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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 05.08.2011

dpa

Hilfe für Afrika: Traurige Geschichten und bittere Erkenntnisse

Von Laszlo Trankovits, dpa

Die Bilanz nach über 50 Jahren Entwicklungshilfe in Afrika ist
ernüchternd. Über eine Billion Euro flossen in Projekte und Hilfe. An
dem Elend hat sich nur wenig geändert. Viele Experten meinen, es wäre
besser, auf Entwicklungshilfe ganz zu verzichten.

Kapstadt (dpa) - Die Geschichte der Entwicklungshilfe ist voller
Märchen und Legenden, Tabus und trauriger Geschichten. «Gib einem
Hungernden nicht einen Fisch, schenk ihm deine Angel.» Dieses
chinesische Sprichwort im Herzen kommen seit 50 Jahren gutmeinende
Entwicklungshelfer nach Afrika. Popstars wie Bono, Bob Geldof oder
Madonna engagieren sich mit spektakulären Aktionen für die Ärmsten
der Armen. Die reichen Industrieländer, oft mit dem schlechten
Gewissen als frühere Kolonialherren, finanzierten für mehr als eine
Billion Euro Häfen, Kraftwerke und Universitäten, Handwerkszentren,
Krankenhäuser und Abwässersysteme.

«Hilfe zur Selbsthilfe» lautete das Credo. Dafür spendeten
Millionen Menschen im Westen, gibt es in Europa und Amerika überall
Etats für Entwicklungshilfe. Kein Kontinent erhielt mehr Geld als
Afrika. Aber nirgendwo ist das Elend nach wie vor so groß wie hier.
Dabei ist der Kontinent reich an Bodenschätzen und fruchtbarem Land.
Aber während China, Indien, Südkorea oder Taiwan in Asien den
gewaltigen Sprung in die Weltwirtschaft schafften, ist eine
vergleichbare Entwicklung in den 48 Staaten südlich der Sahara
ausgeblieben - mit Ausnahme des untypischen Südafrika.

Afrikas Führer erklären das anhaltende Elend gerne mit der Schuld
der Kolonialmächte und der Gier der Konzerne. Afrika brauche Hilfe -
schließlich könnten viele Regierungen ohne Auslandsgelder gar nicht
überleben. Aber die Erfahrungen der Entwicklungshilfe sind
ernüchternd, zuweilen schrecklich. Jeder, der mit der
Entwicklungshilfe vertraut ist, kennt unzählige traurige Geschichten.

Über die Hungernden, denen man Angeln, Nähmaschinen oder Dünger
schenkt - die dann oft verkauft werden oder unbenutzt vergammeln. Von
neuen Brunnen und Nutzgärten auf dem Land, die nach dem Verschwinden
der Helfer zugemüllt und unbenutzbar werden. Von Handwerksbetrieben,
die genau so lange funktionieren, bis die fremden Experten wieder
abziehen. Ähnlich ist es bei den Großprojekten. Wenn Dämme, Bergwerke
oder Häfen gebaut werden, verschwinden meist viele Gelder in dunkle
Kanäle. Und wenn Projekte einmal laufen, profitieren oft nur wenige.

Verteidiger der Entwicklungshilfe wehren sich gegen einen
«Hilfs-Pessimismus», schließlich gebe es auch erfolgreiche Projekte.
Beispielsweise blühe auch in Afrika das System der Mikrokredite, die
vielen zu einer bescheidenen Selbstständigkeit verhelfen würden.
Nicht überall seien Eliten korrupt, die Menschen unwillig. Es gebe
heute in Afrika mehr Demokratien als früher, weniger blutige
Konflikte. Gegen diese optimistische Sicht gibt es viel Widerspruch.

«Welch eine Ironie, manche internationale Organisation ist seit 25
Jahren in der Krisenregion und sie hat es nicht geschafft, die
Menschen nachhaltig zur Selbstversorgung zu bringen», meinte jetzt
bitter der kenianische Wirtschaftsexperte James Shikwati mit Blick
auf die aktuelle Hungersnot. Er kritisiert eine
«Fehlentwicklungshilfe», die vor allem tyrannische Herrscher und
ausufernde Bürokratie, Dirigismus und Korruption begünstige.

Viele Experten machen Entwicklungshilfe für das Elend sogar
mitverantwortlich, weil sie Bettelmentalität und Abhängigkeit
fördere. «Millionen in Afrika sind wegen der Hilfe ärmer als früher.
Entwicklungshilfe hat sich politisch und menschlich als Desaster
entpuppt», so die Wirtschaftsexpertin Dambisa Moyo (Sambia).
«Entwicklungshilfe produziert Inflation, Schulden, Bürokratie und
Korruption», sie töte Eigeninitiative und Unternehmertum.

«Nach einem halben Jahrhundert ... Entwicklungshilfe für Afrika
stellen wir fest, dass unsere Politik versagt hat», heißt es in
Deutschland 2008 nüchtern und selbstkritisch im «Bonner Aufruf», der
von zahlreichen Ex-Diplomaten und Wissenschaftlern unterzeichnet war.
«Der verheerende Drang, Gutes zu tun, untergräbt die Entwicklung
eines kompetenten, unbestechlichen Staatsapparats und unterstützt
stattdessen Regime, die raffgierig, faul und größenwahnsinnig sind»,
schrieb der Ex-Spitzendiplomat und Afrikakenner Volker Seitz in
seinem Buch «Afrika wird arm regiert».

Kaum jemand zweifelt am Sinn von Not- und Katastrophenhilfen wie
jetzt in Somalia. Aber die Entwicklungshilfe hat ganz andere Ziele:
Aufgeholt werden sollte der wirtschaftliche und kulturelle Rückstand
von Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden. Allerdings ist es ein
Tabu, offen über die Herkulesaufgabe Afrikas zu sprechen. Denn
nachdem die Afrikaner die Pein des Kolonialismus abgestreift hatten,
wollten sie rasch den Sprung in die Neuzeit schaffen. Dieser
erzwungene Zeitraffer erklärt vielleicht am besten die Miseren
Afrikas. Eine Kultur ohne überlieferte Schriftsprache und ohne
Geschichtsbücher wurde mit enormer Geschwindigkeit in die Moderne
katapultiert.