Beitrag vom 03.11.2022
FAZ
BUNDESWEHR IN NIGER
Kampfschwimmer in der Wüste
Mit Kampfschwimmern in die Wüste: Was komisch klingt, ist ein erfolgreiches Projekte deutscher Militärkooperation. Warum funktioniert in Niger, was in Mali scheiterte?
Von Peter Carstens
Die malische Militärregierung hat neulich Generalinspekteur Eberhard Zorn einbestellt. Der Chef der Bundeswehr solle in der Berliner Botschaft vorsprechen, ließen die Herren in Bamako ausrichten. Dort möge er sich dann im Gespräch mit einem Visabürokraten um die Einreise bewerben. Für das deutsche Verteidigungsministerium war dies eine weitere Schikane des Putschisten-Regimes. Seit Beginn des Stabilisierungseinsatzes in Westafrika vor neun Jahren hatte ein einfacher schriftlicher Visumantrag stets gereicht, so wie in den meisten Ländern außerhalb Europas. Der General ließ sich nicht vom Obristen-Regime vorführen und strich den Besuch in Mali von seinem Reiseprogramm in den Sahel.
Ob die Bundeswehr in Mali bleiben soll und kann, ist längst zweifelhaft. Im Bundestag regt sich Widerstand gegen das deutsche Engagement für die dortige UN-Mission. Die Regierung in Bamako stellt sich nämlich gegen ihre westlichen Partner und setzt immer offener auf Russland. Moskau hat Hunderte Militärberater und Söldner entsandt, dazu Waffen und Gerät. Aus westlicher Sicht dient das eher dazu, das afrikanisch-europäische Verhältnis zu zersetzen, als Bamako im Kampf gegen islamistische Terroristen zu helfen. Und es geht um Bodenschätze, Gold etwa. Im Auswärtigen Amt vertritt man die Ansicht, Deutschland solle den Vereinten Nationen helfen, die mit einer mehr als 13 000 Mann starken Friedenstruppe in Mali engagiert sind. Außerdem solle man den Russen dort nicht das Feld überlassen.
Die meisten Europäer ziehen aus Mali ab
Doch außer Berlin scheint in Europa fast keine Regierung diesem Weg zu folgen. Im Gegenteil: Die meisten ziehen aus Mali ab. Die Niederlande etwa, die bislang mit einem beachtlichen Kontingent und dem Kommandeur der UN-Mission zur Stelle waren, aber mit dem nächsten Kommandowechsel gehen wollen. Ebenso Schweden und die Tschechische Republik. Frankreich, lange der größte und schlagkräftigste Partner der wechselnden Regierungen in Bamako, ist zum August abgezogen und hat den Großteil seiner Truppen ins benachbarte Niger verlegt.
In der dortigen Hauptstadt Niamey landet Generalinspekteur Zorn Anfang dieser Woche, um sich am Luftwaffenstützpunkt über die Arbeit der Bundeswehr zu informieren. Es fällt auf, wie viele französische Truppen inzwischen am Flughafen stationiert sind. Vor allem sind es Angehörige der Fremdenlegion. Sie setzen nun von Niger aus den harten Kampf gegen islamistische Gruppen und Banden fort, die versuchen, die Subsahara-Region unter Kontrolle zu bekommen. Zur Versorgung eventueller Verwundeter haben die Franzosen eine OP-Station im ockerfarbenen Wüstensand errichtet, neben dem deutschen Feldlazarett. Die Führung durch die Räumlichkeiten findet auf Französisch statt. Zorn hat sichtbar Freude daran, der gebürtige Saarländer hat seine Generalstabsausbildung einst im Nachbarland absolviert und spricht die Sprache fließend. Das sorgt auch später bei der Begegnung mit dem General und den Offizieren der nigrischen Armee für offene und unkomplizierte Gespräche.
Kampf mit der malischen Bürokratie
Die Krankenstation stünde auch deutschen Soldaten zur Verfügung, falls sie aus Mali ausgeflogen werden müssten, etwa nach einem Anschlag. Im Notfall kommt es vor allem darauf an, die Opfer schnell medizinisch zu behandeln. Möglichst innerhalb der ersten Stunde nach dem Ereignis. Um das zu garantieren, steht auf dem Flugplatz Niamey ein ziviles Propellerflugzeug eines südafrikanischen Unternehmens bereit, das jederzeit ins benachbarte Mali starten kann. Die Managerin des Unternehmens berichtet von zermürbenden Kämpfen mit der malischen Bürokratie. Zuletzt wurden Überflugrechte nur für jeweils 14 Tage vergeben und kurzfristig erteilt. Aber ohne Genehmigung keine sichere „Rettungskette“ ins Lager. Mehrfach konnte in Gao nicht mehr außerhalb des deutschen „Camps Castor“ patrouilliert werden, weil die medizinische Rettung nicht garantiert war. Zudem haben die Observationsdrohnen „Luna“ und „Heron“ von Bamako Flugverbot erhalten. Auch dahinter wird Russland vermutet. So ist die Lage derzeit diese: 1100 bestens ausgestattete und ausgebildete deutsche Soldaten verwalten in einem Lager rund 4000 Kilometer von zu Hause überwiegend sich selbst und warten auf die Ankunft des nächsten Lastwagens mit Heimatgemüse und Bratwürstchen.
Zorn lässt sich in Niamey die Details der Lage von Oberst Rüdiger Beiser berichten. Der stellvertretende Kommandeur einer Panzergrenadierbrigade ist derzeit Kontingentführer und bemüht, auch das Positive zu sehen. Zorn hat das ebenfalls lange probiert, aber seine Geduld scheint erschöpft. Begonnen hatte das deutsche Mali-Engagement, weil die Bundeswehr 2013 die französische Armee entlasten sollte, die nach Anschlägen mit Tausenden Soldaten im Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land gebunden war. Es gehört zu den Rätseln deutscher Diplomatie, warum die Bundesregierung den lange angekündigten Abzug der Franzosen nicht genutzt hat, Mali gemeinsam mit ihnen zu verlassen. Nun hat man eigentlich nichts als Ärger.
Erfolge, die die Bundeswehr gut gebrauchen kann
Ganz anders ist die Lage, die Zorn in Niger vorfindet. Wo immer der General auftaucht, wird er herzlich empfangen und stößt auf Erfolge, welche die Bundeswehr und die deutsche Außenpolitik seit dem schmählichen Rückzug aus Kabul gut gebrauchen können. In Tillia, eine Flugstunde nördlich von Niamey in der nigrischen Wüste, haben ausgerechnet die Kampftaucher der Marine ein Projekt etabliert, das sich in Zorns Augen bestens ausnimmt: Aus einer bescheidenen Kooperation, 2018 zunächst auch mit Beteiligung des Kommandos Spezialkräfte (KSK) des Heeres begonnen, sei ein Erfolg geworden, der Schule machen könnte. Bei der Mission „Gazelle“ geht um die systematische Ausbildung und Ausstattung von Soldaten der nigrischen Armee, die dann kämpfend das Grenzgebiet zu Mali und Burkina Faso gegen Kräfte des „Islamischen Staats“ verteidigen.
Unweit der 20 000-Einwohner-Stadt Tillia sind eine Schule für Spezialkräfte und ein kleines Camp für rund 200 deutsche Soldaten entstanden. Deutschland hat dort etwa acht Millionen Euro für Gebäude und rund 43 Millionen für Waffen, persönliche Ausrüstung und Fahrzeuge investiert. In den vergangenen vier Jahren wurden im Wüstencamp Tillia rund 900 Angehörige des 41. Bataillons der nigrischen Spezialkräfte ausgebildet und modern ausgestattet. In der Kaserne der nigrischen Armee sind einige Kommandosoldaten der Amerikaner, Belgier und Briten dabei, Folgeprojekte zu planen. Anders als in Mali, wo man bei der unauffällig beerdigten EU-Trainingsmission (EUTM) nie wusste, wer aus welchen Einheiten der Armee kam und wohin er danach ging, wurde hier ein geschlossener Verband fortgebildet. Es entstanden stabile Arbeitsbeziehungen.
Niger hofft auf Geld aus dem Westen
Als Zorn den Chef der Streitkräfte des Landes trifft, begegnet ihm mit Salifou Mody ein General, der als Militärattaché bereits Jahre in Berlin verbracht hat und fließend Deutsch spricht. Auf solchem Fundament können auch persönliche Beziehungen gedeihen und Probleme auch mal auf kurzem Dienstweg besprochen werden. Nigers Armee hat derzeit etwa 39 000 Soldaten, sie will in den kommenden zwei Jahren auf 50 000 wachsen. Dafür hofft man auf Geld des Westens.
Die deutschen Kampftaucher, die zu Lande und zur Luft ebenso beweglich und schlagkräftig sind wie in der kalten Ost- und Nordsee, sorgen rund um Tillia mit ihren schnellen und schwer bewaffneten Hubschraubern H145 ebenso für Sicherheit wie die Rettungssanitäter oder Fallschirmjäger, die zum Kontingent gehören. Anders als etwa bei der afghanischen Armee, wo Vorführungen des Gelernten bei deutschen Besuchern stets mehr Mitleid als Bewunderung hervorriefen, zeigen die nigrischen Kräfte, dass sie etwas können und die Fahrzeuge und Geräte kundig zu bedienen wissen.
Später wird Zorn das auch noch bei einem jungen Fernmelder-Trupp in der Hauptstadt vorgeführt bekommen, der eine deutsche Hightech-Drohne bedient. Das Modell sorge derzeit auch in der Ukraine für Erfolge, wie der anwesende Firmenvertreter berichtet, ein Leipziger, der für zwei Wochen zur Schulung der Nigrer in Niamey ist. „Die Kooperation fußt auf gewachsenem Vertrauen“, sagt Zorn am Abend. Zu Mali hält er sich mit politischen Aussagen zurück. Die Entscheidung über das künftige Engagement werde noch in diesem Jahr getroffen, davon gehe er aus. Zum Erfolg in Niger gehört auch, ein zeitiges Ende zu finden: Die Mission „Gazelle“ wird demnächst abgeschlossen, bis Weihnachten kehren die meisten Soldaten zurück nach Deutschland, bis März kommenden Jahres soll die Liegenschaft übergeben werden. Dann könnte es heißen: Mission erfüllt.