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Beitrag vom 22.05.2024

NAD Überblicke + Hintergründe
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3.2024

Der Bürgerkrieg im Kamerun

In der ehemaligen deutschen Kolonie Kamerun findet seit
sieben Jahren in den englisch-sprechenden Provinzen
ein immer wieder aufflackernder Konflikt statt. Was
sind die Ursachen?

EINE KURZE GESCHICHTE KAMERUNS

Die Westküste Afrikas stand im 19. Jahrhundert unter
dem Einfluss Großbritanniens. Das neu gegründete
Deutsche Reich hatte die Ambition, neben
Großbritannien und Frankreich zu einer neuen
Weltmacht zu werden. Der Ausgangspunkt des
Konflikts war die Berliner Konferenz von 1884/85, als
Afrika unter die kolonialen Mächte aufgeteilt wurde.
Kamerun ging an Deutschland.

Bismarck ernannte den deutschen Afrikaforscher
Gustav Nachtigal 1884 zum Reichskommissar für
Deutsch-Westafrika und beauftragte ihn, die vor
kurzem durch hanseatische Kaufleute erworbenen
Territorien und Handelsstützpunkte in Deutsche
Kolonien zu überführen. Am 14. Juli stellte er Kamerun
„unter deutschen Schutz“. In den folgenden Jahren
wurde eine Plantagenwirtschaft aufgebaut, Die
einheimische Bevölkerung wurde oft brutal als
Zwangsarbeiter missbraucht.

Im ersten Weltkrieg wurden die deutschen Truppen
aus Kamerun vertrieben. Großbritannien
übernahm zwei kleinere Provinzen, tat aber wenig, um
sie zu entwickeln. Im Rest des Landes bauten die
Franzosen eine blühende Wirtschaft auf und schufen
ein gutes Bildungs- und Gesundheitswesen. 1960
wurde Kamerun unabhängig. Die erste Regierung
übernahm das kapitalistische Wirtschaftssystem der
Kolonialzeit und unterhielt weiterhin enge
Beziehungen zu Frankreich. Die Entdeckung von
Erdölvorkommen half der wirtschaftlichen
Entwicklung. Der seit 1982 regierende Präsident Paul
Biya machte Kamerun, das eine Bevölkerung von etwa
29 Millionen aus 20 ethnischen Gruppen hat, zu einem
autoritären Staat.

AUSLÖSER DES KONFLIKTS

Schon während der Kolonialzeit waren die beiden
englisch-sprechenden Provinzen Kameruns
benachteiligt. Die Spannungen zwischen dem
französisch geprägten Mehrheitsstaat und den
kleineren englisch geprägten Landesteilen
verschärften sich über mehrere Jahrzehnte. Was den
bewaffneten Widerstand auslöste, war ein Protest von
Lehrern, Richtern und Anwälten im Jahr 2016. Sie
demonstrierten gegen die Einführung der
französischen Sprache im Bildungs- und
Gerichtswesen mit dem Ziel, das britisch geprägte
System nach und nach durch das frankophone zu
ersetzen. Die Proteste richteten sich auch gegen die
Vernachlässigung der lokalen Politiker bei der
Vergabe von wichtigen Posten, gegen fehlende
Investitionen in die Infrastruktur und die generell
schlechte Wirtschaftslage in der Region.

Ein Jahr später begann der bewaffnete Widerstand
mehrerer Gruppen. Einige verlangen die Rückkehr zu
einem föderalen Staat, andere verkünden die
Gründung eines unabhängigen Staates mit dem
Namen „Ambazonia“. Die Inhaftierung der
Oppositionsführer, die brutale Unterdrückung jeder
Form von Protest und das monatelange Abschalten
des Internets brachte die Bevölkerung gegen die
Regierung auf. Der Armee gelang es bisher nicht, die
Kontrolle über die Lage zu erlangen, und der Konflikt
eskalierte weiter. Der Kampf der Regierungsarmee
gegen die seperatistischen „Amba-Rebels“ hat
inzwischen ca 6.000 Menschen das Leben gekostet;
765.000 mussten fliehen, 70.000 davon in das
Nachbarland Nigeria. 2 Millionen sind auf humanitäre
Hilfe angewiesen. Hunderttausende Kinder können
nicht länger in die Schule gehen. Auch der Versuch
von Präsident Biya, durch einen „nationalen Dialog“
den Konflikt zu entschärfen, war erfolglos. Auf neue
Gesetze zur Förderung der Zweisprachigkeit und des
Föderalismus reagiert die Opposition skeptisch.
Neben sporadischen Terrorakten haben die
Separatisten auch eine gewaltlose Form des Protests
entwickelt: Jeden Montag bleiben alle zu Haus. Die
Städte werden zu „Geisterstädten“. Die
Ausgangssperre bringt allerdings auch große
wirtschaftliche Schäden mit sich. Eine Hoffnung sind
Frauengruppen wie die „Nationale Frauen-Konvention
für Frieden“, die für ihre Versöhnungsarbeit 2023 den
Deutschen Afrika Preis erhielt.

ZUKUNFTSPERSPEKTIVEN

Beobachter des Konflikts glauben nicht, dass die
Rebellen langfristig Erfolg haben werden. Es gibt zu
viele verschiedene bewaffnete Einheiten, die sich aus
den diversen ethnischen Gruppen rekrutieren, aber
ihre Aktionen nicht koordinieren. Die Zahl der aktiven
Kämpfer ist relativ klein und ihre finanziellen
Ressourcen, die hauptsächlich von der
kamerunischen Diaspora in Europa und den USA
stammen, sind begrenzt. Trotzdem bleiben die
Rebellengruppen ein Sicherheitsrisiko für den Staat
und zusammen mit anderen Rebellenbewegungen wie
Boko Haram im Norden Nigerias und
Widerstandsbewegungen im Osten des Tschads
könnten sie langfristig auch die Region destabilisieren.
Vielleicht bieten die gewaltlosen Formen des Protests
doch die bessere Chance für einen dauerhaften
Frieden.

"Unschuldiges Blut hängt ihr auf. Umsonst tötet ihr
mich… Gott, ich flehe Dich an; höre meinen letzten
Willen, dass dieser Boden niemals mehr von
Deutschen betreten werde."

Letzte Worte des Königs von Douala, Manga Bell, der 1914
von den Deutschen hingerichtet wurde.