Beitrag vom 10.01.2014
Neue Zürcher Zeitung
Afrika
Wachstum und Armut
dai. Es gibt einerseits die Hochglanzprospekte von internationalen Firmen, die uns erklären, dass Afrika der Boom-Kontinent, das kommende Asien sei, mit Wachstumszahlen von 5 Prozent, aufstrebender Mittelschicht, hoher Geburtenrate und entsprechend junger, konsumfreudiger Bevölkerung. Wer andererseits in einem x-beliebigen subsaharischen Land das Stadtzentrum verlässt, stösst immer noch auf eine desolate Situation, die den bejubelten Wirtschaftszahlen Hohn spricht: schlechte, oft überflutete Strassen, Arbeitslose, die sich mit Gelegenheitsjobs durchwursteln, vernachlässigte Kinderscharen, mangelnde sanitäre Einrichtungen, Abfallberge, Krankheiten und ein Staat, der höchstens in Form von Polizisten anwesend ist, die die Bevölkerung mit sinnlosen, erpresserischen Kontrollen malträtieren.
Dieses Auseinanderklaffen zwischen Wachstumszahlen, die häufig auf hohen Rohstoffpreisen basieren und entsprechend fragil sind, und den realen Lebensbedingungen der Mehrheit lässt sich auch statistisch belegen. Laut Erhebungen der Weltbank lebt weltweit ein Drittel der extrem Armen - mit weniger als 1 Dollar 25 pro Tag - in Schwarzafrika. Vor 30 Jahren waren es nur elf Prozent. Weil Afrika nicht industrialisiert ist, gibt es auch keine Arbeiterklasse (ein schlechtbezahlter Job wäre immer noch besser als gar keiner). Man gehört der Ober- oder Mittelschicht an - oder gehört zu diesen 400 Millionen, die ums Überleben kämpfen. Ein Dazwischen gibt es praktisch nicht.
Hat das Gros der Bevölkerung auf lange Sicht nicht am Boom teil, wachsen die sozialen und politischen Spannungen, darauf kann man Gift nehmen.