodain. »Gründer erzählen gerne, dass man nur kämpfen und an sich glauben muss. Aber keiner sagt, dass du zwischendurch wieder bei Mama auf der Couch schläfst.«

Glauben und Kämpfen – das haben er und Aie sieben Jahre lang getan. Sie haben mit dem ivorischen Energieminister verhandelt und mit deutschen Ingenieuren ein Mammutprojekt geplant. Sie haben 94 Millionen Euro Finanzierung eingesammelt und einen Vertrag mit ihrer Regierung geschlossen. Jetzt steht fest: Aie und Bodain werden Strom produzieren. Sie werden das Licht anmachen im Norden der Elfenbeinküste – und das ohne Schornsteine und CO2-Ausstoß. »Das Projekt ist ein großer Traum«, sagt Aie. Das Projekt, ihr Projekt, heißt Poro Power.

Es soll die größte Photovoltaik-Anlage in Westafrika werden – ein Solarkraftwerk mit 66 Megawatt Leistung. In ganz Subsahara-Afrika gibt es nur ein Land, in dem noch leistungsfähigere Kraftwerke stehen: Südafrika. Aber das wird sich ändern. Weltweit sinken die Preise für Photovoltaik-Technik. Milliarden an Venture Capital fließen in den Sektor. Solar scheint die perfekte Technologie für eine neue Zeit: emissionsfrei und immer erschwinglicher. Vor allem ist sie perfekt für Afrika, den sonnenreichsten Kontinent der Welt.

Bis jetzt wird dieses Potenzial kaum genutzt. Nur ein Prozent der weltweit produzierten Solarenergie kommt aus Afrika. Und nur zwei Prozent des Stroms, der auf dem Kontinent fließt, stammen bisher aus erneuerbaren Energien, also aus Biogas, Wind- und Solarenergie. Aber in Zeiten des Klimawandels wittern immer mehr Politiker: Solarenergie – das heißt sauberer Strom, gute Schlagzeilen, Prestige und Investitionen für ihre Länder. Und einer dieser Politiker ist Alassane Ouattara, der Präsident der Elfenbeinküste.

Das Klima in der Côte d'Ivoire ist tropisch. Aber je weiter man nach Norden kommt, desto trockener wird es. Hier liegt das Solarpotential der Elfenbeinküste. Und hier entsteht Poro Power, das Projekt von Aie und Bodain. In der Nähe der Stadt Korhogo werden 140 Hektar Savanne Solarzellen weichen. Straßen werden gebaut, ein Anschluss ans Stromnetz, Unterkünfte für Arbeiter und Techniker. Im Nirgendwo wächst so eine Industrie – und das wegen des Traums zweier Männer, die von Solarenergie lange keine Ahnung hatten.

Aie und Bodain wurden Anfang der Achtzigerjahre in Abidjan geboren. Es waren die letzten Jahre des »Ivorischen Wunders« – einer Zeit des Wohlstands, der Stabilität. Aies Mutter war Unternehmerin, Livanes Vater Ingenieur. Nur 300 Meter trennten ihre Wohnungen voneinander. »Ich weiß nicht, wann ich dich kennengelernt habe«, sagt Aie. Und Bodain: »Dich gab es schon immer.« Ihre Kindheit war – in ihrer Erinnerung – wie ein sepiafarbenes Plattencover: glückliche Tage, das Klatschen des Basketballs auf dem Asphalt, das Glitzern der Lagune. So vergingen die Achtzigerjahre, und das Wunder verblasste. Dann hörte es auf. Der Abstieg begann.

2002 brach in der Elfenbeinküste der erste Bürgerkrieg aus. Die Kämpfe dauerten zwei Jahre. Kurz kehrte Ruhe ein, dann flammte der Konflikt 2011 wieder auf. Schüsse hallten durch Abidjan. Menschen flohen.

Aie und Bodain verfolgten den Niedergang ihres Landes aus der Ferne. Bodain ging nach der Schule nach Frankreich, studierte in Paris, wurde Informatiker bei IBM. Aie verließ die Elfenbeinküste noch früher. Er zog in die USA, besuchte die Highschool, wollte Basketballspieler werden. »Manchmal haben wir uns wie Verräter gefühlt«, sagt er. »Wir waren in Sicherheit und unsere Familien im Krieg.«

Aie war ein guter Basketballspieler, wenn er den Ball hatte, gab er ihn nie wieder her. Aber für eine Profikarriere reichte es nicht. Er verließ die USA, zog nach Kanada und studierte Politik. Und da, an der Uni Quebec, hörte er zum ersten Mal von Solarenergie. Er besuchte Seminare. Er lernte. Er verliebte sich in die Idee von der Sonnenenergie. Das war die Zukunft. Und Aie wollte mitspielen. Es war wie beim Basketball. Er wusste, er musste nur dranbleiben, dann würde er punkten.

2013 kam Aies erster Wurf: Solarpaneele auf den Dächern kanadischer Lagerhäuser. Es war eine gute Idee – die viele hatten. Auf das Förderprogramm der Regierung bewarben sich 25.000 Projekte. Allein die Wartezeit für eine Antwort betrug zweieinhalb Jahre. Es gab keinen Platz für Aies Pläne. Zumindest nicht hier. Also noch einmal. Zweiter Wurf. 2013 war Kanada zu 99 Prozent elektrifiziert, aber die Elfenbeinküste nur zu 43. »Man muss kein Genie sein«, sagt Aie, »um zu Hause nachzumachen, was woanders funktioniert.«

Als er anfing, in Kanada nach Partnern für den Bau eines Ivorischen Solarkraftwerks zu suchen, dauert es keinen Monat, bis Aie mehrere Interessenten hatte. Unter ihnen: Canadian Solar, einer der weltweit größten Betreiber von Solaranlagen. Aie flog nach Hause, nach Abidjan. Er pitchte sein Projekt seinem alten Freund. »Nach nur drei Minuten«, sagt Bodain, »war ich dabei.«

In Kanada überzeugten die Freunde die Entwicklungsabteilung von Canadian Solar. In der Elfenbeinküste arbeiteten sie sich durch die Ministerien. Dann stieg die kanadische Regierung ein. Plötzlich wurde über Millionen geredet und über Megawatt. 2016, nach zweieinhalb Jahren, unterzeichnete die ivorische Regierung eine offizielle Absichtserklärung: In Korhogo sollte ein Solarkraftwerk entstehen – und der Staat den Strom kaufen. Der Strompreis wurde festgelegt, eine Laufzeit für das Kraftwerk vereinbart. Jetzt stand fest: Aie und Bodain würden dringend benötigte Energie produzieren, die die Menschen sich leisten können.

Bisher hatten sie keinen Cent mit ihrem Projekt verdient. In Abidjan schliefen sie wieder zu Hause auf den Sofas ihrer Mütter. Aber jetzt sagte Canadian Solar: »Wir zahlen euch aus. Ab hier übernehmen wir.« Und Aie und Bodain sagten: »Nein, danke.« »Wir haben das nicht nur für uns getan«, sagt Aie. »Sondern für unser Land«, sagt Bodain. Sie sitzen in ihrem Büro in Abidjan: 15 Quadratmeter, ausgefüllt von den zwei Männern und einer Karte der Elfenbeinküste. »So viele Projekte werden von Ausländern geleitet«, sagt Aie. »Zu wenige von Ivorern.« Es war eine mutige Entscheidung – und eine gefährliche. Nach dem Ausstieg der Kanadier hatten die beiden zwar einen Vertrag mit der Regierung, aber keinen Partner. Sie hatten ein Millionenprojekt ohne Millionen. Ein hypothetisches Kraftwerk, aber niemanden, der es baute. Poro Powerstand vor dem Scheitern.

»Die haben uns im Internet gefunden«, sagt Zeno Fleck, »und einfach bei uns angerufen.« Fleck sitzt in Tauberbischofsheim, in Baden-Württemberg, 5000 Kilometer Luftlinie von Abidjan entfernt. Hier gibt es eine Fachwerkaltstadt und 25 Musik- und Gesangsvereine. Hier baut und betreibt Fleck seit 20 Jahren Solaranlagen. Aber: nicht nur hier. Er sagt: »Ich habe mein Herz an Afrika verloren.« Sein WhatsApp-Profilbild zeigt, wie er auf einem Quad durchs Gelände fährt, Typ: süddeutscher Mittelständler mit Silberhaar und Abenteuergeist. Flecks Firma, Tauber Solar, hat bereits auf Mauritius ein Kraftwerk gebaut – und es in anderen Ländern versucht. In Burundi hatte er einen Vertrag mit der Regierung. Dann kam der Bürgerkrieg. In Ghana hatte er ein Grundstück. Dann kamen die Politiker. Fleck wollte nach Angola. Und es kamen die Chinesen mit Koffern voller Geld. Aber als in Tauberbischofsheim ein Mann aus der Elfenbeinküste anrief, war er trotzdem sofort interessiert.

Vertrauen. Darum geht es bei solchen Deals. Aber auch: um Respekt. Zwei Wochen nach dem ersten Telefonat flog Fleck nach Abidjan. Dann fuhr er mit Aie und Bodain in den heißen Norden. Zu dritt standen sie im Nirgendwo, wo einmal ihr Kraftwerk stehen sollte: zwei Ivorer und ein Franke. »Die Deutschen«, sagt Aie, »sind uns von Anfang an auf Augenhöhe begegnet.« »Am Ende ist das ein Handshake-Deal«, sagt Fleck, »man schaut sich in die Augen und entscheidet: Wir machen das.«

94 Millionen Euro Gesamtinvestment kostet Poro Power. 30 Millionen davon sind Eigenkapital, von Tauber Solar und einem Co-Investor aus Madagaskar. Der Rest kommt von einem Darlehen der DEG, des internationalen Arms der KfW. 100 Milliarden Euro will die KfW in den nächsten fünf Jahren in die globale Energiewende stecken. Da passt Poro Power perfekt ins Programm: ein Solarkraftwerk mit lokalen Partnern und einer Firma aus Franken.

Wer eine Photovoltaik-Anlage baut, braucht viel Kapital, viel Land und noch mehr Geduld. Es wird zehn bis zwölf Jahre dauern, bis Poro Power sich amortisiert. Allein die Bauzeit beträgt zwei Jahre. 250.000 Solarpanele müssen in 900 Containern in die Elfenbeinküste gebracht werden, auf Schiffen, Schienen, Straßen. Produziert wird diese Technik von einer deutschen Firma, ABB Photovoltaik, aber gebaut wird sie in China und Vietnam.

»Die Zukunft der Solarkraftwerke liegt in Afrika«

Noch in diesem Jahr sollen die internationalen Teile am Hafen von Abidjan ankommen. Dann werden 900 Container von Schiffen auf 18 Güterzüge verladen. Poro Powers Solarteile werden in einer Zug-Karawane durch das Land walzen: vom Süden in den Norden, 570 Kilometer weit. Aie und Bodain werden am Hafen stehen, wenn die Container ankommen. Sie werden den Zügen auf dem Weg in den Norden folgen, durchs ganze Land, während der grüne Busch langsam gelb wird und die Sonne immer greller. Sie werden beim Beladen der Lastwagen helfen, wenn alle Container die letzten 50 Kilometer per Truck transportiert werden müssen. Sie werden fluchen und Kommandos geben, werden den Aufbau in Korhorgo beaufsichtigen, Paneel für Paneel dabei zuschauen, wie ihr Traum wahr wird, bis 140 Hektar solarzellengrau in der Sonne glänzen.

»Für so lange Zeit, gab es all das nur in unseren Köpfen«, sagt Bodain, »uns jetzt passiert es wirklich.« Im Januar 2023 soll die Anlage stehen. Und dann? »Wenn du einmal anfängt«, sagt Aie, »willst du immer mehr.« Durch Funken entstehen Brände, durch Strom Industrialisierung. Und das Leben, das dazugehört. Wer einen Kühlschrank hat, möchte auch eine Klimaanlage, eine Waschmaschine, einen Fernseher. Mehr führt zu mehr. Zeno Fleck sagt: »Es gibt schon Vorverträge für Poro Power 2, 3 und 4.« Der Fortschritt ist hungrig. »Wir fangen gerade erst an«, sagt Aie. »Die Zukunft der Solarkraftwerke liegt in Afrika.«

Bei dem Text handelt es sich um einen gekürzten Buchauszug aus »Jenseits von Europa – Was afrikanische Unternehmerinnen und Unternehmer besser machen« von Sophia Bogner und Paul Hertzberg, erschienen im Econ-Verlag.
Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft