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Beitrag vom 20.08.2012

Die Presse (Wien)

Wie Ideologen Malis Erbe und Identität gefährden

MOUSSA ABUMANSUR

Gastkommentar. Die Gedächtnisorte und Zeugnisse einer jahrhundertealten Schreibkultur Westafrikas sind in Gefahr - gegen den Willen der Bevölkerung.

In diesem Jahr kam es zu einer durch aufgebrachte putschende Offiziere mitverursachten Destabilisierung des westafrikanischen Vielvölkerstaates Mali. Die Putschisten warfen dem amtierenden Präsidenten Amadou Toure vor, er würde das Militär nicht ausreichend gegen die Separatisten im Norden Malis unterstützen. Ironischerweise nutzten zwei Organisationen mit unterschiedlichen Motiven die "Gunst der Stunde": Fast zeitgleich zum Putsch wurde der Norden Malis zum unabhängigen Staat Azawad erklärt.

Als die ersten Meldungen über die Unabhängigkeitserklärung der Tuareg-Separatisten der quasi "säkularen" MNLA (Mouvement National pour la Libération de l'Azawad) übermittelt wurden, wunderte man sich wenig später über die kolportierte Allianz mit der radikalen religiös-ideologischen Organisation Ansar ad-Din.

Auf dem Weg zum Gottesstaat
Dem Führer der Ansar ad-Din, Iyad Ag Ghaly, werden nicht nur ideologische und organisatorische Kontakte zur "al-Qaida im Maghreb" (AQIM), sondern auch familiäre Verbindungen zu einem ihrer Unterführer, nämlich Abdalkarim al-Targui, nachgesagt. Während die MNLA "nur" einen unabhängigen Staat im Norden Malis errichten will, strebt die Ansar ad-Din einen ungeteilten Staat Mali unter der Herrschaft einer von ihr geprägten ideologischen Vorstellung des Islam an. Dazu gehörte es offensichtlich auch, historische Stätten zu zerstören. Damit gleichen sie den Anhängern Muhammad ibn Abdulwahabs, welche vor 300 Jahren auf der arabischen Halbinsel ähnlich handelten. Fraglich ist, ob nicht auch die jahrhundertealten Bibliotheken nebst deren philosophischen, religiösen und naturwissenschaftlichen Literatur von den ideologieschwangeren Eiferern vernichtet werden könnten.

Tatsache scheint es zu sein, dass weder die Tuareg-Separatisten der MNLA den ideologischen Kurs der Ansar ad-Din unterstützen, geschweige denn die Malier selber die politische und gesellschaftliche Destabilisierung und Zerstörungswut dieser radikalen Eiferer hinnehmen werden.

Den verschiedenen Völkern Malis - Bambara, Songhai, Fulani, oder Tuareg - ist dieser Puritanismus und das religiös-ideologische Weltbild der Ansar ad-Din und der AQIM fremd. Den von mystischen, sufischen Bruderschaften (Turuq) geprägten Muslimen Westafrikas ist die Verehrung von muslimischen Gelehrten, teilweise auch über deren Tod hinaus, jedoch nicht fremd. Die Grabstätten derselben in der für diese Region typischen Lehmbauweise sind der sichtbare Beleg.

Widerstand der Bevölkerung
Für die Puritaner der Ansar ad-Din ist es ein Zeichen einer Abwendung vom Monotheismus (Tawhid), eine Form des Götzendienstes und aus ihrer Sicht somit eine damit verbundene falsche gottesdienstliche Praxis. Dazu kommen neben dem sich von der Bevölkerung unterscheidenden, traditionellen Islamverständnis die neu eingeführten Körperstrafen. Berichte Anfang Juli zeigen den Widerstand der Bevölkerung gegen die Ansar ad-Din.

Aufgebrachte Bewohner verhinderten zum Beispiel eine in der Stadt Gao geplante öffentliche Handamputation. Das religiöse Verständnis und die Ideologie der Ansar ad-Din haben in der Bevölkerung Malis keine geistige und historische Basis und bleiben fremd.

Dass die Eiferer der Ansar ad-Din "Fremde" sind, welche den Maliern ihren Willen aufzwingen wollen, zeigt sich auch an dem fortgesetzten Zerstörungswerk. Gebäudeteile von Moscheen oder Grabstätten und somit das historische und kulturelle Erbe Malis wurden bereits von ihnen zerstört. Zeugen der oft unbekannten Größe und Geschichte des Reiches Mali werden dem Erdboden gleichgemacht. Somit gehen Erinnerungsorte unwiederbringlich verloren, ein Verlust für die dort verwurzelte Bevölkerung und der Verlust eines Weltkulturerbes.

Das Vorgehen der Fanatiker offenbart eine Kombination von Arroganz und Ignoranz gegenüber der Geschichte Westafrikas und der eigenen, spezifischen kulturellen Identität der verschiedenen Völker Malis. Die Bauten und Bibliotheken sind Belege wider den Stereotyp der illiteraten Afrikanerinnen und Afrikaner, wie auch der englische Afrikanist Hunwick konstatierte.

Ehemaliges kulturelles Zentrum
Der jetzige Staat Mali ging 1960 aus den ehemaligen französischen Kolonialgebieten hervor und wurde nach dem mittelalterlichen Königreich Mali benannt. Dort residierte im 14. Jahrhundert der legendär reiche König Mansa Mousa, welcher selbst in Europa als "König des Goldes" bekannt war. Zentren des Reiches Mali waren Gao, Mopti, Djenne und Timbuktu, ein bedeutender Ort des Transsaharahandels.

Zur Blütezeit Malis studierten in deren Zentren mehrere Tausend Studenten aus verschiedenen Gegenden Westafrikas unter anderem Mathematik, Astronomie, Philosophie, Arabisch und islamische Wissenschaften. Die Manuskripte wurden dabei auch in den lokalen Sprachen unter Verwendung des arabischen Alphabetes verfasst.

Die jetzt durch die Ansar ad-Din bedrohten historischen Bauten und Bibliotheken sind Zeugnis für die oft unbekannte und ignorierte Geschichte dieses Teils von Afrika.

Es ist zu befürchten, dass auch die mindestens bis ins 13. Jahrhundert zurückreichenden, bis heute in Bibliotheken konservierten Zeugnisse der Schriftkultur und wissenschaftlichen Strebens der Völker Westafrikas durch das Wüten der Ansar ad-Din gefährdet sein könnten.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Person
Moussa Abumansur ist Universitätslehrer. Er unterrichtet im Bereich des interreligiösen Dialoges, der Weiterbildung für Imame und der Lehrerbildung. Zu den aktuellen Forschungsgebieten von Moussa Abumansur zählen unter anderem die Themen Migration, Identität und religiöser Extremismus.