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Pour une autre politique de développement!

Beitrag vom 12.10.2008

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

"Das ist längst ein Geschäft geworden"
Der frühere Botschafter Volker Seitz über Entwicklungshilfe, Geldgeber, die Schlange stehen, und starke Frauen in Afrika

FRAGE: Herr Seitz, Sie waren lange als deutscher Diplomat in Afrika auf Posten, etwa als Botschafter in Benin, bis vergangenes Jahr als Botschafter in Kamerun. Nun sind Sie pensioniert und fordern eine andere Entwicklungshilfe. Was haben Sie denn falsch gemacht?

ANTWORT: Ich habe zu lange geglaubt, dass wir das Richtige tun. Aber so ist es nicht. Wir haben in der Armutsbekämpfung versagt. Um das zu ändern, sollten wir unsere Hilfe überdenken. Wir müssen viel mehr als bisher überprüfen, was mit dem Geld geschieht, ob es tatsächlich hilft. Viel Geld hilft viel - diese Ideologie ist falsch. Es ist doch skandalös, dass es den afrikanischen Eliten gleichgültig ist, wenn ihre Staatsbürger zu Zehntausenden chaotisch auswandern und sich auf den gefährlichen Weg nach Europa begeben. Normal wäre doch, wenn die Regierungen ihre Landsleute aufforderten, zu Hause zu bleiben, und ihnen ein besseres Leben in Aussicht stellten. Aber im Gegenteil: Es gibt afrikanische Regierungen, die fordern ein Recht auf Migration. Für sie ist der Exodus kein Alarmzeichen, sondern ein Ventil.

FRAGE: Aber dafür kann die Entwicklungshilfe doch nichts!

ANTWORT: Das stimmt. Aber viele bei uns glauben, wir müssten nur mehr Entwicklungshilfe geben, dann würden schon weniger Afrikaner ihre Heimat verlassen. Das ist völlig falsch. Die afrikanischen Regierungen interessieren sich einfach nicht für die Armen in ihrem Land - und schieben die Verantwortung auf uns ab. Eine große Anzahl von Armen ist ihnen doch geradezu die Garantie dafür, dass wir weiter Geld schicken. Und die Lobbyisten der Entwicklungshilfe behaupten, die Zahlungen würden von den Parlamenten oder Rechnungshöfen in den Partnerländern kontrolliert. Das stimmt nicht. Die Entwicklungshilfe muss geprüft, analysiert und bewertet werden, doch das stößt nur auf Misstrauen oder gar Feindschaft.

FRAGE: "Afrika wird arm regiert" ist der Titel Ihres Buches, das im Frühjahr erscheinen soll. Malen Sie nicht zu schwarz? Ist es wirklich so schlimm?

ANTWORT: Sicher. In Afrika gehen laut Transparency International jährlich rund 150 Millionen Dollar durch Korruption verloren. Hinzu kommt die Kapitalflucht, die jährlich zwischen drei und 13 Milliarden Dollar liegen soll. Wenn man böse wäre, könnte man sagen: Dieses Geld wird durch die Entwicklungshilfe ersetzt. Es fehlt vielerorts an allem: an transparenter Haushaltsführung, effizienter Verwaltung und vorausschauender Planung.

FRAGE: Was wäre also zu tun?

ANTWORT: Die afrikanischen Regierungen müssten selber wollen, dass es besser wird. Alle Regierungen aber, die ich kenne, rufen sofort nach einem Geber, wenn es ein Problem im Land gibt. Warum auch nicht? Die Geber stehen ja Schlange, sie legen gar keinen Wert darauf, dass die Regierungen eigene Lösungen erarbeiten. Alle wollen ja helfen! So werden die Kräfte zur Selbsthilfe gelähmt. Natürlich gibt es Ausnahmen: In Kamerun gibt es zum Beispiel die Initiative Green Step, die mit örtlichen Handwerkern und einfachem Material Windräder herstellt. Die packen sofort an, die Leute vor Ort sind sehr dankbar. Aber diese Initiative hat einen Nachteil: Sie kostet fast kein Geld.

FRAGE: Das ist ein Nachteil?

ANTWORT: Ich möchte nicht das starke persönliche Engagement der Entwicklungshelfer selbst in Frage stellen, aber die Entwicklungshilfeindustrie will und muss doch Geld ausgeben! Und die Mittel nehmen zu, die müssen unter die Leute. Manchmal streiten die Geber geradezu darum, helfen zu dürfen. Allein in Deutschland leben nach meiner Schätzung rund hunderttausend Menschen von der Entwicklungshilfe. Die haben kein Interesse daran, dass Projekte auch einmal abgeschlossen werden. Zyniker könnten sagen: Die Selbsthilfe funktioniert längst in umgekehrte Richtung. Ich habe das erlebt, als Tausende Menschen vor dem Bürgerkrieg in Tschad nach Kamerun flohen. Da schlugen sich die Hilfsorganisationen regelrecht um die Flüchtlinge. Die Hilfe ist längst ein Geschäft geworden.

FRAGE: Zusammen mit Ludger Volmer, einst grüner Staatsminister im Auswärtigen Amt, Volkmar Köhler, dem früheren Staatssekretär im Entwicklungsministerium, Rupert Neudeck und anderen haben Sie eine Reform der Entwicklungshilfe angeregt (www.Bonner-Aufruf.eu). Darin wird vorgeschlagen, nicht mehr mit den Regierungen Afrikas zusammenzuarbeiten. Ist das realistisch?

ANTWORT: Zumindest sollte man darüber diskutieren. Und Geld, das nicht ausgegeben wird, sollte in den deutschen Bundeshaushalt zurückfließen. Vor allem aber meinen wir, dass mehr Kleinkredite gegeben werden müssen, wir befürworten Hilfen für die Grund- und Berufsbildung und beschäftigungsintensive Infrastrukturmaßnahmen. In Benin wurden zu meiner Zeit zwanzigtausend Menschen mit deutscher Hilfe im Straßenbau beschäftigt, so konnten sie ihre Familien ernähren. Schauen Sie auf die Frauenförderung: In jedem unserer Hochglanzpapiere steht, dass Frauen besonders zu unterstützen sind. Aber tatsächlich machen wir das viel zu wenig. Ich habe in Afrika immer dynamische Frauen eingeladen und von ihnen viel gelernt. In Benin gehören die meisten Fischerboote den Frauen, in Kamerun werden Transport und Druckereien von Frauen dominiert. Starke Frauen finden sich in ganz Westafrika im Tuchhandel. Sie sind so erfolgreich, dass sie wegen ihrer Fahrzeuge stolz den Spitznamen "Mama Benz" tragen.

FRAGE: Sie fordern auch, dass die deutschen Botschaften über die Entwicklungshilfe entscheiden müssten. Ist denn das Haus von Frau Wieczorek-Zeul überflüssig?

ANTWORT: So weit will ich noch nicht gehen. Wir sollten aber den Sachverstand der Entwicklungsfachleute an die Botschaften holen. Die entsprechenden Referate sollten nicht in Bonn oder Berlin sitzen, sondern in Afrika. So könnten Entscheidungen viel schneller getroffen werden. Und auch der Blick auf das Land würde sich ändern, Strukturen würden besser durchschaut. Schon jetzt gibt es an vielen Botschaften einen Referenten des Entwicklungsministeriums, aber der ist heillos überlastet. Bisher ist es so: Die deutschen Beamten reisen höchstens einmal im Jahr zu Regierungsberatungen in ein Land. Und zwar mit einem fertigen Protokoll - darin stehen viele Projekte. Mindestens zwei Jahre vergehen, bis ein solches Projekt startet. Die Regierungen sind für solche Vorgaben dankbar, eigene Entwicklungsstrategien kriegen sie ja kaum zustande. Oft haben sich Afrikaner bei mir beklagt: Warum gibt es über die Projekte keine öffentlichen Debatten? Leider ist es wahr: Mit unserer Entwicklungshilfe zementieren wir die Unmündigkeit der Armen.

Die Fragen stellte Oliver Hoischen.