Beitrag vom 30.08.2019
FAZ
Der Wettlauf um Afrika gewinnt an Tempo
China investiert viele Milliarden Dollar in Afrika. Das beunruhigt Washington zusehends. Doch Amerikas Gegenoffensive bleibt seltsam schwach. Von Thilo Thielke und Philip Plickert
DJIBOUTI/FRANKFURT, 29. August. Eine Schönheit ist der staubige Flecken in Ostafrika nicht gerade. Für den französischen Dichter Arthur Rimbaud, der sich am Horn von Afrika zeitweilig als Waffenhändler verdingte, war Djibouti nur „diese hässliche Kolonie“. Im Reiseführer steht, dass hier früher einmal ein Teil von „Planet der Affen“ gedreht wurde. Und ein djiboutisches Sprichwort lautet: „Bevor er dieses Land durchquert, macht selbst der Schakal sein Testament.“ Es ist sehr heiß und trocken. Im Schatten kauern ein paar junge Männer und kauen die Volksdroge Kat. Gleichgültig blicken sie auf einen französischen Militärkonvoi, der vorbeidonnert und Staub aufwirbelt.
Über dem Golf von Tadjourah rattern derweil amerikanische Hubschrauber in Richtung ihrer Basis Camp Lemonnier in der Nähe des Internationalen Flughafens. Derzeit sind rund 4000 amerikanische Soldaten hier stationiert. Djibouti mit weniger als einer Million Einwohner ist Basis für etliche Militärlager. Bundeswehrsoldaten starten von hier aus ihre Aufklärungsflüge im Kampf gegen die Piraterie. Als Kaserne dient ihnen das Sheraton Hotel. Italiener und Japaner haben hier ihre Stützpunkte, sogar die Saudis planen einen. Auch die ehemalige Kolonialmacht Frankreich ist weiter präsent.
Mit dem größten Selbstbewusstsein aber treten die Chinesen auf. Sie unterhalten mittlerweile in Djibouti eine eigene Marinebasis, ihre erste in Afrika. Und sie bauen in Afrika wie die Weltmeister. Vor kurzem stellten sie die 750 Kilometer lange Bahnverbindung von Djibouti zur äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba fertig – für 3 Milliarden Dollar. Mit Djiboutis Präsident Ismail Omar Guelleh eröffneten sie im vergangenen Jahr eine Sonderwirtschaftszone, die 4800 Hektar groß werden und deren Bau rund 3,5 Milliarden Dollar kosten soll. Das werde „das Eingangstor für ganz Afrika!“, jubelte Guelleh bei der Einweihung.
Die strategische Lage ist herausragend. Rund 20000 Schiffe passieren jedes Jahr den Golf von Aden. 90 Prozent des Handelsvolumens zwischen Afrika, Asien und Europa, ein Drittel des globalen Seehandels müssen durch ein sieben Kilometer breites Nadelöhr namens Bab al-Mandab geschleust werden. In Djibouti häufen sich mittlerweile aber auch Zwischenfälle zwischen den beiden Supermächten Amerika und China. Die Geheimdienst-Direktorin des U.S. Africa Command, Heidi Berg, klagte neulich, Chinesen hätten versucht, sich heimlich Zugang zu Camp Lemonnier zu verschaffen. Zudem habe Peking in Djibouti Drohnen stationiert, die Luftoperationen stören könnten. An die hundert Militärmissionen in 20 Ländern Afrikas unterhalten die Amerikaner – doch seit einiger Zeit beobachten sie mit Sorge die verstärkten Ambitionen Chinas auf dem Kontinent.
Auch den wirtschaftlichen Vormarsch der Chinesen beargwöhnt Washington zusehends. Noch vor gut einem Jahrzehnt waren die Vereinigten Staaten der größte Handelspartner, doch dann zogen die Chinesen an ihnen vorbei. Der chinesisch-afrikanische Handel ist mit etwa 170 Milliarden Dollar Volumen inzwischen dreimal so groß wie der amerikanisch-afrikanische. Beispielsweise verkauft der Konzern Transsion aus Shenzhen in Afrika millionenfach seine billigen Smartphones der Marken Tecno und Itel, mehr als Samsung. Auch Transsion produziert mittlerweile in Äthiopien.
China wiederum hat afrikanischen Ländern seit dem Jahr 2013 fast 90 Milliarden Dollar Kredite gegeben, rechnen die Forscher der China Africa Reserach Initiative von der Johns Hopkins University vor. Andere Ökonomen meinen, das verdeckte Kreditvolumen sei noch viel größer. Die Chinesen haben damit große Infrastrukturprojekte in Afrika verwirklicht: Hunderte Kilometer Bahnlinien in Äthiopien und Kenia, in Nigeria und Uganda, große Hafenanlagen (jüngst wurde etwa in der Walfischbucht in Namibia ein Containerhafen eröffnet), Flughäfen, Brücken, Kraftwerke, Fabriken. Auf fast allen großen Baustellen sind chinesische Konzerne aktiv. Die Konzerne Huawei und ZTE haben in mehr als 30 Ländern Afrikas Telekommunikationsnetze errichtet. Insgesamt 10000 chinesische Unternehmen sollen in ganz Afrika aktiv sein.
Wie stark sich die Gewichte verschieben, zeigen die Daten zu ausländischen Direktinvestitionen von Unctad, einer Behörde Vereinten Nationen. Innerhalb von zehn Jahren hat sich der Bestand chinesischer Direktinvestitionen in Afrika verzehnfacht, auf 43 Milliarden Dollar nach den jüngsten Zahlen von 2017. Noch liegen Frankreich, Amerika und Großbritannien mit 60 Milliarden Dollar, 50 Milliarden Dollar und 46 Milliarden Dollar davor, doch stagnieren oder schrumpfen ihre Investitionsbestände in Afrika. Deutsche kommen nur auf 10 Milliarden Euro. Die Volksrepublik könnte sich bald an die Spitze der Auslandsinvestoren in Afrika schieben. China hat besonders viel im rohstoffreichen Kongo investiert, fast 4 Milliarden Dollar. Auch in Algerien, Äthiopien, Sambia, Kenia und Tansania haben chinesische Investoren geklotzt. Ostafrika soll der südliche Endpunkt des Pekinger Megaprojekts „Neue Seidenstraße“ werden.
Auf dem China-Afrika-Gipfeltreffen in Peking hat Präsident Xi Jinping vor knapp einem Jahr weitere 60 Milliarden Dollar an Investitionen, Krediten und Hilfen versprochen. Wobei die „Hilfe“ natürlich nicht uneigennützig gemeint ist, genauso wenig wie die rund 10 Milliarden Dollar Entwicklungshilfe, die aus Washington jährlich nach Afrika fließen.
Der Vormarsch der Chinesen hat – mit einiger Zeitverzögerung – eine Reaktion aus den Vereinigten Staaten hervorgerufen. Präsident Donald Trumps Sicherheitsberater John Bolton warnte im Dezember 2018 in einer Rede: „Große machtpolitische Wettbewerber, namentlich China und Russland, sind dabei, ihren finanziellen und politischen Einfluss über Afrika zu erweitern.“ Die Chinesen nutzten Schmiergelder und dubiose Abkommen, um ganze Regierungen gefügig und Länder zur Beute zu machen; Staaten wie Sambia treibe Peking in eine Schuldenfalle und übernehme dort wichtige Unternehmen. Dem wolle man etwas entgegensetzen. Die Antwort darauf soll eine neue Initiative namens „Prosper Africa“ sein, ein Wirtschaftsförderplan. Allerdings blieb es bei der vagen Ankündigung.
Erst sieben Monate nach Boltons Rede wurde es etwas konkreter. Die stellvertretende Handelsministerin Karen Dunn Kelley präsentierte auf dem US-Africa Business Summit in Maputo, der Hauptstadt von Moçambique, Mitte Juni einige Details. Im Wesentlichen wird es aber darauf hinauslaufen, dass die amerikanischen Behörden und Initiativen für Entwicklungshilfe und Handelskooperation besser zusammenarbeiten sollen, um amerikanischen Unternehmen zu helfen, in Afrika Fuß zu fassen, zu investieren und zu handeln. Judd Devermont, Afrika-Direktor beim Center for Strategic and International Studies in Washington, ist nur mäßig beeindruckt. „Wenn man mal vom verbalen Getöse absieht, ist das ein Koordinierungsmechanismus – eine notwendige, aber ungenügende Reform“, findet er.
Bezeichnend ist, dass Washington nur eine stellvertretende Ministerin nach Maputo schickte, die zu einem Dutzend afrikanischen Staats- und Regierungschefs, Dutzenden Ministern und insgesamt tausend Konferenzbesuchern sprach. Während in Peking der Präsident persönlich die afrikanischen Herrscher empfängt, schickt Amerika nur die zweite Politikerreihe. Immerhin gab es noch während der Konferenz in Maputo ein großes Investitionsprojekt zu verkünden: Der texanische Ölkonzern Anadarko will für 25 Milliarden Dollar ein Gasfeld vor der Küste Moçambiques erschließen – „die größte ausländische Direktinvestition in der Geschichte des Landes“, freute sich Präsident Filipe Nyusi. Zehntausende Arbeitsplätze sollen damit geschaffen werden. „Mit diesem Projekt werden Bauernkinder später Ärzte, die Kinder von Bergarbeitern Anwälte“, hofft Präsident Nyusi.
Insgesamt war Afrikas wirtschaftliche Entwicklung aber enttäuschend schwach in den vergangenen Jahren. Der Titel „Löwen auf dem Sprung“, den einst die Berater von McKinsey erfanden, um das Potential zu rühmen, ist verblasst. Nach 15 Jahren mit kräftigen Wachstumsraten bremste 2016 der Rückgang der Rohstoffpreise die Konjunktur abrupt ab. Seitdem blieb das Wirtschaftswachstum mickrig: nur knapp 3 Prozent im Durchschnitt für Subsahara-Afrika. Kaum mehr als das Bevölkerungswachstum von 2,7 Prozent, das eine Zunahme um fast 30 Millionen Menschen je Jahr bringt. Je Kopf verbesserte sich die Lage also kaum auf dem Kontinent.
Und dennoch: Afrika hat riesiges Potential. Da sind zum einen die gewaltigen Bodenschätze, zum anderen die wachsende Bevölkerung des Kontinents, die sich bis 2050 auf 2,5 Milliarden verdoppeln soll. Das bietet potentiell einen riesigen Absatzmarkt. Und auch die geopolitisch-militärische Bedeutung Afrikas nimmt klar zu. Das zeigen auch die diplomatischen Offensiven vieler Staaten. Seit 2010 wurden mehr als 300 neue Botschaften und Konsulate in afrikanischen Ländern eröffnet. China ist überall präsent; in jüngerer Zeit haben aber auch die Türkei und Japan neue Auslandsvertretungen eröffnet. Und die Türkei baut mit ihrer Religionsbehörde Diyanet Moscheen. In Djibuti hat sie gerade die größte Moschee Ostafrikas fertiggestellt.
Viele afrikanische Autokraten nehmen gerne das Geld, das ihnen Peking und andere bieten. Aber nicht alle Projekte stoßen auf Gegenliebe. Die chinesischen Pläne für einen Megahafen mit Sonderwirtschaftszone im tansanischen Bagamoyo für 10 Milliarden Dollar hat Tansanias Präsident John Magufuli in diesem Sommer gestoppt. Chinas Bedingungen – eine Einnahmegarantie für 33 Jahre und 99 Jahre Pachtvertrag – seien so hart, dass „nur Verrückte sie akzeptieren könnten“, schimpfte Magufuli. So lasse man sich nicht ausbeuten.