Beitrag vom 29.06.2012
NZZ
Niederlage der Tuareg-Separatisten
Bei einem Gefecht unter Aufständischen haben Islamisten die Tuareg-Nationalisten aus Gao im Norden Malis vertrieben. Damit hat sich die Ausgangslage für Verhandlungen mit der Regierung grundlegend geändert.
Markus M. Haefliger, Nairobi
Bewaffnete Islamisten haben am Mittwoch in Gao, 950 Kilometer nordöstlich der malischen Hauptstadt Bamako, den dort operierenden Einheiten aufständischer Tuareg-Nationalisten eine empfindliche Niederlage zugefügt und ihre ehemaligen Verbündeten aus der Stadt verjagt. Laut der französischen Agentur AFP, die sich auf lokale Informanten beruft, kamen bei den Kämpfen über 20 Milizionäre ums Leben, die meisten von ihnen Angehörige des säkularen Mouvement national de libération de l'Azawad (MNLA). Das MNLA hatte Anfang April einseitig die «Unabhängigkeit» der nördlichen Regionen Malis ausgerufen.
Der Verlust Gaos lässt die Aussichten auf eine gefestigte Autonomie des Nordens, geschweige denn auf Eigenstaatlichkeit in Schall und Rauch aufgehen. Das MNLA hatte schon im April in Timbuktu, der anderen historischen Stadt am Niger, vor den Islamisten weichen müssen. Selbst in Kidal, ihrer Hochburg im äussersten Nordosten, ist die Lage der Tuareg-Separatisten prekär. In Gao verloren sie nun ihre wichtigsten militärischen Bestände, und ihr politischer Anführer, Bilal Ag Acherif, wurde bei den Kämpfen verletzt. Er soll in die burkinabische Hauptstadt Ouagadougou evakuiert worden sein. Burkina Faso hatte in den letzten Wochen Vermittlungsbemühungen im malischen Konflikt aufgenommen.
Bei der Miliz, die in Gao die Oberhand gewonnen hat, handelt es sich um das Mouvement pour l'unité et le jihad en Afrique de l'Ouest (Mujao), bei dem hellhäutige Berabish aus Gao, auch «Araber» genannt, den Ton angeben. Sie sollen der Qaïda au Maghreb islamique (Aqmi) nahestehen, die sich durch Geiselnahmen hervortut, aber derartige Charakterisierungen sind unzulänglich. Entscheidend ist, dass die Islamisten eine Abspaltung des Nordens ablehnen und stattdessen im Gebiet die Scharia einführen wollen.
Die Niederlage des MNLA hatte sich abgezeichnet, nachdem es in der Bewegung, welche die Rebellion im Norden Anfang Jahr losgetreten hatte, zu Meinungsverschiedenheiten gekommen war. Der von der französischen Diaspora angeführte politische Flügel bestand auf einer Abgrenzung gegenüber den Islamisten - notfalls auf deren Unterwerfung -, während die militärische Faktion angesichts der Überlegenheit der Rivalen ein Arrangement mit diesen suchte. Vor zwei Wochen brüskierte allerdings Iyad Ag Ghali, der Chef von Ansar ad-Din, einer anderen islamistischen Miliz, solche Avancen, indem er sezessionistische Bestrebungen kategorisch ablehnte. Ansar ad-Din ist die Gruppe, die Timbuktu beherrscht und dort eine eher milde Form der Scharia durchgesetzt hat.
Die Niederlage des MNLA zeigt, dass dessen militärische Stärke von Beobachtern überschätzt worden war. Dazu trug bei, dass Tuareg, die letztes Jahr aus dem libyschen Söldnerdienst heimgekehrt waren, ihre mitgebrachten schweren Waffen in den Adagh-Bergen an der Grenze zu Algerien versteckt hatten. In der Gegend leben Tuareg des Stammes der Ifoghas, die durch verschiedene Launen der Geschichte einem strengen Sunnismus anhängen und die Islamisten unterstützen. Als deren Milizen das Bündnis mit dem MNLA in Frage stellten, fiel es ihnen leicht, den Separatisten den Zugang zu Artilleriewaffen und zur entsprechenden Munition abzuschneiden.
Die malische Übergangsregierung ist zu unsicher und zu unbeständig, um aus der neuen Ausgangslage Gewinn ziehen zu können. Diese ändert die Voraussetzungen für Verhandlungen grundsätzlich. Andererseits ist es gut möglich, dass die Rebellenfront infolge von Konflikten unter den Islamisten (Mujao und Ansar ad-Din) weiter aufbricht.