Beitrag vom 12.08.2009
Schwäbische Zeitung Online
Seitz: "Nur ein Drittel der Entwicklungshilfe kommt an"
Der Buchautor und ehemalige Botschafter Volker Seitz fordert eine Reform der Entwicklungshilfe.
Afrika bekommt derzeit ungewöhnlich viel Aufmerksamkeit: Nach US-Präsident Barack Obama tourt derzeit seine Außenministerin Hillary Clinton durch den Kontinent. Auch Deutschland ist seit Jahrzehnten in Afrika engagiert - allerdings nicht zum Vorteil der Afrikaner, wie Volker Seitz meint. Der pensionierte Diplomat und Buchautor ist der Ansicht, dass die milliardenschwere Entwicklungshilfe aus dem Westen Afrika mehr schadet als nutzt. Unser Redakteur Ulrich Mendelin hat mit ihm gesprochen.
Herr Seitz, Deutschland zahlt im laufenden Jahr 5,8 Milliarden Euro an Entwicklungshilfe. Schätzen Sie einmal: Wie viel davon kommt wirklich an?
Niemand wird das genau beziffern können. Bei Treffen mit anderen Gebern hatten wir uns geeinigt, dass maximal - wenn man freundlich rechnet - ein Drittel bei den Armen ankommt. Nehmen wir einmal ein Beispiel: Ein Hilfsprojekt wird etwa zwei Jahre lang geplant. Langwierige Machbarkeits-Studien und Reisen werden nötig. Dann ändern sich irgendwelche Voraussetzungen, also wird eine neue Studie nötig. Der Riesenapparat will ja beschäftigt sein.
Warum versickert die Hilfe in vielen Ländern?
Das Geld versickert, weil weder wir noch die afrikanischen Länder einen Rechnungshof haben, der sich vergewissert, ob unsere Hilfe etwas getaugt hat oder nicht. Unabhängige Fachleute sollten prüfen, ob Hilfe von außen auch auf fruchtbaren Boden fällt.
Länder wie Angola oder Nigeria verdienen im Erdölgeschäft Millionen. Warum benötigen solche Länder überhaupt Entwicklungshilfe aus deutschem Steuergeld?
Diese Länder sollten keine Entwicklungshilfe bekommen. Obwohl die Länder sehr reich an Bodenschätzen sind, lebt die Mehrheit der Bevölkerung dort in Armut. Die enormen Gewinne kommen nur einer kleinen Machtelite zugute. Das Problem in der Entwicklungshilfe ist, dass unkritische Menschen bei uns alles Elend dieser Welt mit Kolonialismus oder Globalisierung erklären. Ich finde, man muss in jedem Einzelfall abwägen. In Simbabwe hätten ohne den großartigen Einsatz der Kirchen viele Menschen nicht überlebt. Dies war aber keine Entwicklungshilfe sondern Nothilfe. In der Regel muss man die Eliten dazu zwingen, Verantwortung zu übernehmen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Südkorea so arm wie viele Länder in Afrika. Heute ist es eine Industrienation. Auch andere Länder in Asien und in Lateinamerika haben sich erfolgreich entwickelt. Warum ist das in Afrika anders?
Afrika fällt als einziger Kontinent immer weiter zurück. Südkorea, Taiwan, Thailand und andere haben in Bildung, Landwirtschaft und Gesundheitswesen investiert. Sie haben alles Mögliche ausprobiert, bis sie den richtigen Weg gefunden haben. Außerdem haben sich dort nach und nach demokratische Systeme entwickelt. Wenn es etwa eine freie Presse gibt, dann kann sich eine Regierung viel weniger erlauben. Afrika könnte also lernen, dass Armut nicht gottgegeben ist, sondern vor allem eine Folge menschlichen Handelns und Unterlassens.
Gibt es etwa kulturelle Gründe, die Afrikas Entwicklung hemmen?
Das glaube ich nicht. Das afrikanische Land Botswana zeigt ja, dass es geht. Dort investiert die Regierung in Bildung, die Krankenhausgebühren sind niedrig. Es hat noch nie politische Gefangene gegeben, und die Präsidenten sind nach dem Ende ihrer Amtszeit klaglos abgetreten. Auch Ghana hat mehrere friedliche Regierungswechsel hinter sich.
Ein großer Teil des Geldes für Afrika fließt in die so genannte Budgethilfe, also direkt in den Haushalt der Empfängerländer. Das soll verhindern, dass Projekte über die Köpfe der Afrikaner hinweg entschieden werden. Was ist falsch daran?
Budgethilfe ist nur dann ein gutes Instrument, wenn es in den Empfängerländern funktionsfähige Strukturen gibt. Die Pflicht der Behörden gegenüber ihren Bürgern die Ausgaben zu rechtfertigen wird von den Gebern nicht eingefordert. Es gibt nur wenige Länder, in denen ein öffentliches Budgetmanagement erfolgt und das Parlament sein Haushaltbewilligungsrecht auch wirklich ausüben kann. Nur dort kann Budgethilfe ein wirksames Mittel der Entwicklungshilfe sein.
Wie müßte eine Entwicklungshilfe aussehen, die wirklich hilft?
Wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt wird es in Afrika nur geben, wenn Regierungen verantwortungsvoll handeln. Das Volk muß - anders als heute - demokratisch mitwirken können. Bei gutem Investitionsklima und einem funktionierenden Rechtswesen entwickeln sich die Länder schneller.Die Initiative muss bei den afrikanischen Eliten selbst liegen. Wir sollten nur noch Bildung, Ausbildung, Aufbau demokratischer Institutionen, Kleinkredite und arbeitsintensive Beschäftigungsprogramme unterstützen. Die Betonung liegt auf unterstützen.
Sie loben besonders die Leistungsbereitschaft der Afrikanerinnen. Können Frauen besser mit Geld umgehen als ihre Männer?
Ja, das ist meine Erfahrung. Wir sollten nicht nur in unseren Glanzbroschüren die Frauen fördern. Wir könnten wie die Spanier Frauennetzwerke fördern. Sie sind nämlich in vielen Ländern das Rückgrad der afrikanischen Wirtschaft, in der Landwirtschaft wie auch im Handel.
Bessere Kontrollen, Strafen bei Misswirtschaft und Korruption - Ihre Forderungen klingen wie Selbstverständlichkeiten. Warum ist es so schwer sie umzusetzen?
Im Kalten Krieg wurde Afrika viel Geld gegeben, um Zustimmung und Gefolgschaft zu erkaufen. Aber das ist jetzt 20 Jahre her. Die Situation ist beschämend. Wir sind doch mit dem Anspruch der Hilfe zur Selbsthilfe angetreten. Aber davon sind wir weit entfernt.
Einen Unterstützer haben sie schon mal: Kürzlich hat der US-Präsident Barack Obama die Afrikaner aufgerüttelt, das Schicksal ihres Kontinents liege zuerst bei den Afrikanern selbst. Ähnlich äußert sich seine Außenministerin Hillary Clinton auf ihrer aktuellen Afrika-Tour. Haben die klaren Worte sie überrascht?
Erstmals habe ich von westlichen Politikern - jetzt auch in Kenia und dem ölreichen Angola - so klare Worte gehört. Ich vermute mal, dass Obama und Clinton sich auch nicht von irgendwelchen Popstars beraten lassen .Meine afrikanischen Freunde hoffen jedenfalls, dass endlich auch andere Entwicklungshilfegeber vorrangig "Gutes Regieren" fördern wollen. Das steht zwar heute schon in allen Programmen, aber ich habe in 17 Jahren in Afrika niemals den Eindruck gehabt, dass dies ein Schwerpunkt der Entwicklungshilfepolitik eines Gebers war. Ein Problem ist auch, dass die Millenniumsziele der UNO mit keinem Wort rechtsstaatliche Notwendigkeiten oder die Beachtung von Menschenrechten erwähnen. Wir müssen aber Afrika ernst nehmen und an die Reformierbarkeit Afrikas glauben. Wer aber keine Reformanstrengungen in Richtung Demokratie und Rechtsstaat unternimmt, sollte künftig auch keine Hilfe mehr bekommen.
Sie verlangen den Afrikanern mehr Selbstverantwortung ab. Aber welche Chance hat ein afrikanischer Bauer, dessen Markt mit subventionierter Billigware, auch aus Europa überschwemmt wird?
Ich verlange mehr Engagement und Selbstverantwortung von den herrschenden Eliten. Der einfache Bauer kämpft in der Tat ums Überleben. Er kämpft aber auch ums Überleben, weil die Machteliten sich nicht für die Landwirtschaft interessieren. Sie ist im Gegensatz zu Öl und Mineralien nicht durch eine kleine Schicht zu beherrschen. Deshalb kümmern sich die Eliten auch nicht darum, ob subventionierte Billigware unkontrolliert ins Land kommt. Sie kümmern sich nicht um Pisten, Straßen, Lagerhäuser, Fabriken oder Vermarktung. Der Präsident des UNO-Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD), der Nigerianer Kanayo Nwanze, sagt, dass 40 Prozent der Ernten wegen unsachgemäßer Lagerung, schwerfälligen Transports und ineffizienter Märkte verderben. Die Bauen produzieren also nur noch für den Eigenbedarf und die Ernährungssicherung wird an die Geber "outgesourct".
Es gibt ja nicht nur staatliche Entwicklungshilfe. Viele Deutsche spenden für die Dritte Welt, unterstützen Hilfsprojekte oder Patenkinder. Sollten wir uns solche Spenden lieber sparen?
Nein. Ich empfehle die Hilfsorganisationen genau anzusehen. Nehmen wir Ärzte ohne Grenzen. Die sagen auch schon einmal: "Nicht mehr spenden. Wir können das Geld nicht mehr sinnvoll ausgeben". Das ist sehr mutig, weil sie von anderen Organisationen dafür geprügelt worden sind. Auch den Grünhelmen oder Kirchenprojekten kann man unbedenklich spenden. Dort gibt es meist wenig Verwaltungsaufwand. Eine Patenschaft für ein Kind zu übernehmen hängt vom Einzelfall ab. Ich halte es sinnvoller ein SOS-Kinderdorf zu unterstützen.
Volker Seitz, 66, hat als Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes über eineinhalb Jahrzehnte in Afrika gelebt. Nach Stationen in Guinea, Libyen, Benin und Niger war der gebürtige Karlsruher bis zu seiner Pensionierung 2008 deutscher Botschafter in Kamerun. Er ist Autor des Buches "Afrika wird armregiert oder Wie man Afrika wirklich helfen kann" und Mitinitiator des "Bonner Aufrufs" für eine Reform der Entwicklungshilfe.