Beitrag vom 05.07.2014
ORF Wien
"Größtes Journalistengefängnis Afrikas"
Eritrea gilt als das Nordkorea Afrikas. Es ist ähnlich abgeschottet, übertrifft in einigen negativen Aspekten sogar das Regime in Pjöngjang. Seit 1993 wird das Land von dem Machthaber Isayas Afewerki regiert. Es gab seit der Unabhängigkeit von Äthiopien keine einzige landesweite - geschweige denn freie - Wahl. Die Verfassung, die theoretisch ein Mehrparteiensystem vorsieht, wurde nie in Kraft gesetzt.
Die UNO hat nun eine eigene Kommission eingerichtet, um die schweren Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen durch das Einparteienregime zu untersuchen. Warum das Land nicht stärker im Fokus der europäischen Aufmerksamkeit steht, ist unverständlich. Denn angesichts der verheerenden politischen und menschenrechtlichen Lage im Land flüchten immer mehr Menschen. Mittlerweile stammen laut UNO die meisten Flüchtlinge, die ihr Heil in der lebensgefährlichen Flucht über das Mittelmeer nach Europa suchen, aus Eritrea.
Die Flüchtlinge, die UNO und Hilfsorganisationen wie Human Rights Watch (HRW) und Reporter ohne Grenzen (ROG) berichten von schwersten Vergehen: außergerichtliche Hinrichtungen, Schießbefehl an der Grenze, Zwangsrekrutierung und unbefristeter Militärdienst, willkürliche Verhaftungen, schwerste Verstöße gegen Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit.
Abgeschottet wie kaum ein Land
Möglich wird das im 21. Jahrhundert vor allem durch eines: Das Land ist wie kaum ein anderes von der Welt abgeschnitten. Laut einem Länderprofil der UNO-Sonderorganisation International Telecommunication Union (ITU) gab es vor zwei Jahren pro hundert Einwohner nur einen Festnetzanschluss und fünf Mobiltelefonverträge. Das ist die niedrigste Rate weltweit - selbst in Nordkorea liegen die entsprechenden Werte bei 4,7 bzw. 9,7 Prozent. Es gibt in Eritrea nur einen - staatlichen - Telekombetreiber, und die Kosten fürs Telefonieren sind für die Bürger kaum finanzierbar. Breitbandinternet gibt es demnach gar nicht, im Schnitt hat nur jeder hundertste Haushalt überhaupt einen Internetzugang.
ROG führt Eritrea in seinem aktuellen Länderranking in Sachen Pressefreiheit an der 180. Stelle - selbst Nordkorea schneidet besser ab. Eritrea sei seit 2001 "das größte Gefängnis Afrikas für Journalisten". Damals verbat Machthaber Afewerki sämtliche Medien in Privatbesitz und ließ elf Journalisten festnehmen. Sieben von ihnen seien seither gestorben. Derzeit sind laut ROG insgesamt 28 Journalisten in Haft.
Medien als Sprachrohre des Regimes
Die Staatsmedien sind demnach streng überwacht und reine Sprachorgane der Machthaber. Ganze Kapitel aktueller Ereignisse würden einfach ausgeblendet - so etwa der "arabische Frühling", der immerhin im unmittelbaren Umfeld des Landes, dessen Bevölkerung sich zur Hälfte aus Muslimen und zur Hälfte aus Christen zusammensetzt, stattfindet. Laut der in London lebenden eritreischen Menschenrechtsaktivistin Selam Kidane hatten viele Menschen in Eritrea lange Zeit keine Ahnung, dass die Regime in der Nachbarschaft gestürzt wurden. Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi sei "einer von Eritreas loyalsten Unterstützern gewesen, doch (die Regierung, Anm.) hat bis heute nicht über seinen Tod berichtet", so Kidane gegenüber dem US-Magazin "Businessweek".
Es sei aufgrund des fast kompletten Fehlens von Satelliten- und Internetverbindungen für die Bevölkerung unmöglich, an unabhängige Informationen zu kommen. Laut ROG gibt es nur eine Handvoll unabhängiger Radiostationen, beispielsweise Radio Erena, die vom Ausland aus Nachrichten senden.
Grenze mit Äthiopien bis heute umstritten
Eritrea war von 1554 mehr als 300 Jahre lang Teil des Osmanischen Reichs und wurde 1890 italienische Kolonie. Nach dem Überfall des faschistischen Italien auf Äthiopien wurde Eritrea in das neue Gebilde Africa Orientale Italiana (Italienisch-Ostafrika) eingegliedert. 1941, im Zuge des Zweiten Weltkriegs, wurde Eritrea britische Militärverwaltungszone und 1947 britisches Mandatsgebiet. Die UNO beschloss eine Föderation Eritreas mit Äthiopien. 1961 begannen eritreische Separatisten nach der Auflösung des eritreischen Parlaments durch Äthiopiens Kaiser Haile Selassie einen bewaffneten Aufstand.
Eritreische und äthiopische Rebellen verbündeten sich und entmachteten 1991 das Derg-Regime. Damit ging nach 30 Jahren der Unabhängigkeitskrieg zu Ende. Mit einem Referendum wurde 1993 die Unabhängigkeit fixiert. Trotz des gemeinsamen Kampfs in der Opposition verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Äthiopien und Eritrea. 1998 kam es zum Krieg, trotz eines Abkommens ist der genaue Grenzverlauf bis heute umstritten.
Keine Priorität für Europa
Afewerki wird von Kritikern vorgeworfen, nicht nur die eigene Bevölkerung brutal zu unterdrücken, sondern auch die Region am Horn von Afrika durch die Unterstützung der islamistischen Al-Schabab-Milizen und der Piraten im Roten Meer zu destabilisieren. Die Vereinten Nationen haben ein Waffenembargo über das Mitgliedsland verhängt sowie Reiseverbote und Kontensperren für hochrangige Politiker und Militärs. Aber selbst die Flüchtlingstragödien, die sich tagtäglich auf dem Mittelmeer ereignen, haben bisher nicht dazu geführt, dass sich Europas Politiker und Öffentlichkeit dem Schicksal der Menschen in Eritrea widmen und verstärkt politisch aktiv werden.