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Pour une autre politique de développement!

Schwedische Zweifel am Sinn von Entwicklungshilfe

Sambia
Neue Zürcher Zeitung Ministerin Carlsson fordert zum Nachdenken über die Korruptionsanfälligkeit staatlichen Gebens auf Nach einem weiteren Veruntreuungsskandal hat die schwedische Entwicklungsministerin Carlsson Selbstkritik geübt und zu einer Debatte über den Zusammenhang von Korruption und Hilfe aufgerufen. Schweden ist eines der grosszügigsten Geberländer. I.M. Stockholm In einem Artikel auf dem Online-Meinungsforum «Newsmill» hat die schwedische Ministerin für internationale Entwicklungszusammenarbeit, Gunilla Carlsson, ihrer mangelnden Zufriedenheit mit den Veränderungen in der schwedischen Entwicklungspolitik in den letzten drei Jahren Ausdruck verliehen. «Ich bin nicht zufrieden», schrieb sie wiederholt. 2007 hatte die Regierung eine grundlegende Revision der Entwicklungshilfe eingeleitet. Unter anderem setzte sie deutliche Prioritäten, halbierte die Zahl der Empfängerländer auf gut 30, führte Methoden zur Effizienzerhöhung ein und verstärkte die Kontrollen. Nach über 1000 Tagen im Amt hat Carlsson nun festgehalten, dass sie die doppelte Verantwortung – gegenüber den schwedischen Steuerzahlern und gegenüber den Bedürftigen in Entwicklungsländern – nicht voll übernehmen könne; sie könne nicht garantieren, dass die eingesetzten Mittel immer rechtmässig angewendet würden und immer Nutzen schüfen. Enttäuscht, aber nicht überrascht Die konservative Ministerin bezeichnete Korruption in den Empfängerländern als grössten Feind einer effizienten Entwicklungspolitik. Dabei handelt es sich gerade im Fall Schwedens um enorme Summen. Die staatliche Hilfe der vergangenen drei Jahre summiert sich auf 100 Milliarden Kronen oder umgerechnet knapp 15 Milliarden Franken, womit Schweden – gemessen an der Wirtschaftsleistung – zu den weltweit grosszügigsten Geberländern zählt. Jährlich fliesst rund ein Prozent des Bruttoinlandprodukts in die Entwicklungszusammenarbeit. Auslöser der Frustration und Konsternation der Ministerin war ein im Frühling aufgeflogener Betrugsfall in Sambia. Eine Untersuchung hatte gezeigt, dass im sambischen Gesundheitsministerium von Anfang 2008 bis Mai 2009 umgerechnet 7,5 Millionen Franken veruntreut worden waren. Ein bedeutender Teil dieses Geldes stammte aus Schweden. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass es schon zuvor zu systematischer Veruntreuung gekommen war. Ministerin Carlsson zeigte sich sehr enttäuscht, aber nicht überrascht über die Unterschlagung von Geldern im grossen Stil. Zudem ist die Veruntreuung in Sambia kein Einzelfall; auch anderswo sind Hilfsgelder in die falschen Taschen geflossen. Nun ist die Einsicht, dass Hilfseinsätze rund um den Globus durch Korruption untergraben werden, nicht neu. Ein Novum ist jedoch, dass eine schwedische Entwicklungshilfeministerin öffentlich Zweifel daran bekundet, ob die von ihr geforderte Nulltoleranz gegenüber Korruption überhaupt realistisch sei. Dass Bestechung ein Ausdruck und eine Folge von Unterentwicklung zugleich sei, führe dazu, dass Korruption vielerorts als Begleiterscheinung von Entwicklungshilfe toleriert werde. Eine Haltung, die möglicherweise auch von den schwedischen Behörden geteilt werde, meinte Carlsson, die unbedingt an ihrer Nulltoleranz gegenüber Korruption festhalten will. Dass Schweden seit Jahrzehnten Geld in Länder schickt, in denen die Korruption eher zu- als abnimmt, macht die Sache nicht besser. Auf der jährlich von Transparency International ermittelten 10-Punkte-Skala, welche die in Staatsverwaltung und Politik wahrgenommene Korruption misst, erreicht die Mehrheit der Empfänger langfristiger schwedischer Hilfe eine Note von weniger als 2,5. Kein Land schneidet besser als mit 3,5 Punkten ab (bei einer Bestmarke von 10 Punkten). Ein Teil des Problems? Gunilla Carlsson fordert dazu auf, der Wirklichkeit in die Augen zu sehen. Dies bedeute nicht, dass Korruption akzeptiert werden müsse. Vielmehr gelte es, über die Prämissen der Entwicklungshilfe zu debattieren und auch heikle Fragen zu stellen. Zum Beispiel, ob Hilfeleistung vielleicht ein Teil des Problems Korruption sei und nicht ein Teil von dessen möglicher Beseitigung. Die Chefin des schwedischen Instituts für die Evaluation der Entwicklungszusammenarbeit hat von Carlsson den Auftrag erhalten, in 100 Tagen zehn konkrete Vorschläge auf den Tisch zu legen, wie Entwicklungshilfe angesichts der allgegenwärtigen Korruption effizienter geleistet werden kann. Mit ihrer offenen Kritik und Selbstkritik rührt die frühere EU-Parlamentarierin Carlsson an einem der einst sakrosankten politischen Bereiche Schwedens. Manche Beobachter hoffen, dass Carlssons Vorstoss die verhärteten Fronten zwischen Befürwortern und Gegnern von Entwicklungshilfe aufbrechen und die Aufmerksamkeit auf die Frage lenken kann, wie Entwicklungshilfe effizienter geleistet werden kann. Anders Nordström, Generaldirektor des Schwedischen Amts für Internationale Entwicklungszusammenarbeit (Sida), begrüsst eine Diskussion und möchte sie gerne um die Frage der strategischen Rolle der Entwicklungshilfe erweitern. Im sozialdemokratischen Lager, das Schwedens grosszügige Entwicklungshilfepolitik vor Jahrzehnten konzipierte, herrscht dagegen Misstrauen. Der Generalsekretär des Palme-Zentrums, Jens Orback, vermutet ein bösartiges taktisches Manöver, mit dem Carlsson die kommenden Budgetkürzungen rechtfertigen wolle. Der frühere Minister kontert auf «Newsmill», die Geber könnten sich nie gegen Korruption und andere Verbrechen impfen. Er fordert, dass Entwicklungshilfe ein selbstverständlicher Posten im schwedischen Staatsetat bleiben müsse. Budgetkürzungen Der Entwicklungszusammenarbeit drohen tatsächlich enorme Mittelkürzungen im Budgetplan 2009, der Ende September präsentiert wird. Ursachen dafür sind jedoch die Rezession sowie die Automatik der 1-Prozent-Regel. Da die Wirtschaftsleistung dieses Jahr tiefer ausfällt, müssen auch die Entwicklungshilfegelder kräftig sinken. Das Sida, das rund zwei Drittel dieser Mittel verwaltet, befürchtet Kürzungen im Ausmass von 15 Prozent.