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Beitrag vom 29.05.2025

Achgut.com

Wohin mit Millionen der chancenlosen Jungen?

Von Calvin Widmann.

Um das Thema Bevölkerungswachstum hat sich auf Achgut.com eine sehr lebendige Debatte entwickelt. Wir veröffentlichen hier einen weiteren Beitrag eines orts- und sachkundigen Lesers, der sich mit den Auswirkungen im Sahel beschäftigt.

Eine dreiteilige Serie von Andreas Zimmermann auf Achgut.com beschäftigte sich unlängst mit den Themen „Bevölkerungswachstum und Überbevölkerung“. Der Begriff „Überbevölkerung“ setzt voraus, dass die Tragfähigkeit eines Ökosystems genau bekannt ist. Und hier beginnen die Schwierigkeiten. Lassen Sie uns in diesem Zusammenhang einen Blick auf das Ökosystem Sahel werfen.

Unter den Sahelländern werden die Staaten Mauretanien, Senegal, Mali, Burkina Faso, Niger, Tschad und Sudan verstanden. Teile Nordnigerias gehören ökoklimatisch bereits zum Sahel, werden hier aber in die Berechnung der Sahelbevölkerung nicht mit einbezogen.

Das bis 2023 weltweit höchste Bevölkerungswachstum in den Ländern der Sahelzone ist für die Menschen vor Ort, aber auch für die südlich angrenzenden Länder und schlussendlich für Europa ein großes Problem. Warum das so ist, wird nachfolgend kurz zusammengestellt:

Austrocknung des Sahara-Sahelraum seit etwa 6.000 Jahren nach der letzten Feuchtzeit der Sahara (eine von ca. 230 sogenannte „North African Humid Periods“ in den letzten 8 Millionen Jahren). Diese Entwicklungen sind geophysikalisch gesteuert (Armstrong et al. 2023).

Auf Basis von Klimamodellen wird allerdings eine Niederschlagserhöhung für den Sahel ab 2040 um 50 Prozent postuliert, ausgelöst durch global warming (Schewe & Levermann 2022). Die Bevölkerung des Sahels wird bereits 2035 etwa 217 Mio. Menschen betragen (DSW 2024). Werden sie von der möglichen Niederschlagserhöhung noch profitieren können?

Die Menschen in dem Grenzgebiet Sahara/Sahel leben von Subsistenzwirtschaft, das ist einerseits Viehwirtschaft/Nomadismus und andererseits Ackerbau. Während ausreichender Regenfälle kommt es zu einer Kooperation zwischen den beiden Wirtschaftsweisen, bei ausbleibenden Regenfällen/Dürren, wie es seit den 1970er Jahren des letzten Jahrhunderts häufiger der Fall war, zum Kampf um die Ressourcen Weide, Wasser und ackerbautaugliche Böden und Holz.

Die Hauptanbaugebiete der sahelischen Bevölkerung für Hirse, Erdnüsse usw. liegen auf quartären Dünensanden, die nach der FAO-Klassifizierung als „marginal“ (Stufe 3 von insgesamt 4 Stufen) eingestuft werden. Der geringe Nährstoffgehalt dieser Böden begrenzt den Anbau.

Holz ist der Hauptenergielieferant, ohne Holz kein Essen. Die Baum- und Buschvegetation, nimmt dürrebedingt ab. 80 bis 90 Prozent der Sahelbewohner, das sind ca. 140 Millionen Menschen in 2024, nutzen Holz zum Kochen. Zur Anlage von immer mehr Feldern (stark wachsende Bevölkerung) müssen Savannen in Ackerland umgewandelt werden (über ein satellitengestütztes Monitoring nachweis- und quantifizierbar).

Bedingt durch die Austrocknung der Sahara und des Sahelraumes kommt es zu einer Verschiebung des Weide- und Ackerbaugürtels quer über den afrikanischen Kontinent nach Süden (archäologische und historische Quellen sowie Sedimentuntersuchungen).

Diese Südwärtsdrift beider Wirtschaftszonen erfolgt nun in Bereiche, die inzwischen und im Gegensatz zu früheren Perioden vor 70 bis 80 Jahren dicht mit einer ackerbaubetreibenden Bevölkerung besetzt sind (sehr blutige Konflikte zwischen sahelischen Viehhaltern und ansässigen Bauern auch in den südlich anschließenden Ländern). Aber auch diese Länder zeichnen sich durch sehr hohe Geburtenraten aus, das bedeutet, der freie Zugang zu Weiden und ackerbautauglichen Böden ist immer weniger möglich. Die Konflikte zwischen unterschiedlichen Nutzern weiten sich immer mehr aus, das Überleben in diesen Gebieten wird immer schwieriger.
Wohin mit den vielen überwiegend sehr Jungen?

Die entscheidende Frage lautet: wohin mit den vielen überwiegend sehr Jungen (für Burkina Faso liegt der Median bei 17,7 Jahren, worldometer 2025) und sehr schlecht ausgebildeten Menschen, deren Zahl ja nicht konstant bleibt, sondern in den nächsten Jahren weiter stark ansteigen wird? Wird eine verstärkte Binnenmigration in die südlich anschließenden Länder, die ja ebenfalls mit sehr vielen Menschen und inzwischen begrenztem Weide- und Ackerbauland charakterisiert sind, eine Entlastung schaffen? Wohl eher nicht. Gleichzeitig steht natürlich die Migration nach Europa als „Entlastung“ der nicht mehr nutzbaren Sahelgebiete im Raum.

In der Sahelzone arbeiten mehr als 70 bis 80 Prozent der Menschen in der Landwirtschaft. Das extrem starke Bevölkerungswachstum stellt natürlich ein großes Problem für die Menschen vor Ort dar. Das wird am Beispiel des Staates Niger deutlich, die Bevölkerungsentwicklung ist exemplarisch für nahezu alle Sahelstaaten, mit Ausnahme von Mauretanien.

Der Niger hatte um 1901 eine Bevölkerung von ca. 1 Mio. Menschen, bis etwa 1950 waren es ca. 2,5 Millionen Menschen. Im Jahr 2024 sind es bereits 26,3 Mio. Menschen. Die Prognosen für 2035 sind 36,4 Mio. Einwohner und 51 Mio. Einwohner für 2050.

Nur etwa ein Drittel des Landes ist für den Menschen nutzbar. Nahezu die Hälfte aller Kinder gehen nicht zur Schule (Norwegian Refugee Council, 2023). Das liegt vor allem an der sich ständig verschlechternden Sicherheitslage. Der zentrale Sahel ist der Schwerpunkt gewaltsamer Auseinandersetzungen. Kämpfe zwischen Militär und nicht staatlichen bewaffneten Gruppen (auch untereinander) sowie Überfälle von Extremisten wie dem Islamischen Staat Sahel und Al-Qaidas Ableger im Sahel „Jama’at Nusrat al-Islam wal-Muslimin (JNIM)“ sind für Schulschließungen verantwortlich.

Wie will man mit den Massen (in Millionenstärke) an jungen ungebildeten Männern, die kaum noch eine Chance auf ein traditionelles Leben (Ackerbau/Viehzucht) haben, es oft aber auch nicht mehr wollen, umgehen? welche Alternativen haben diese Menschen? Und greift nicht genau an diesem Punkt die Attraktivität des Jihad?

Europa wird nicht umhinkommen, die Entwicklungen auf dem Nachbarkontinent intensiv weiter zu verfolgen, neue Ansätze vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht mit den afrikanischen Partnern zu entwickeln und sich mit den Auswirkungen (vor allem Migration) schwerpunktmäßig auseinanderzusetzen.

Quellen:

Armstrong, E.; Talavaara, M.; Hopcroft, P.O., Valdes, P.J. 2023: North African humid periods over the past 800 000 years. Nature communications (2023)14:5549. doi.org/10.1038/s41467-023-41219-4.

Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) 2024: DSW-Datenreport 2024.
Schewe, J. & Levermann, A. 2022: Sahel rainfall projections constrained by past sensitivity to global warming. Geophysical Research Letters 49, e2022GL098286.

Foto: Junge Fulani Männer während dem Cure Salee Festival in Niger.

Calvin Widmann ist promovierter Naturwissenschaftler und schreibt hier unter einem Pseudonym. Er arbeitet seit über drei Jahrzehnten im semiariden Afrika.