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Beitrag vom 27.01.2022

FAZ

Die Europäer auf verlorenem Posten

Von Michaela Wiegel

In Westafrika drohen die Europäer ein Vakuum zu hinterlassen, das von Russland gefüllt wird.
Westafrika hat sich zum Nebenschauplatz russischer Machtpolitik entwickelt. Nach dem Militärputsch in Burkina Faso werden von Demonstranten in der Hauptstadt Ouagadougou russische Fahnen geschwenkt. Das ist als Signal an die Franzosen gedacht, deren Militärpräsenz bei den Einheimischen immer mehr auf Feindseligkeit stößt.

Moskau drängt sich in den terrorgeplagten, bitterarmen Ländern der Sahelzone als alternativer Sicherheitspartner auf. Dem Militärputsch in Burkina Faso gingen zwei Staatsstreiche in Mali voraus. Die Militärjunta in Bamako erweckt inzwischen nicht mal mehr den Anschein, sich in Wahlen demokratisch legitimieren zu wollen. Bei Machthaber Assimi Goïta gehen russische Militärberater ein und aus. Er hat gefordert, das militärische Beistandsabkommen mit Frankreich zu überarbeiten. Ausrüstung und Hubschrauber werden aus Russland angeliefert. Zugleich beteuert der Kreml, mit den Söldnern der Wagner-Milizen nichts zu tun haben, die in Mali eingesetzt werden.

Der malische Staatschef fordert die französische Staatsführung, aber auch EU-Partner wie Deutschland offen heraus, indem er Söldner ins Land ruft. Bezahlt werden diese Einsätze mit Konzessionen in den malischen Goldminen. Der Handel mit den Söldnern ist eine Zumutung für alle EU-Länder, die wie Deutschland mit Entwicklungshilfegeldern und Soldaten die UN-Mission MINUSMA und die EU-Ausbildungsmission EUTM unterstützen. Paris reagiert mit Ermahnungen und immer größerer Ratlosigkeit. Kurz vor den Präsidentschaftswahlen im April schreckt Präsident Emmanuel Macron sichtlich davor zurück, die Aufmerksamkeit auf die demokratischen Rückschritte in dem früheren frankophonen Hinterhof zu richten.

Dabei wäre es höchste Zeit für eine schonungslose Bilanz. Die militärischen Operationen haben vielerorts zu einer weiteren Destabilisierung beigetragen. Die Zahl der Terroranschläge hat sich im Dreiländereck zwischen Niger, Mali und Burkina Faso in den vergangenen fünf Jahren verfünffacht.

Der Rückhalt für die ohnehin schwachen staatlichen Institutionen in den drei Ländern ist seither weiter zurückgegangen. Das liegt auch daran, dass Paris geflissentlich über Korruption, kriminelle Machenschaften und Machtkämpfe in Bamako, Ouagadougou und Niamey hinwegsah. In Niger ist die Vetternwirtschaft besonders groß, verfügt das Land doch in Arlit über Uranreserven, die ein Drittel der Lieferungen für die französische Atomindustrie ausmachen. Die Bereitschaft Frankreichs, sich mit autoritären Herrschaftsmethoden zu arrangieren, war auch nach dem Tod Idriss Débys im Tschad unübersehbar. Dessen Sohn regiert nun mit dem Segen Macrons weiter. Wahltermine sind in weite Ferne gerückt.

Macron hat sich vergeblich bemüht, über eine neue Lastenteilung einen französischen Rückzug vorzubereiten. Die außerhalb der EU-Institutionen konzipierte europäische Kampftruppe Takuba steht und fällt mit den französischen Elitesoldaten. Die Zusagen der Europäer kamen nur schleppend. Deutschland verweigerte sich „Takuba“ gänzlich. Auch die Strategie der „Afrikanisierung“ ist fehlgeschlagen. Die von Frankreich beförderte Einsatztruppe der G-5-Staaten Mali, Burkina Faso, Niger, Mauretanien und Tschad ist nur bedingt einsatzbereit.

Macron hat das vergiftete Erbe im Wüstensand seinem sozialistischen Vorgänger François Hollande zu verdanken. Der Sozialist ließ sich vor neun Jahren in Timbuktu als „Befreier“ feiern und bezeichnete die Siegesparade als „schönste Stunde“ seines Lebens. Inzwischen ist klar, dass Hollande den richtigen Zeitpunkt zum Truppenrückzug verpasste. Stattdessen verliehen die Terroranschläge in Paris und Nizza dem Antiterrorkampf eine neue Raison d’Être.

Die Sicherheit Frankreichs und Europas werde in den Weiten der Sahara verteidigt, lautet seither das Narrativ. Dabei ist keinesfalls belegt, dass die oftmals aus Kämpfen um Land, Wasser und andere Ressourcen entstandenen Terrorgruppen Angriffe auf europäischen Boden planten. Doch die Erzählung hat sich verselbständigt, und auch deshalb fällt Macron eine Revision so schwer.

Deutschland als engster europäischer Partner Frankreichs sollte die offene Aussprache darüber nicht länger scheuen. Das bedeutet allerdings auch, dass von deutscher Seite Handlungsoptionen vorgeschlagen werden müssten. Bislang hat die Bundesregierung nicht erkennen lassen, welche Alternativen sie favorisiert. Dem Ziel der „europäischen Souveränität“, wie es im Koalitionsvertrag betont wird, kann eine Debatte mit allen EU-Partnern darüber nur dienlich sein. Wie schon in Libyen und in Syrien ist Russland im Sahelgebiet dabei, das Vakuum zu füllen, das die europäische Unentschlossenheit hinterlässt.