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Beitrag vom 12.11.2019

FAZ

Geld für „Abfangdienste“

Nach Italien bezahlt offenbar auch der Inselstaat Malta die libysche Küstenwache/

Von Matthias Rüb, Rom

Ob geheim oder nicht, ist strittig. Unstrittig dagegen ist, dass die Regierung in Valletta und die maltesischen Streitkräfte mit der „Regierung der Nationalen Übereinkunft“ in Tripolis unter Ministerpräsident Fajez Sarradsch sowie mit der libyschen Küstenwache kooperieren, um den Flüchtlingsstrom von Nordafrika über das Mittelmeer einzudämmen.

Eine ähnliche Kooperation gibt es schon seit Anfang Februar 2017 zwischen Italien und Libyen. Die Gültigkeit des entsprechenden Memorandums zwischen Rom und Tripolis verlängert sich am 2. Februar 2020 um weitere drei Jahre. Die dreimonatige Frist zur Kündigung oder substantiellen Änderung der Vereinbarung war am 2. November abgelaufen.

Während der Text des italienisch-libyschen Memorandums, das von den damals in Rom regierenden Sozialdemokraten unter Ministerpräsident Paolo Gentiloni und Innenminister Marco Minniti erarbeitet worden war, bekannt ist, gibt es keine Angaben über eine schriftliche Fassung der Übereinkunft zwischen Valletta und Tripolis. Die Zeitung „Times of Malta“ berichtete in ihrer Ausgabe vom Sonntag unter Berufung auf maltesische Regierungsquellen, die Verhandlungen Vallettas mit Tripolis und der libyschen Küstenwache hätten vor etwa einem Jahr im Geheimen begonnen. Verhandlungsführer für Malta sei im persönlichen Auftrag von Ministerpräsident Joseph Muscat der Diplomat Neville Gafà gewesen. Gafà ist nicht im Außenministerium tätig, sondern im Amt des Ministerpräsidenten. Gegen Gafà wird in maltesischen Medien der Vorwurf erhoben, er habe für die Ausstellung von Visa an libysche Regierungsvertreter für angebliche Krankheitsbehandlungen auf Malta Bestechungsgeld kassiert. Gafà weist die Vorwürfe zurück.
Nach dem Bericht der „Times of Malta“ tauschen die maltesischen Streitkräfte mit der libyschen Küstenwache regelmäßig Informationen über die Bewegung von Flüchtlingsbooten aus. Danach teilen die Malteser den Libyern mit, wenn sich ein Boot mit Migranten der maltesischen Rettungszone im Mittelmeer nähert – verbunden mit dem Auftrag an die Libyer, das Flüchtlingsboot abzufangen und an die libysche Küste zurückzubringen. Private Seenotretter berichten, dass die libysche Küstenwache in mindestens einem Fall in die maltesische Rettungszone eingefahren sei, um von dort ein Flüchtlingsboot nach Libyen zurückzuschleppen. Die „Times of Malta“ zitiert einen anonymen maltesischen Regierungsmitarbeiter, der die offenbar nur mündlich getroffene Vereinbarung bestätigt habe. Gäbe es diese Übereinkunft nicht, dann würde Malta „unter Migranten ertrinken“.

Ein Regierungssprecher in Valletta wies am Montag die Darstellung zurück, die Verhandlungen seien geheim geführt worden. Bilaterale Treffen mit der libyschen Seite gebe es regelmäßig, dabei bewege man sich stets im Rahmen des Seerechts und internationaler Konventionen. Er verwies außerdem auf die Zusammenarbeit Roms sowie auch der EU mit den libyschen Autoritäten in Tripolis, um Schmuggel und Menschenhandel im Mittelmeer zu bekämpfen. Brüssel und Rom unterstützen die libysche Küstenwache mit Ausrüstung und mit viel Geld. Über die genauen Summen hüllt sich aber die italienische Regierung in Schweigen. Der Bericht der „Times of Malta“ legt nahe, dass auch Valletta die libysche Küstenwache für ihre „Abfangdienste“ bezahlt.

Ob es zu dem von mehreren Organisationen berichteten Zwischenfall mit der libyschen Küstenwache in der maltesischen Rettungszone gekommen ist, wollte der Regierungssprecher am Montag nicht bestätigen. Auch wollte er nicht kommentieren, ob Valletta libysche Häfen als sichere Häfen betrachtet, in denen aus Seenot gerettete Menschen ohne Gefahr für Leib und Leben an Land gebracht werden können. Nach Überzeugung des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) sowie aller im Mittelmeer operierenden Seenotretter-Organisationen können Häfen in Libyen nicht als sicher eingestuft werden. Es kann als gesichert gelten, dass es in den libyschen Lagern, in denen abgefangene Bootsflüchtlinge sowie auch Migranten auf ihrem Weg vom Süden an die Mittelmeerküste interniert werden, zu schweren Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Vergewaltigung und Versklavung kommt. Die Verbesserung der unhaltbaren Zustände in den Lagern hat die italienische Regierung bei ihren jüngsten Gesprächen mit Tripolis über das Memorandum ausdrücklich gefordert.

Ebenfalls als gesichert kann gelten, dass die libysche Küstenwache mit Milizen kooperiert, die mit Schlepperbanden zusammenarbeiten. Offenbar delegiert die Küstenwache mitunter ihre Aufgaben bei der „Migrationskontrolle“ im Mittelmeer auch direkt an Milizen, die mit ihren Schnellbooten Flüchtlingsboote mit Waffengewalt abfangen und zudem private Rettungsschiffe bedrohen, die ihnen dabei in die Quere kommen. Neben dem Geld aus Rom, Valletta und Brüssel, das über die libysche Küstenwache an die Milizen gelangt, fließt zusätzlich das „Fährgeld“ der Migranten in deren Kassen.
Aus Sicht der Zielländer der Bootsflüchtlinge im zentralen Mittelmeer ist die Kooperation mit Tripolis unumgänglich – zumal der humanitäre Verteilmechanismus in der EU nicht funktioniert. Waren 2016 noch gut 180000 Migranten über das Mittelmeer nach Italien gekommen, ging deren Zahl 2017 – nach Abschluss des Memorandums – auf knapp 120000 und 2018 auf nur noch rund 23000 zurück. Für 2019 wird ein weiterer Rückgang erwartet. Malta, das von der libyschen Hauptstadt Tripolis nur rund 350 Kilometer entfernt ist, will den Erfolg Italiens jetzt kopieren. Denn nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) kamen bis Anfang November schon rund 3200 Bootsflüchtlinge auf Malta an. Im gesamten Jahr 2018 waren es noch 1450 gewesen.