Beitrag vom 11.04.2024
Table Special
Völkermord in Ruanda: Aufarbeitung der deutschen Verantwortung gefordert
Zum 30. Jahrestag hat der Bundestag an den Genozid in Ruanda erinnert. Neben dem Gedenken an die Gräueltaten ging es auch darum, wie ein solches Ereignis künftig verhindert werden kann – und warum auch Deutschland noch mehr für die Aufarbeitung der eigenen Verantwortung leisten müsste.
Von David Renke
Am Donnerstag hat der Deutsche Bundestag in einer Debatte dem 30. Jahrestag des Genozids in Ruanda gedacht. Dabei rückten die Parlamentarier die Aufarbeitung der deutschen Verantwortung während des Völkermordes in den Mittelpunkt. „Die große Lehre aus Ruanda ist, dass wir Verantwortung tragen für unser Handeln, genauso wie für unser Nicht-Handeln“, sagte Außenministerin Annalena Baerbock vor dem Parlament. Die internationale Gemeinschaft habe in Ruanda nicht hinsehen wollen, gab Baerbock zu. Seither habe Deutschland aber gelernt, unter anderem, indem die Bundesrepublik verstärkt in Instrumente der Krisenprävention investiere.
Eine zweite Lehre aus Ruanda sei zudem, die Täter nicht straflos davon kommen zu lassen. In diesem Zusammenhang lobte die Ministerin die traditionellen Gerichte, die infolge des Genozids in Ruanda wiederbelebt wurden. „Auch in Deutschland wurde Jahrzehnte später noch einer der Täter am Oberlandesgericht Frankfurt verurteilt. Das war neu in der Völkerstrafrechtsgeschichte“, sagte Baerbock. Ein solches Weltrechtsprinzip leite auch heute die Aufarbeitung anderer Völkermorde, wenn diese nicht vor dem Internationalen Strafgerichtshof möglich ist.
SPD fordert Aufarbeitung deutscher Verantwortung
Trotz aller Lehren aus dem Völkermord sind jedoch längst nicht alle Fragen um den Völkermord geklärt. Besonders die SPD forderte eine bessere Aufarbeitung des deutschen Versagens bei der Verhinderung des Völkermords. „Die Nacht, in der die Weltgemeinschaft zu Versagern wurde, hätte abgewendet werden können“, sagte SPD-Abgeordnete Derya Türk-Nachbaur. Nur wer die Vergangenheit aufarbeitet und durchdringt, könne verhindern, dass sich etwas Ähnliches noch einmal ereignet.
Auch ihre Parteikollegin Nadja Sthamer betonte die deutsche Verantwortung. Einerseits durch die Verschärfung der ethnischen Trennung der Hutu und Tutsi, die in der Kolonialzeit rassistisch aufgeladen wurde, andererseits durch die Kooperation des Auswärtigen Amts mit Ruanda trotz des sich abzeichnenden Völkermords. „Das kollektive Versagen der internationalen Gemeinschaft ist also auch ein Versagen der deutschen Politik“, so Sthamer. Die Aufarbeitung bleibe bis heute schwierig. Tatsächlich bietet sich mit dem 30. Jahrestag neue Möglichkeiten für eine wissenschaftliche Aufarbeitung der deutschen Rolle während des Genozids, denn die Sperrfrist für Akten des Bundesarchivs laufen aus und werden für die Öffentlichkeit zugänglich.
Kritik gab es auch von der Linken. Dietmar Bartsch kritisierte die Außenministerin für ihre Einschätzung der Vergangenheitsbewältigung und die Lehren für aktuelle Krisen: „Die Bundesregierung stellt pauschal fest, dass man Lehren aus den Versäumnissen gezogen hat. Ich höre ihre Botschaft wohl, mir fehlt jedoch der Glaube.“ Bei den Kriegen im Südsudan, in Äthiopien oder der Lage in Haiti habe man erneut weggeschaut. Zudem forderte Bartsch eine unabhängige Aufarbeitung der Fehleinschätzung der Lage durch deutsche Diplomaten, die Warnzeichen nicht wahrgenommen hätten.
Sorge vor Eskalation im Ostkongo
Gleichzeitig lenkten die Abgeordneten in der Debatte das Augenmerk auf die Lage im Ostkongo. „Der Krieg im Osten des Kongo, der die gesamte Region destabilisiert, darf nicht eskalieren“, warnte der CSU-Abgeordnete Volker Ullrich. Auch Jürgen Hardt, der außenpolitische Sprecher der Union, kritisierte Ruandas Rolle im Konflikt: „Bei aller Freundschaft zu Ruanda müssen wir klarmachen, dass die Ruanda-Regierung die Lehren aus den Erfahrungen der Vergangenheit ziehen sollte und mehr zum Frieden in der Region beitragen sollte.“ Auch Außenministerin Baerbock forderte ein „Hinschauen“ im Konflikt im Ostkongo.
Für einen Eklat sorgte Jürgen Braun, der menschenrechtspolitische Sprecher der AfD. In seiner Rede leugnete er, dass die koloniale Herrschaft der Deutschen und Belgier in Ruanda die Voraussetzungen für einen Völkermord geschaffen hätte. Kordula Schulz-Asche, die Grüne Vorsitzende der Parlamentariergruppe Östliches Afrika, warf Braun in der Folge die „Verachtung der Opfer des Völkermords“ in Ruanda vor. Auch Sevim Da?delen wurde kritisiert, nachdem sie Parallelen zwischen der Lage in Ruanda und der aktuellen Situation in Gaza gezogen hatte. Sie warf der Bundesregierung in beiden Fällen eine „Kultur des Wegschauens und Abwiegelns“ vor.
Deutschlands Mitschuld am Genozid in Ruanda – und danach
Deutschland hat sich am Genozid vor 30 Jahren in Ruanda mitschuldig gemacht. Auch danach hat sich die deutsche Justiz zu nachgiebig gegenüber den Tätern von damals gezeigt. Die Folgen reichen bis in die Gegenwart hinein.
Von
Christian von Hiller
Beim Genozid in Ruanda machte sich die Bundesregierung in mehrerlei Hinsicht mitschuldig. Lange redete sie die explosive Lage in Ruanda klein. Aber schlimmer noch: Täter konnten zum Teil jahrzehntelang unbehelligt in Deutschland Unterschlupf finden.
Eine besonders unglückliche Rolle spielte die deutsche Botschaft in Kigali. Sie hatte die Lage völlig falsch beurteilt. Noch am 21. März 1993 bezeichnete sie in einem Schreiben an das Auswärtige Amt die Interahamwe-Milizen, die später maßgeblich am Völkermord beteiligt waren, nur als jugendliche Parteianhänger. „Eine Fehleinschätzung von vielen“, sagt Politikwissenschaftler Anton Peez, der am Peace Research Institute Frankfurt (PRIF) arbeitet und Einblick in die Akten des Auswärtigen Amtes genommen hat.
Das war kein Versehen der Botschaft. Schon am 2. Februar 1993 hatte sie geschrieben: „Die pauschalen Vorwürfe ,Völkermord‘ und ,Kriegsverbrechen‘ könnten sich auf die an den Tutsi verübten Gewalttaten beziehen. In dem im Wort ,Völkermord‘ implizierten Ausmaß, nämlich in der Vernichtung eines ganzen Volkes, liegen die an der Ethnie der Tutsi verübten Verbrechen ganz sicher nicht.“
Deutscher Botschafter schwach und überfordert
Den damaligen deutschen Botschafter beschrieb der Zeitzeuge Jörg Zimmermann als „absolut schwach“ und „überfordert“. Wie sehr sich der deutsche Diplomat täuschte, wurde am 7. April 1994 offenbar. Von da an wurde in einem 100 Tage währenden Blutrausch, je nach Quelle, 800.000 bis eine Million Menschen abgeschlachtet. Dies war der tragische Höhepunkt des Konflikts zwischen Hutu und Tutsi. Unter den Opfern befanden sich auch Blauhelm-Soldaten, Jesuiten und Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen.
Zum 30. Jahrestag des Genozids wird viel über die Mitschuld des Westens diskutiert. Vor allem Frankreich hatte unter dem damaligen Präsidenten François Mitterrand die Urheber des Völkermords gestützt. Deutschland muss sich vorwerfen lassen, dem Morden und den Massenvergewaltigungen tatenlos zugeschaut zu haben.
Asyl für die Täter
Ein anderes Thema bleibt im deutschen Gedenken weitgehend unbeachtet: Deutschland hat nach dem Genozid vielen Tätern Asyl gewährt, sodass sie seit Jahrzehnten unbehelligt eine unscheinbare Existenz hierzulande führen können. Dabei dürfen deutsche Gerichte nach dem Weltrechtsprinzip Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgen, auch wenn diese im Ausland, von Ausländern und ohne Bezug zu Deutschland begangen wurden.
Viele Täter tauchten in Frankreich unter, etwa Félicien Kabuga oder Sosthene Munyemana. Auch in Belgien fanden viele Täter Unterschlupf. In Frankreich hat es sich das Ehepaar Alain und Dafroza Gauthier zur Lebensaufgabe gemacht, die Täter aufzuspüren und vor Gericht zu bringen. In Deutschland ist das Interesse an den Tätern des Genozids, die nun im Land leben, gering.
Lebenslange Haft
Einer der wenigen Fälle die in Deutschland ans Tageslicht gekommen sind, ist der von Onesphore Rwabukombe. Er war während des Genozids Bürgermeister von Kiziguro und hatte seine Mitbürger am 11. April 1994 zum sogenannten Kirchenmassaker an mindestens 400 Tutsi aufgestachelt. Im Jahr 2015 hat das Oberlandesgericht Frankfurt Rwabukombe zu lebenslanger Haft verurteilt.
„Es war ein unvorstellbares Blutbad, bei dem der Angeklagte knöcheltief im Blut stehend seine Befehle gab“, sagte der Vorsitzende Richter Josef Bill in seiner Begründung. Der Richter stellte bei Rwabukombe eine besondere Schwere der Schuld fest, was eine vorzeitige Haftentlassung ausschließt.
Nach Ruanda ausgeliefert
Oder Jean Twagiramungu: In der fraglichen Zeit war er Professor der EAV Kaduha High School und hatte seine Studenten aufgefordert, in die Mordmilizen einzutreten und ihre Nachbarn zu ermorden. Nach dem Genozid war Twagiramungu nach Deutschland geflüchtet. Erst 2015 wurde er verhaftet und 2017 nach Ruanda ausgeliefert. Dort wurde er im vergangenen Jahr zu 25 Jahren Haft verurteilt.
Andere Täter – ihre Zahl ist nicht bekannt – befinden sich heute noch in Deutschland, nachdem die Bundesregierung ihnen nach dem Völkermord Zuflucht gewährt hatte. Begründet wurde dies auch damit, dass ihnen die Todesstrafe drohte. Erst 2007 wurde diese in Ruanda abgeschafft. Rwabukombe war 2002 nach Deutschland eingereist, lebte jahrelang als Asylbewerber in Hessen und wurde 2010 in Untersuchungshaft genommen.