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Beitrag vom 19.01.2022

NZZ

Der Autokrat und seine (Fussball-)Spiele: Was Afrikas grösster Sportanlass für das zerrissene Kamerun bedeutet

In Kamerun findet der Afrika-Cup statt. Es geht um mehr als um Fussball.

Samuel Misteli, Nairobi

Würde er auftauchen, der 88-jährige Autokrat, der sich im Jahr vierzig seiner Herrschaft lieber in komfortablen Genfer Hotelzimmern aufhält als in der Heimat? Das fragte man sich in Kamerun Anfang Januar vor dem Eröffnungsspiel des Africa Cup of Nations, der kontinentalen Fussballmeisterschaft. Paul Biya kam, er drehte ein paar Runden im glänzend neuen Stadion, das – natürlich – seinen Namen trägt, er winkte aus der Limousine, die ihn transportierte, er sprach ein paar Worte. Dann gewann Kamerun gegen Burkina Faso, 2:1. Es war ganz im Sinn des Präsidenten, der gekommen war, weil für seine Regierung in diesen Wochen viel auf dem Spiel steht.

Der Afrika-Cup ist der wichtigste Sportanlass auf dem Kontinent. 24 Mannschaften spielen, die Favoriten sind Algerien, Ägypten und Senegal, rund eine Milliarde Menschen weltweit schauen zu. Für Kamerun und seinen greisen Präsidenten geht es nicht nur um Fussball. Es geht um die nationale Ehre und um das Bild, das ein brüchiges Land vermittelt. In seiner Neujahrsansprache sagte es Biya so: Der Afrika-Cup sei ein «grosser Moment der Brüderlichkeit», der Kamerun die Chance biete, die kulturelle Vielfalt zu zeigen, die dem Land den Spitznamen «Afrika en miniature» eingebracht habe.

Das Problem ist, dass Kamerun in den vergangenen Jahren weniger wegen seiner kulturellen Vielfalt als wegen seiner Zerrissenheit für Aufsehen gesorgt hat. Ende 2016 eskalierten die Spannungen zwischen den anglofonen und frankofonen Landesteilen. Proteste von Anwälten und Lehrern im anglofonen Westen wurden von Sicherheitskräften brutal niedergeschlagen. Separatistische Gruppen verstärkten daraufhin ihre Aktivitäten, sie liessen Bomben explodieren und griffen Schulgebäude an. Sie fordern einen unabhängigen anglofonen Staat, «Ambazonien» soll er heissen. Mehr als dreitausend Tote hat der Konflikt bisher gefordert, rund eine Million Menschen wurden vertrieben. Beide Seiten sind verantwortlich für Grausamkeiten.

300 Millionen Dollar allein für das Paul-Biya-Stadion

Der Konflikt wurzelt in der Kolonialzeit. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die bis dahin deutsche Kolonie Kamerun zwischen Grossbritannien und Frankreich aufgeteilt. 1960 und 1961 erlangten die beiden Teile die Unabhängigkeit und verschmolzen zu einer föderalen Republik, mit Französisch und Englisch als Landessprachen. Die englischsprachige Minderheit, die rund zwanzig Prozent der Bevölkerung stellt, fühlt sich aber seit Jahrzehnten an den Rand gedrängt. Die wichtigsten Posten in der Regierung zum Beispiel waren stets von Frankofonen besetzt. Die Proteste 2016 richteten sich unter anderem gegen den exklusiven Gebrauch der französischen Sprache an Gerichten und anderen staatlichen Institutionen. Auch Paul Biya spricht bei seinen wenigen öffentlichen Auftritten nur Französisch.

Für Biyas Regierung ist der Afrika-Cup eine Gelegenheit, für einmal positive Schlagzeilen zu produzieren. Keine Institution des Landes eignet sich besser dafür als das Nationalteam – Spitzname: «die unzähmbaren Löwen». In guten Jahren zählt das Team zu den Besten in Afrika, die Kontinentalmeisterschaft gewann es zuletzt 2017. Es gibt Forschung, die behauptet, das Nationalteam stärke den Glauben der Bevölkerung, dass Kamerun tatsächlich eine Nation sei.

Entsprechend viel investiert die Regierung in das Turnier. Allein das Paul-Biya-Stadion am Rand der Hauptstadt Yaoundé hat 300 Millionen Dollar gekostet. Zehntausende von Sicherheitskräften sind an den sechs Spielorten – von denen zwei im anglofonen Gebiet liegen – aufgeboten, um für Ordnung zu sorgen.

Schüsse in der Nähe von Malis Nationalteam

Nur: Auch die Separatisten sind entschlossen, das Fussballturnier für ihre Zwecke zu nutzen. Und so feuerten am vierten Turniertag weniger als einen halben Kilometer entfernt vom Platz, auf dem gerade Malis Nationalteam trainierte, Rebellen mit ihren Kalaschnikows in die Luft. Die Fussballer brachen das Training ab, Sicherheitskräfte lieferten sich eine Schiesserei mit den Rebellen. Ein Taxifahrer und sein Passagier wurden getötet.

Am selben Tag explodierte in der Stadt Buea, einem der Spielorte, eine Bombe und verletzte drei Polizisten. Ein Bus, in dem Gambias Nationalspieler sassen, raste daraufhin zum Teamhotel zurück. Bereits wenige Tage vor Turnierbeginn war in Limbe, der zweiten anglofonen Spielstätte, eine Bombe hochgegangen. Sie verletzte sechs Personen.

Und so produziert der Afrika-Cup längst nicht nur die Meldungen, die sich Paul Biyas Regierung wünschen würde. Das Maskottchen Mola – ein Löwe – wurde in den sozialen Netzwerken verspottet, weil Bilder kursierten, die ihn begleitet von mehr als einem Dutzend Sicherheitskräften zeigten. Kommentatoren sahen in den Bildern den Beleg dafür, dass Paul Biyas PR-Kampagne schiefläuft.

Welche Bilder am Ende vom Turnier bleiben werden, hängt stark von Kameruns Fussballern ab. Sie erfüllen bis jetzt ihre Pflicht, am Montag sicherten sie sich den Gruppensieg, kommendes Wochenende beginnen die Achtelfinals. In seiner Neujahrsansprache hatte der Präsident die Spieler aufgefordert, «dieses Festival am Abend des 6. Februar im grossen Stil zu beenden». Es ist der Tag des Endspiels.

Die Separatisten haben derweil angekündigt, dass sie die Spiele weiter stören würden. Ein Sprecher schrieb auf Twitter: Wer während eines Kriegs auf das Feld trete, tue dies auf eigene Gefahr. Offen blieb, ob er das Spiel- oder das Schlachtfeld meinte.