Beitrag vom 22.03.2019
FAZ
Eine Chance für Afrika
Von Philip Plickert
Die panafrikanische Freihandelszone wäre die größte der Erde. Wird sie wirklich Realität?
In Afrika könnte bald eine Revolution beginnen: die Gründung der panafrikanischen Freihandelszone. Vor einem Jahr haben mehr als vierzig Staats- und Regierungschefs beim Gipfeltreffen in Addis Abeba ein Grundsatzabkommen unterzeichnet. Wird die Schwelle von 22 Ratifizierungen bis zum nächsten Gipfeltreffen der Afrikanischen Union im Juli erreicht, tritt das Abkommen in Kraft. Innerhalb von fünf Jahren sollen dann fast alle Zollabgaben im innerafrikanischen Handel wegfallen. Langfristig soll ein völlig freier Markt für Güter und Dienstleistungen entstehen.
Das wäre ein Löwensprung nach vorn für die wirtschaftliche Integration des Kontinents. Bislang ist Afrika in sechzehn Handelszonen zersplittert. Das durchschnittliche Zollniveau liegt mit 6 Prozent doppelt so hoch wie der Weltdurchschnitt. Auf Fertigprodukte kassiert man etwa in Ostafrika 25 Prozent Importzoll. Man leiste sich mit den höchsten Protektionismus in der Welt, gibt der AU-Handelskommissar zu. Die Folge ist ein kümmerlich geringer innerafrikanischer Handel. Nicht mal 20 Prozent der Exporte afrikanischer Unternehmen gehen in afrikanische Länder.
Die Freihandelszone von Kairo bis zum Kap wäre die größte der Erde. Sie würde die ökonomische Entwicklung des Kontinents mit jetzt schon 1,3 Milliarden Menschen unterstützen. Aber es gibt noch viele Widerstände. Noch immer ist unklar, ob Nigeria – mit fast 200 Millionen Einwohnern die größte Volkswirtschaft des Kontinents – dem Abkommen beitritt. Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände sträuben sich. Bezeichnenderweise hat der nigerianische Milliardär Aliko Dangote sein Vermögen mit Zementwerken gemacht, die durch hohe Zölle vor ausländischem Wettbewerb abgeschirmt sind. Der reichste Mann Afrikas verdient glänzend, für den Rest des Landes verteuern die Importzölle den Bau von Häusern und Straßen.
Obwohl die Freihandelszone eine große Chance für den Kontinent und seine Menschen wäre, bleiben doch viele Zweifel. Nicht wenige Handelsfachleute mit praktischer Erfahrung in Afrika sind skeptisch. Allzu oft sind großartige Ankündigungen in der politischen Umsetzung stecken geblieben. Es gibt starke Interessengruppen, die bei einer Öffnung der Märkte verlieren würden: all jene Unternehmen und Politiker, die bislang vom protektionistischen Regime profitieren.
Es sind nicht allein die Zollsätze, die den Handel behindern. Ein Hauptproblem sind miserable Fernstraßen voller Schlaglöcher und die schwache Bahninfrastruktur teils noch aus der Kolonialzeit. Dazu kommen extrem bürokratische Grenzkontrollen, die Lastwagen tagelang aufhalten. Oft öffnet erst ein Schmiergeld den Schlagbaum. Auch in den Seehäfen erleben Transporteure unliebsame Überraschungen. All das führt dazu, dass Transportkosten in Afrika zwei- bis dreimal so hoch sind wie in Europa.
Ernsthafte Anstrengungen, den Handel zu erleichtern, wären ein echtes Konjunkturprogramm für den Kontinent. Ein Problem bleibt indes die geringe Wertschöpfungstiefe: Afrikanische Länder exportieren viele Rohstoffe wie Öl und Erze sowie unverarbeitete Agrargüter. Sie verkaufen Mangos, die in Europa zu Saft verarbeitet werden. Äthiopiens Kaffeebohnen werden in Bremen geröstet. Ghana ist großer Kakaoproduzent, aber die Schokoladenproduktion findet in Europa oder Amerika statt. Warum? Zum Teil sind die Ursachen hausgemacht: Ghana erhebt hohe Importzölle auf Zucker, Milchpulver und Verpackungsmaterial, was die Schokoladenproduktion im Land verteuert. Und es fehlt an Investoren, die willens sind, genug Kapital in die Verarbeitung vor Ort zu investieren. Die Standortbedingungen erscheinen zu teuer und unsicher.
Oft wird beklagt (und selbst der Entwicklungshilfeminister behauptet es), dass sich Europa oder Amerika mit Zöllen gegen afrikanische Waren abschotteten. Das ist ein Märchen. Diese Zölle sind fast alle auf null gesenkt worden. Eine große Bürde für die afrikanischen Bauern ist allerdings, dass Europas und Amerikas Landwirtschaft durch staatliche Subventionen und Beihilfen einen solchen Vorteil hat. Diese Subventionen für die hiesige Landwirtschaft zu streichen würde mehr bewirken als weitere Milliarden für Entwicklungshilfe.
Trotz vieler Schwierigkeiten hat Afrika in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Manche sprechen von einem neuen „Run“ auf den Kontinent, so wie im 19. Jahrhundert. In den vergangenen Jahren hat vor allem China stark investiert. Pekings Konzerne haben gewaltige Infrastrukturprojekte gebaut. Noch immer sind zwar Amerikaner, Briten und Franzosen die größten Auslandsinvestoren in Afrika, doch die Chinesen holen kräftig auf. Größter Handelspartner sind sie schon längst. Deutsche liegen auf der Liste der ausländischen Direktinvestoren weit abgeschlagen. Mehr Mut zu Investitionen in Afrika wäre hiesigen Unternehmern zu wünschen.
Ungeachtet vieler Schwierigkeiten herrscht in Teilen Afrikas Aufbruchsstimmung. Eine stärkere und nachhaltige ökonomische Dynamik ist dringend nötig, um die jährlich um bis zu 30 Millionen Menschen wachsende Bevölkerung zu versorgen. Afrika muss und kann sich letztlich nur selbst helfen. Die Freihandelsinitiative ist dafür ein guter Ansatz.