Beitrag vom 27.05.2019
FAZ
Afrikanisches Freihandelsabkommen tritt in Kraft
Ziel ist ein gemeinsamer Markt mit doppelt so vielen Menschen wie in der EU / Größte Volkswirtschaft zögert
KAPSTADT, 26. Mai. Ein dünnbesiedelter Wüstenstaat ist es gewesen, der wohl eines der ehrgeizigsten Freihandelsvorhaben in der Geschichte in Gang setzte: Am 29. April ratifizierte die Demokratische Arabische Republik Sahara das Abkommen für einen panafrikanischen Freihandelsraum. Der Staat, in dem gerade einmal zwei Einwohner auf einem Quadratkilometer wohnen, hat diese historische Rolle allerdings eher zufällig bekommen. Er war die Nummer 22 unter den 55 Mitgliedern der Afrikanischen Union (AU). Somit war die vorgeschriebene Mindestzahl an Ratifikationen erreicht, und die Frist von 30 Tagen zum Inkrafttreten lief.
An diesem Donnerstag nun ist es so weit. Von einem „Meilenstein“ und einem „historischen Tag“ für Afrika ist die Rede. Seit dem Vertrag von Abuja im Jahr 1991 gibt es einen Fahrplan dafür, einen gemeinsamen afrikanischen Markt zu schaffen. Jetzt ist der Kontinent, der für Handels- und Logistikunternehmen nur schwer zu erschließen ist, dem Ziel einen Schritt näher gekommen. Nigers Präsident Mahamadou Issoufou fasste die Herkulesaufgabe zusammen: „Diese 84000 Kilometer langen Grenzen zwischen unseren Ländern sind 84000 Kilometer lange Handelsbarrieren.“
Verläuft alles nach dem Plan der AU und ihrer internationalen Unterstützer, wird ein Freihandelsraum mit 1,2 Milliarden Einwohnern – mehr als doppelt so viele wie in der EU – entstehen mit einer gemeinsamen Wirtschaftsleistung von 2,5 Billionen Dollar, also etwa einem Siebtel des EU-Bruttoinlandsprodukts. Nicht nur gemessen an der Bevölkerung und dem geographischen Ausmaß, sondern auch an der Diversität, wäre es das außergewöhnlichste Freihandelsgebiet auf der Welt. Seine Mitglieder würden vom industrialisierten Südafrika bis zum Krisenstaat Somalia reichen. Mittlerweile haben 52 afrikanische Regierungen das Abkommen unterschrieben, 23 haben es ratifiziert.
Ein verstärkter innerafrikanischer Handel werde die Wirtschaft auf dem Kontinent ankurbeln und Arbeitsplätze schaffen, sagte AU-Handelskommissar Albert Muchanga. Paradoxerweise fällt es afrikanischen Ländern leichter, mit Ländern außerhalb des Kontinents Handel zu treiben als untereinander. Nach Angaben der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit machte der innerafrikanische Handel 2017 nur 17 Prozent des Gesamthandels aus. Zum Vergleich: In Asien liegt der Anteil des kontinentalen Handels bei rund 50, in Westeuropa bei fast 70 Prozent. Die Hälfte des Handels südlich der Sahara findet dabei zwischen fünf Ländern statt: Südafrika, Botswana, Lesotho, Namibia und Swasiland. Sie alle sind Mitglieder der Zollunion des Südlichen Afrika.
Auch wenn das Abkommen am Donnerstag mit großem Wirbel in Kraft tritt, sinkt dadurch kein einziger Zoll an diesem Tag. Normalerweise sind die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen weitgehend abgeschlossen, bevor es in Kraft tritt, erklärt der Kapstädter Handelsökonom Eckart Naumann der F.A.Z. In diesem Fall ist es umgekehrt. Wichtige Inhalte wie Zolltarife und die Ursprungsregeln sind noch unklar. „Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass solche Verhandlungen komplex sind, lange dauern und oft der politische Wille zu Zugeständnissen fehlt.“ Frühere Vorstöße der Afrikanischen Union wie das Freihandelsabkommen TFTA (Tripartite Free Trade Area) sind bis heute nicht implementiert, obwohl daran weniger als halb so viele afrikanische Länder beteiligt sind.
Auch diesmal ziehen nicht alle an einem Strang. In der vergangenen Woche machte auf Twitter abermals eine Petition die Runde, um den nigerianischen Präsidenten Muhammadu Buhari zu einer Unterzeichnung zu drängen. Ausgerechnet die größte Volkswirtschaft in Afrika zögert. Der dortige Industrieverband befürchtet Nachteile für die erst entstehende Industrie, wenn sie sich insbesondere gegenüber dem weiter entwickelten Südafrika behaupten muss. Nigerias Wirtschaft hat im eigenen Land mit 190 Millionen Einwohnern schon einen riesigen Absatzmarkt. Nicht zuletzt der Unternehmer Aliko Dangote verdankt seinen Aufstieg zum reichsten Mann in Afrika einem gezielten Protektionismus.
Kleinere und ärmere Länder machen sich derweil ebenfalls Sorgen, mit Produkten aus reicheren Nationen überschwemmt zu werden. Abgesehen davon sind die Zolleinnahmen für sie eine wichtige Einnahmequelle.
Es ist also ein großes Vorhaben mit vielen Unbekannten. Die Reaktionen aus der Wirtschaft sind daher bislang verhalten. „Das Abkommen wird für die mittelfristige Afrika-Strategie von Konzernen eine Rolle spielen“, sagte Matthias Boddenberg, Chef der deutschen Industrie- und Handelskammer für das südliche Afrika, „im Moment aber kann man über die Auswirkungen nur spekulieren“.
Auch unter Spediteuren ist die Begeisterung gedämpft. Eines der größten Ärgernisse im Tagesgeschäft seien die langen Abfertigungszeiten an den Grenzübergängen, erzählt Rob Stead, Manager des Bremer Logistikkonzerns World Net Logistics in Johannesburg. Anfang April beispielsweise stauten sich die Lastwagen vor Kasumbalesa auf einer Strecke von mehr als 70 Kilometern. Der Grenzübergang zwischen Sambia und der Demokratischen Republik Kongo ist unter Spediteuren wegen langer Wartezeiten, Kriminalität und Chaos besonders gefürchtet. Abgesehen von Südafrika gebe es in den meisten Ländern keine modernen elektronischen Zollabfertigungssysteme, sagt Stead. Alle Daten müssten an jeder Grenze per Hand eingetragen werden. „Es muss nur eine Kleinigkeit schiefgehen und schon gibt es Staus.“ Immer wieder für Schlagzeilen sorgt auch der stark frequentierte Beitbridge-Grenzübergang zwischen Südafrika und Zimbabwe. Bei einer Visite im vergangenen Jahr stellte die südafrikanische Oppositionspartei Demokratische Allianz (DA) fest, dass nur zwei von 16 Computern funktionierten.
Logistikfachmann Stead hält einen Freihandelsraum in Afrika nach EU-Vorbild für eine Phantastische Idee. „Aber wir haben schon so viele politische Absichtserklärungen dazu gehört. Ich bin erst begeistert, wenn unsere Laster tatsächlich schneller auf diesem Kontinent vorankommen.“ Claudia Bröll