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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 05.05.2017

Kölner Stadt-Anzeiger

Gipfel im südafrikanischen Durban

Afrikas Wirtschaft lahmt

VON WOLFGANG DRECHSLER

Die Zahlen zum Afrika-Gipfel des Schweizer Weltwirtschaftsforums (WEF) in dieser Woche könnten düsterer kaum sein: Statt um durchschnittlich bis zu acht Prozent wie in den zehn Jahren zwischen 2004 und 2014 ist Afrika nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) im vergangenen Jahr lediglich um mickrige 1,6 Prozent gewachsen - und hat damit nicht einmal mit seinem Bevölkerungswachstum von rund 2,5 Prozent Schritt gehalten. Ein Desaster vor dem Hintergrund der wachsenden Migrantenzahl aus den 54 Ländern des Kontinents.

Und glaubt man den für gewöhnlich eher optimistischen Prognosen des IWF wird sich auch in den nächsten Jahren daran kaum etwas ändern. So soll die Wirtschaftsleistung zumindest im Afrika südlich der Sahara (Subsahara-Afrika) mit seinen insgesamt 49 Ländern bis zum Jahr 2020 im Schnitt um nur rund drei Prozent pro Jahr wachsen - exakt die Hälfte dessen, was der IWF noch auf dem WEF-Afrikagipfel vor vier Jahren prophezeit hatte. Dabei bräuchte der Kontinent nach Ansicht von Experten über zehn oder mehr Jahre hinweg durchweg zweistellige Zuwachsraten wie einst China, um die extreme Armut zwischen Kap und Kairo spürbar zu verringern.

Die jüngste Entwicklung ist umso ernüchternder als noch vor kurzem viele afrikanischen Volkswirtschaften unter Unternehmensberatern, aber auch Politikern als Wachstumswunder galten. Nicht wenige wähnten den Kontinent bereits auf den Fußspuren Asiens. Auch der frühere US-Präsident Barack Obama, dessen Vater aus Kenia stammt, zeigte sich auf einer Stippvisite im Jahre 2013 noch fest davon überzeugt, dass Afrika "die nächste große Erfolgsstory der Welt" schreiben werde.

Jetzt rächt sich, dass Afrika in den vergangenen Jahren fast nur noch auf die chinesische Karte gesetzt und darüber die Bande zu den traditionellen Handelspartnern im Westen vernachlässigt hat. So sind Chinas Direktinvestitionen in Afrika seit 2015 um fast 40 Prozent eingebrochen. Genauso stark gefallen sind die (Rohstoff-)Exporte Afrikas in den Fernen Osten.

Genau dies eröffnet womöglich jedoch neue Chancen für den Westen. Die deutsche Regierung überschlägt sich jedenfalls mit Initiativen. Nachdem bereits vergangene Woche Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Woman-20-Gipfel in Berlin für einen neuen Fonds zur Unterstützung von Unternehmensgründerinnen in Afrika warb, legen jetzt im südafrikanischen Durban Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries mit eigenen Initiativen nach. Außenminister Sigmar Gabriel warb bei der Afrikanischen Union in Äthiopien für eine einstimmigere Afrikapolitik Europas. "Es gibt noch zu häufig zu unterschiedliche Herangehensweisen an Entwicklungen in Afrika", sagte Gabriel.

Der Aktionismus auf allen Ebenen hat vor allem einen Grund: Aufgrund der schlechten Wirtschaftslage und des gleichzeitig weiter hohen Bevölkerungswachstums prognostizieren Experten eine stark steigende Anzahl von Wirtschaftsflüchtlingen mit Ziel Europa. Allein in Subsahara-Afrika müssten laut Schätzungen des IWF Millionen neuer Jobs entstehen, um die extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit zu verringern, die selbst in Südafrika, dem einzigen Industrieland des Kontinents, bei weit mehr als 50 Prozent liegt. Doch noch produziert Afrika fast nichts, was die Welt braucht - und somit auch keine Jobs. Nun will Deutschland helfen unter anderem beim Aufbau einer Kleinindustrie und womöglich auch beim Aufbau von Institutionen wie etwa Statistischen Ämtern, derer Afrika für eine nachhaltigere wirtschaftliche Entwicklung dringend bedarf.

Trotz ihrer hohen Bedeutung für die Demokratie- und Wirtschaftsentwicklung gibt es nämlich noch immer kaum verlässliche Zahlen, etwa zur immer wieder hochgejubelten Mittelschicht in Afrika. Sicher ist nur, dass sie fast überall erheblich kleiner als ursprünglich vermutet ist. Nimmt man einen Verdienst von 10 bis 20 Dollar am Tag als Grundlage, zeigen Daten der Beratergruppe EIU Canback nur eine sehr leichte Zunahme von 4,5 auf knapp sechs Prozent der Gesamtbevölkerung in den vergangenen zehn Jahren. Über 90 Prozent aller Afrikaner fallen demnach noch immer unter die Schwelle von 10 Dollar am Tag.

Entsprechend stark gestiegen ist die Skepsis in vielen Firmenetagen über das vermeintlich grenzenlose Wachstumspotenzial Afrikas. Selbst Konsumgüterkonzerne wie Procter & Gamble, Coca-Cola oder Unilever, vermeintliche Nutznießer von erhofften Millionen neuer Konsumenten, haben es zunehmend schwer. Entsprechend vorsichtig sind plötzlich die Prognosen: Afrikas Wachstumsgeschichte, so hört man jetzt immer öfter, wird wohl allenfalls eine sehr langfristige sein.

Afrika in Zahlen

Der afrikanische Kontinent ist 30,2 Millionen Quadratkilometer groß - gut ein Fünftel der Landmasse der Erde. 1,2 Milliarden Menschen leben in den 54 Staaten des Kontinents. Das bevölkerungsreichste Land ist Nigeria mit 180 Millionen Menschen, gefolgt von Äthiopien mit 102 Millionen Menschen. Auf den Seychellen leben dagegen nur 93 000 Menschen. Die Geburtenrate variiert extrem und liegt in Nordafrika bei etwa zwei, in Zentralafrika dagegen bei 4,5 Kindern pro Frau. (ksta)