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Pour une autre politique de développement!

Beitrag vom 20.06.2012

Gegenblende, DGB

Die Weltbank nach Zoellick

von: Dr. Erich Vogt

Gute Nachrichten streut die Weltbank mit atemberaubender Schnelligkeit und griffigen Formeln direkt in die Zentralen der großen Zeitungen und Rundfunkanstalten dieser Welt. Da wird geklotzt und nicht gekleckert. Nachfragen werden umgehend mit weiteren Daten und Analysen beantwortet und Interviewpartner über das eigene Satelliten- und Breitbandsystem jederzeit angeboten. Es gilt, die Welt umfassend über die wichtige und erfolgreiche Arbeit der Welt größten Entwicklungsbank zeitnah und umfassend zu informieren.

So geschehen Anfang März diesen Jahres. Die extreme Armut auf der Welt, so der scheidende Weltbankpräsident Robert Zoellick, sei auf dem Rückzug. In einer von der Weltbank durchgeführten Befragung von 1,23 Millionen Haushalten in 130 Entwicklungsländern für die Jahre 2005 bis 2008 wurde ermittelt, dass trotz einer nach wie vor stark wachsenden Weltbevölkerung die absolute Zahl der extrem Armen von 1,94 Milliarden Menschen auf 1,29 Milliarden zurückgegangen ist. Ob die von Zoellick verkündete Kehrtwende in der Bekämpfung der Armut die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise unbeschadet überstehen wird, ist gleichwohl noch nicht ausgemacht. Die Armutszahlen für die Jahre 2009 bis 2011 liegen noch nicht vor.

Armutsrückgang dank der BRICS-Staaten

Zoellick will Anfang Juli einen Abschied nach Maß, und so redet er sich die Zahlen schön. Zwar gibt er zu, dass man noch ein gutes Stück entfernt sei vom Weltbank-Motto ‘Our dream is a world without poverty', doch erstmals wurde in allen sechs Entwicklungsregionen (Ostasien/Pazifik, Südasien, Lateinamerika/Karibik, Naher Osten/Nordafrika, Osteuropa/Zentralasien, Subsahara Afrika) eine generelle Reduzierung der extremen Armut konstatiert. Selbst in Afrika südlich der Sahara sind zum ersten Mal weniger als die Hälfte der Bevölkerung extrem arm.

Dass ohne die fulminanten Entwicklungssprünge der beiden Schwellenländer China und Indien die Armutsreduktion nicht so spektakulär vorangekommen wäre, zeigt ein nüchterner Blick in das weltbank-eigene Zahlenwerk. Die Zahl der im "Reich der Mitte" lebenden extrem Armen konnte von 1981 bis 2008 von 835 Millionen auf 173 Millionen vermindert werden; also um nicht weniger als 662 Millionen. Dagegen ist die Zahl der Armen, die zwischen $ 1,25 und $ 2 pro Tag verdienen, dramatisch gestiegen. Ihr Anteil hat sich fast verdoppelt, von 648 Millionen Menschen auf 1,18 Milliarden. Am stärksten war der Anstieg in Afrika südlich der Sahara. Dort stieg er von 287 Millionen Menschen auf 562 Millionen.

Zoellick gibt ab

Weit weniger öffentlichkeitswirksam wurde von der Weltbank die erstmals umkämpfte Neubesetzung des Präsidentenpostens nach dem angeblich freiwilligen Verzicht des derzeitigen Amtsinhabers vermittelt. Erstmals stand ein wahrer Wettbewerb um den Chefposten an. Deshalb wurde entschieden, lediglich die Namen der drei nominierten Kandidaten - des gebürtigen Koreaners und naturalisierten Amerikaners und Arztes Jim Yong Kim, der den ungeschriebenen Gesetzmäßigkeiten der Weltbank als Favorit ins Rennen ging; der nigerianischen Finanzministerin Ngozi Okonjo-Iweala, der ehemaligen Nummer Zwei der Weltbank unter Robert Zoellick, die von den Afrikanern ins Rennen geschickt wurde; und des ehemaligen kolumbianischen Landwirtschafts- und Finanzministers und jetzigen Columbia-University-Wissenschaftlers Jose Antonio Ocampo, der von Südamerika unterstützt wurde - zu veröffentlichen. Die Berichterstattung und Kommentierung wurde der Presse überlassen. Und sie ließ sich nicht lange bitten.

Obamas Kandidat Kim wurde sofort und gnadenlos von der neoliberalen Wirtschafts- und Finanzzunft, also jenen, die seit Jahrzehnten in der Weltbank und ihrem unmittelbaren Wirkungsfeld das Sagen haben, als Fehlgriff abgetan. Die Weltbank, so ihr Petitum, brauche einen Banker; einen Präsidenten, der an den Finanz- und Kapitalmärkten für gute Stimmung in Sachen Armutsbekämpfung sorge, der globale Wirtschafts- und Entwicklungsideen- und strategien entwerfen und umsetzen könne. All das jedoch sei nicht die Welt des Arztes und Anthropologen Kim, der Entwicklungsarbeit primär als Feld- und Projektarbeit verstehe und sich besser auskenne in den Hütten und Gemeinden der Armen als in den Wandelgängen und Vorstandsetagen von Politik und Wirtschaft.

Besonders kritikwürdig fanden sie, dass der Obama-Kandidat in seinem Buch Dying for Growth die Bedeutung von Wachstum in der Entwicklungspolitik und Armutsbekämpfung in Frage stellte und die aus seiner Sicht ungenügende "pro poor”-Ausrichtung der Weltbank insgesamt bemängelte. Darüber hinaus wettere er gegen multinationale Konzerne und die Globalisierung. Kim entgegnete seinen Kritikern, dass er - ganz Wissenschaftler - sich nicht von ideologischen Vorgaben leiten lasse, dass er evidenzbasierte Ansätze verfolge, und dass seine ersten Adressaten die Armen der Welt seien, und nicht deren Regierungen, die Anteilseigner der Weltbank. Erfolg, so Kim, bemesse er an nachhaltigen Erfolgen in der Armutsbekämpfung, nicht an der Abfolge immer neuer globaler Entwicklungsstrategien und dem Festklammern an entwicklungspolitischen Mainstream-Wahrheiten. Wie in der Medizin gebe es für ihn auch in der Entwicklungszusammenarbeit keine Silver bullet, die allein und ausschließlich zum Erfolg führe. Nach wie vor gelte, dass mehrere Wege zum Erfolg führen können.

Kritik am Verfahren

Gegenwind kam von drei Weltbankeminenzen. Ihre Kritik richtete sich nicht gegen die von den Bankern bemängelte fehlende wirtschafts- und finanzpolitische Kompetenz von Kim, sondern gegen die fehlende Transparenz des Auswahlverfahrens. In einem Beitrag für die Financial Times forderten die ehemaligen Weltbank-Chefökonomen Joseph Stiglitz, Nicholas Stern und Francois Bourguignon, die mit der Globalisierung in Gang gekommenen Kräfteverschiebungen in der Weltwirtschaft müssten sich auch bei der Wahl des neu zu besetzenden Weltbank-Chefpostens widerspiegeln. Es könne nicht sein, so die Kritiker, dass in einer Welt, in der die Entwicklungsländer mehr als 50 Prozent zum globalen Wachstum beitrügen und sechs von sieben Milliarden Menschen repräsentierten, diese aufgrund der von ihnen historisch gehaltenen, minimalen Weltbankanteile bei allen den wichtigen Weltbankentscheidungen lediglich das fünfte Rad am Wagen darstellten. Sie forderten, dass die Vereinigten Staaten und Europa ernst machen müssten mit ihrem Versprechen, den Weltbankchefposten in einer transparenten Wahl, die sich zu allererst an der Qualifikation der Bewerber und nicht an deren Staatsangehörigkeit orientiere, zu besetzen.

In diese Kerbe hieb auch The Economist und sprach sich für die Nigerianerin Okonjo-Iweala aus. Die Kandidatin selbst warb für eine transparentere und effizientere Bank, stellte die weltweite Arbeitslosigkeit besonders bei jungen Menschen in den Mittelpunkt ihrer Werbekampagne und plädierte für den weiteren Umbau der Weltbank in eine ‘Wissensbank'. Insgesamt präsentierte sich die langjährige, ehemalige Weltbankmitarbeiterin als Kämpferin für die Armen, zu denen sie in ihrer Kindheit (als ihre Eltern in Deutschland studierten) selbst gehörte.

Für den kolumbianischen Ökonomen und ehemaligen Finanzminister Ocampo machten sich lediglich die Regionalmacht Brasilien und einige Schwellenländer des Subkontinents stark. Ihr Kandidat war für sie Garant einer umfassenden Reformpolitik. Ocampo sprach sich für eine Politik der sichtbaren Hand aus, die die Lehren aus dem Finanzcrash ziehen müsse. Erfolgreiche Entwicklung, so Ocampo, sei nur durch einen je nach Land unterschiedlichen Mix von Markt, Staat und Zivilgesellschaft möglich. Er erklärte das alte Wahlsystem für beendet und plädierte für die Einführung eines Systems der "doppelten Mehrheiten”, so wie es bereits die regionalen Entwicklungsbanken praktizierten. Bei Wahlabstimmungen dürfe danach keine der beiden Wahlgruppen - Industrie- und Schwellenländer als Geldgeber einerseits und die armen Länder als Empfänger andererseits - von der anderen überstimmt werden. Für Entscheidungen ist die Mehrheit sowohl der Geberländer wie auch der Empfängerländer erforderlich. Darüber hinaus sprach sich Ocampo auch für den weiteren, massiven Einsatz öffentlicher wie privater Finanzmittel in der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit aus. Zwar ging er nicht so weit wie der Entwicklungsökonom Jeffrey Sachs, der einst vorrechnete, wie man mit genügend Geld die Armut ‘besiegen' könne, gleichwohl plädierte auch Ocampo für das von Zoellick forcierte Investment-Primat.

Dieser entwicklungspolitische Ansatz ist jedoch umstritten. So bemängelt der New Yorker Wirtschaftsprofessor William Easterly, einst selbst in Diensten der Weltbank, dass in den vergangenen 50 Jahren mehr als 2,5 Billionen Dollar in die Entwicklungshilfe geflossen sind, aber noch immer unnötig viele Menschen in Entwicklungsländern an Infektionskrankheiten sterben, die Infrastruktur in großen Teilen unzureichend bis nicht-existent und die Qualität der Schulbildung insgesamt mangelhaft ist. Sein Fazit: Die von der Weltbank ausgeheckten Pläne haben nicht funktioniert. Die Armut wird nach wie vor mit hohem finanziellem Einsatz bekämpft, der größtenteils verpufft. Die Gründe liegen für Easterly auf der Hand. Sie sind die Folge fehlgeleiteter Entwicklungsansprüche und falscher Rezepte westlicher Geber und den von ihnen kontrollierten multilateralen Entwicklungsorganisationen. Als Resultat dieser fehlgeleiteten Entwicklungszusammenarbeit hat sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter denn je geöffnet. Je mehr Geld in die Entwicklungsarbeit geflossen sei, desto größer seien die Unterschiede geworden. Die wohlgemeinte Hilfe, so Easterly, brachte nicht viel auf den Weg, jedenfalls nicht genug, um den Einsatz von 2,5 Billionen Dollar zu rechtfertigen und die Bereitstellung immer weiterer Entwicklungsgelder einzufordern.

Der Sieg Kims

Die gut vierwöchige Wahlkampagne zur Besetzung des Chefpostens der Weltbank brachte nicht den von vielen Entwicklungsexperten -und praktikern erhofften Durchbruch. Der ‘Reset-Knopf' wurde nicht gedrückt. Jim Yong Kim, der Kandidat der Vereinigten Staaten, konnte letztlich in einer nicht-öffentlichen Sitzung die Mehrheit des Weltbank-Exekutivdirektoriums für sich gewinnen. Die Tatsache, dass Amerika, Europa und Japan ihre Stimmenanteile zusammen einbrachten reichte für den Abstimmungssieg Kims. Die Realpolitik, die Macht des Faktischen, nicht Unfairness oder gar Korruption, trugen unter diesen Vorzeichen noch einmal einen Sieg davon im boardroom der Weltbank.

Unklar ist jedoch weiterhin, wie groß die Mehrheit für den Obama-Mann war. Die Exekutivdirektoren hatten sich vor der Wahl darauf verständigt, lediglich die Mehrheitsentscheidung bekannt zu geben, nicht aber den Stimmenanteil des Gewinners. Mit dem Satz "Transparenz sieht anders aus” drückte der südafrikanische Finanzminister und Weltbankgoverneur Pravin Gordhan auch stellvertretend für seine Kollegen in den Entwicklungs- und Schwellenländern die große Unzufriedenheit über das Wahlverfahren und -ergebnis aus. Selbst der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen tagt routinemäßig in öffentlichen Sitzungen, und seine Entscheidungen lässt er weltweit ausstrahlen, und das ‘live'. Ob sich die Weltbank mit der neuen Führung verändern wird, ist alles andere als ausgemacht. Die Beharrungskräfte des Status quo sind bekanntlich stark. Das haben auch schon andere Weltbankpräsidenten leidvoll erfahren müssen.

Neuanfang?

Gleichwohl ist die Chance für einen Neuaufbruch gegeben. Das bedeutet aber, dass Kim neue Arbeits-, Organisations-, Strategie- und Finanzierungsinstrumente zur Bekämpfung insbesondere globaler Probleme entwickeln und zum Einsatz bringen muss. Er muss entscheiden, ob er die Politik seiner Vorgänger fortführen will; also in Big Development mit dem Fernziel, die Transformation der Entwicklungsländer mittels Policy-Interventionen und Großinvestitionen in Großprojekten wie Infrastruktur, Gesundheit und Erziehung, zu investieren. Oder ob er sich für das Small development-Modell mit dem Nahziel entscheidet, kurzfristig Systemfehler zu korrigieren und mehr und früher auf die Empfänger und die vor Ort tätigen Berater zu hören, und hier vor allem auf die Vertreter der Armen. Die, so sehen es Entwicklungsexperten, wissen am besten, welche Instrumente ihnen am meisten helfen. Hier seien auch Erfolg und Misserfolg messbar, und die Verantwortung schnell ermittelbar. Dieses Modell jedoch hat einen Nachteil: Die Projekte sind zwar small and beautiful, klein und schön, aber sie bieten den Gebern und der Weltbank keine Plattform für hochtrabende Strategien und wohlklingende Verlautbarungen in der Presse und den Medien.

Kim wird sich auch darüber Gedanken machen müssen, wie er die Weltbank besser bei der Bekämpfung globaler Herausforderungen positionieren kann. Die Kunden der Weltbank sind ausschließlich nationale Regierungen, und mit ihnen schließt sie Abkommen über Programme und Projekte. Gleichwohl haben viele mit der Armut zusammenhängende Probleme globaler Dimension - wie der Klimawandel, Umweltverschmutzung, Wasserknappheit, Fischereiengpässe, schwindende Produktivität in der Landwirtschaft -, die die Länder alleine nicht bewältigen können. Hier muss der Entwicklungsansatz erweitert und das Instrumentarium weiter entwickelt werden.

Nicht nur quantitative Armut, auch steigende Ungleichheit ist das Problem

Problematisch auch, dass viele Entwicklungs- und Schwellenländer nicht mehr zu den Armenhäusern der Welt gehören, gleichwohl viele ihrer Bürger arm bleiben wie die neuesten Weltbankerhebungen ergeben haben. Mehr als zwei Drittel der Ärmsten der Armen leben in Schwellenländern, wo Gesundheitsfürsorge, Schulbildung und Umweltschutz weit hinter dem Wirtschaftswachstum hinterherhinken. Wie soll die Mittelverteilung zwischen Middle income countries und Low income countries, insbesondere in den IDA-Ländern, in Zukunft aussehen? Muss es eine Neuausrichtung auf die Bedürfnisse der Letzteren geben? Und müssen die Schwellenländer an den privaten Kapitalmarkt verwiesen werden?

Auch braucht Kim eine neue Strategie für den Umgang und die Einbindung der BRICS- Schwellenländer China, Indien, Brasilien, Südafrika und Russland. Diese Länder haben bei der bisherigen Armutsbekämpfung - und deren Erfolge - Schlüsselrollen gespielt. Kim muss zur Kenntnis nehmen, dass die routinemäßig von der Weltbank ausgeheckte Armutsbekämpfungstrategie nicht den Rückgang der Armut bewirkt hat. Es waren nicht die von ihr verordneten neoliberalen Finanz- und Wirtschaftsinstrumente, die das nationale Wachstum breitflächig entfacht haben. Dafür haben in erster Linie die nationalen Wachstums- und Entwicklungsstrategien in den Schwellenländern gesorgt und die Gelder ihrer nationalen Entwicklungsbanken. Am Beispiel Brasilien und China wird dies besonders deutlich.

Die Rolle der BRICS-Staaten

China erlaubt nicht nur aus Gründen der Staatsraison und seines Selbstverständnisses als aufstrebene Regional- und Weltmacht anderen Staaten keine unmittelbaren Eingriffe in die innere Entwicklung des Landes; auch die von den traditionellen Gebern de facto kontrollierten internationalen Entwicklungsorganisationen haben bisher ohne Erfolg versucht, dem Land die von ihnen favorisierten marktliberalen Finanz- und Wirtschaftsinstrumente anzudienen. Chinas Staatskapitalismus hat für deren Hands off-Deregulierungspolitik wenig Sympathien. Das Land kann es sich leisten, die Avancen der Weltbank und regional-asiatischen Entwicklungsbank ADB zurückzuweisen. Chinas Entwicklungsbank CDB, die assets von fast $ 800 Milliarden hat, entscheidet autonom über die Ausgestaltung ihrer Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik. Westliches Wissen wird nur bei Bedarf eingekauft, und selbst dann nur nach erfolgter Anpassung an die Notwendigkeiten des chinesischen Entwicklungsmodells eingesetzt.

Das gilt auch für Brasilien. Brasiliens Entwicklungsbank BNDES hat 2010 allein über $ 96 Milliarden für die inländische Entwicklung bereitgestellt; mehr als doppelt so viel wie die Weltbank weltweit an Entwicklungsgeldern zur Verfügung gestellt hat. Der Entwicklungsbeitrag der Weltbank in Brasilien ist heute lediglich im niedrigen, einstelligen Milliardenbereich und beschränkt sich nur noch auf begleitende Programm- und Projektmaßnahmen. Brasilien stellt heute die Weichen seiner Entwicklung, und das mit Erfolg. Der Anteil der extremen Armut in Brasilien ist von 10 Prozent im Jahr 2004 auf 4 Prozent im Jahr 2009 gesunken, und der der Armen, die von weniger als $ 2 pro Tag leben müssen, konnte von 21,7 Prozent im Jahr 2003 auf 9,9 Prozent im Jahr 2009 reduziert werden. Gleichzeitig wurde der Anteil der Hungernden an der Bevölkerung zwischen 1990 und 2008 halbiert und die Kindersterblichkeit von 53,7 auf 22,8 Promille gedrückt.

Brasiliens Entwicklungsschritte im Sozialbereich gehen einher mit dem wirtschaftlichen Aufschwung. Es wurden öffentliche Kantinen für Einkommensschwache eingerichtet und das Familien-Stipendienprogramm Bolsa Familia, das armen Familien ein minimales Einkommen und damit den Zugang zu Lebensmitteln garantiert, entwickelt. Fast 13 Millionen Familien kommen heute in den Genuss dieser Unterstützung. Im Gegenzug müssen sich die Familien verpflichten, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Diese Maßnahmen sollen die Armut reduzieren, die Mittelschicht stärken und die weiterhin bestehenden Ungleichheiten im Lande abbauen helfen.

Ihre Unzufriedenheit mit dem bisherigen System der multilateralen Entwicklungshilfe machten die BRICS-Länder unmittelbar vor der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank mit der Ankündigung deutlich, in Kürze eine eigene Entwicklungsbank ins Leben zu rufen.

Alte Kritik, neue Herausforderungen

Die Entwicklungsländer wollen in Zukunft auch mehr als bisher die Diskussion über die Sinnhaftigkeit und Durchführung von Entwicklungspolitik - und zusammenarbeit begleiten. Insgesamt beklagen Entwicklungstheoretiker und -praktiker, dass die Entwicklungshilfe nicht nur die Abhängigkeitshaltung und Korruption in den Entwicklungsländern beschleunigt hat. Sie hat auch, so ihr Fazit, die Armut in den Entwicklungsländern auf Dauer gefestigt und eine Farce aus dem Instrument der Guten Regierungsführung (‘good governance‘) gemacht. Dieser Diskussion muss sich der neue Weltbankchef stellen.

Aber auch im Inneren muss Kim ran. Die corporate culture der Weltbank braucht mehr als nur einen Neuanstrich. Weltbankmitarbeiter werden seit Jahrzehnten primär nach ihrem educational pedigree eingestellt. Zum Zuge kommen in erster Linie Ökonomen, die ihren MBA an den Top-Wirtschaftsuniversitäten gemacht haben; also der University of Chicago, Harvard, der Wharton Business School, Stanford, und der London Business School. Das dort inculcated DNA, also die in diesen 'Schmieden' geschulten Ansätze, dominieren das Denken und Handeln in der Weltbank. Da macht es keinen Unterschied, ob die Experten aus Industrie- oder Entwicklungsländern kommen. Zoellick hat daran nie etwas geändert - im Gegenteil. Er hat sich dem Druck der Exekutivdirektoren widersetzt, für intellektuelle Diversität im Hause zu sorgen. Zoellick wusste, dass ihm die Aufgabe viel Ärger und wenig Ruhm einbringen würde. Also hat er seine Finger davon gelassen.

Auf den Zoellick-Nachfolger Jim Yong Kim wartet eine Menge Arbeit. Wenn er sich den wahrlich herkulanen Herausforderungen stellt bei seinem Amtsantritt am 1. Juli und den reset-Knopf drückt, dann wird es eine Weile dauern, bis gute Nachrichten aus dem Weltbankhauptquartier in die Öffentlichkeit gelangen.

Dr. Erich Vogt
Lehrt Internationale Entwicklungspolitik, Klimawandel und Nachhaltige Entwicklung an der Elliott School for International Affairs der George Washington University in Washington, D.C.

Kommentare zu diesem Artikel

Volker Seitz schrieb am 21. Juni 2012 um 18:53 Uhr:

Selbst in wohlmeinenden Helferkreisen-die gerne Füllhörner über den Kontinent ausschütten- hat sich inzwischen herumgesprochen, dass wirkliche Entwicklung Afrikas nur autogene Entwicklung sein kann, also nur solche, die aus eigenem Antrieb und aus eigener Kraft erzeugt wird.Die Ergebnisse von 50 Jahren Hilfe für Afrika stellen niemanden zufrieden: Afrika bleibt ein dunkler Kontinent: zu wenig Licht und Strom, zu wenig Bildung, zu wenig staatliche Gesundheitsvorsorge, zu wenig Industrie und damit zu wenig Arbeitsplätze.Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wir bei allen Aussagen über Afrika zwischen den Politikern und der Bevölkerung unterscheiden müssen. Erstere verhindern, dass das Geld zu denen gelangt, für die es bestimmt ist Die heutigen Eliten verdienen keinen Respekt, wenn sie Plünderer sind-umso mehr Achtung habe ich vor den Afrikanerinnen und Afrikanern, die trotz schwieriger Umstände ihr Leben meistern. Ein Land mit einer schlechten Regierung kann keine Entwicklung durchlaufen, egal wie viel Zuwendung es erhält.Viele afrikanische Regierungen dienen eher einseitigen Interessen als dem Gemeinwohl. Mit ihrer Politik des Negierens und Sichdurchwurstelns bewegen sich viele afrikanische Staatenlenkerin die falsche Richtung.Der Fortschritt in Afrika hängt einzig und allein von den Afrikanern ab. Die Korruption ist es, die Wachstum verhindert, der häufig nur auf dem Papier stehende Rechtsstaat und nicht zuletzt die Unfähigkeit afrikanischer Regierungen ihren Bürgern bessere Lebensumstände zu sichern. Die internationalen Geber-auch die Weltbank- nehmen " African Ownership"(Eigenverantwortung) als gegebene Tatsache, aber es ist noch ein langer Weg zu diesem wünschenswerten Ergebnis.Wenn es diese Ownership bereits geben würde, dann würde Entwicklungshilfe bald überflüssig.

Volker Seitz, Autor "Afrika wird armregiert"