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Pour une autre politique de développement!

Beitrag vom 26.10.2009

Märkische Oderzeitung 26.10.2009

"Wir können Afrika nicht mit noch mehr Geld retten"

Botschafter a.D. Volker Seitz über verfehlte Entwicklungspolitik, die westliche Helferindustrie und Aids

Der aktuelle Weltennährungs-Bericht der UNO besagt, dass mehr als eine Milliarde Menschen weltweit hungern. Die Wirtschaftskrise und hohe Lebensmittelpreise werden als Gründe dafür genannt. Über Entwicklungshilfe sprach CHRISTINA WENDT mit dem Autor des Buches "Afrika wird armregiert", Volker Seitz.

Märkische Oderzeitung: Herr Seitz, sind diese zwei Aspekte, Wirtschaftskrise und Lebensmittelpreise, nicht nur Verstärker einer jahrzehntelangen Misswirtschaft in vielen Entwicklungsländern?

Seitz:
Ja. Die schlechten Nachrichten aus Afrika werden nicht weniger, obwohl die Entwicklungshilfe ständig erhöht wird. Leider wird die Frage, ob und wie Entwicklungshilfe wirklich hilft, so selten gestellt. Wer nach möglichen Fehlsteuerungen fragt, gerät unvermeidlich in einen Wirbelsturm der Erregungen, weil er die angeblich knappen Mittel gefährde. Und muss sich zudem dem Vorwurf der Herzlosigkeit, Rassismus usw. aussetzen. Dumm ist nur, dass die Hilfsschwemme von sechs Marshallplänen seit 1960 sowenig an der Misere Afrikas verändert hat.
Oberstes Ziel darf nicht länger ein Mehr an Entwicklungshilfe sein, das die Kräfte der Selbsthilfe lähmt, sondern so wenig Geld wie irgend möglich. Helfen sollten wir nur noch Ländern die nach der Erkenntnis handeln, dass sie in erster Linie für die Bewältigung ihrer Zukunft verantwortlich sind. Wichtig sind auch redliche Haushaltsführung. Die heute bei uns so beliebten Haushaltszuschüssen sollten nur noch an Länder gehen, deren Haushaltssysteme einer strengen Prüfung standgehalten haben.

MOZ:
Mehr als zwei Billionen Dollar Entwicklungshilfe in den vergangenen 50 Jahren - ohne sichtbare Erfolge. Warum ist es so schwer, andere Ansätze für die Hilfe zu finden?

Seitz:
Wir brauchen meines Erachtens keine neuen Ansätze. Die Herausforderung für Afrika besteht darin, dass die Eliten sich selbst um ihre Angelegenheiten kümmern müssen. Dort, wo Eigendynamik geweckt wird, z.B. in Ruanda und Ghana, sollten wir diese unterstützen. Afrikaner kennen die Wirklichkeit ihres Kontinents besser als westliche Experten mit grandiosen Thesen und angestrengter Sprache.

MOZ:
Sie waren als Botschafter in Afrika tätig und haben in ihrem Buch "Afrika wird armregiert" die Entwicklungshilfe als "fehlgeleitet" und "wirkungslos" beschrieben. Wie sieht ihr Gegenentwurf aus ?

Seitz:
Wir sollten keine Regime mehr unterstützen, die das Elend der Bevölkerung als Ressource nutzen. Denn eine arme Bevölkerung sorgt dafür, dass weiterhin Hilfe fließt. Wir sollten nur dort unterstützen wo es öffentliche Debatten gibt, wie sich ein Land entwickeln soll. Ich meine ernsthafte Förderung von Bildung und Gesundheit, Eigentumsrechte an Grund und Boden, Förderung der Landwirtschaft. In den meisten Ländern, in denen ich 17 Jahre gelebt habe, haben die Bürger nicht das Gefühl, dass die Regierungen ihre Interessen vertreten und an einem bescheidenen Wohlstand für alle arbeiten.

MOZ:
Ist es realistisch, Entwicklung über den Markt anzustoßen, wenn die Gelder der Entwicklungshilfe nicht mehr nur bedingungslos fließen?

Seitz:
James Shikwati aus Kenia sagt: "In den Industriestaaten wird immer der Eindruck erweckt, ohne Entwicklungshilfe würde Afrika untergehen. Dem verheerenden Drang, Gutes zu tun, lässt sich bisweilen nicht mit Vernunft begegnen. Wenn die Entwicklungshilfe eingestellt würde, wären die politischen Eliten das erste Opfer, weil ihre Machtstrukturen dadurch gesprengt werden. Die Frage einer eigenständigen afrikanischen Lösung wäre dann auf dem Tisch". Das sagt ein Afrikaner. Auch wenn man wie ich nicht sofort die Hilfe abschaffen will, muss man doch feststellen, dass heute die Öffentlichkeit bei uns und in den betreffenden Ländern nur sehr unzureichend über die konkrete Verwendung der Gelder informiert wird. "Man tut Gutes" - und das muss reichen.

MOZ:
Warum ist so viel Geld in afrikanische Länder geflossen, wenn klar ist, dass damit nicht das verarmte Volk, sondern der Diktator unterstützt wird?

Seitz:
Die Schwärmer in den Ländern des Nordens sind de facto die Fanclubs afrikanischer Diktatoren. Dazu gehört auch die Ausbeutung der Afrikaner durch westliche Prominente. Auch sie verhindern afrikanische Entwicklungsanstrengungen. Wir müssen endlich der Wirklichkeit in die Augen sehen, fragen, ob Hilfeleistung vielleicht ein Teil des Problems Korruption ist. Weshalb können Amtsträger in Afrika Reichtümer anhäufen? Wir brauchen eine offene Kritik. Die Fronten zwischen Befürwortern und Gegnern von Entwicklungshilfe müssen aufgebrochen werden. Die Aufmerksamkeit muss auf die Frage gelenkt werden, wie sich Afrika von einer Hilfe befreien kann, die in letzten 50 Jahren nicht funktioniert hat.

MOZ:
Sie sprechen von Entwicklungshilfe als "Riesenindustrie". Was meinen Sie damit?

Seitz:
Es gibt in den Mitgliedssaaten der EU eine verschwenderische Konkurrenz. Die Geber stehen Schlange. Jeder will helfen. Allein in Deutschland arbeiten nach sehr konservativen Schätzungen 100 000 Menschen als Entwicklungsexperten. Auch wenn vie- le Entwicklungshelfer ihrer Arbeit mit starkem persönlichen Einsatz und hohem moralischen Anspruch nachgehen, halte ich den Trend zum lebenslangen Beruf des Entwicklungshelfers für falsch. Die Arbeitsplätze der Helfer hängen aber von der Fortsetzung der Hilfsprojekte ab.

MOZ:
Dennoch: Zur Rettung der Banken und des Finanzsystems wurden weltweit mal eben Milliarden locker gemacht. Warum ist es dann so schwer, auch die Ärmsten der Welt zu retten?

Seitz:
Es fehlt nicht an Geld für Afrika. 2009 verfügt der Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit über 5,8 Milliarden Euro. Wir können Afrika nicht mit noch mehr Geld "retten". Die Ärmsten erreichen wir nach meinen Beobachtungen ohnehin nur unzureichend. Der indische Nobelpreisträger Amartya Sen hat nachgewiesen, dass es in einem unabhängigen, demokratischen Land mit Pressefreiheit noch nie eine Hungersnot gab. Zu Hungerkatastrophen kam es immer in Ländern, wo Macht und Kontrolle über die Bevölkerung ausgeübt wurde.

MOZ:
Wie sehr beeinträchtigt die Verbreitung von Aids in Afrika die Entwicklung?

Seitz:
Aids ist ein großes Problem, zum Beispiel in Botswana. Aber auch dieses Problem kann ein gut geführtes Land er-folgreich bekämpfen. Botswana ist reich an Diamanten, aber die haben andere Länder in Afrika auch. Nur in Botswana gibt es kaum Korruption. Deshalb hat das Land einen hohen Lebensstandard. Alle Regierungen haben in Schulen, Krankenhäuser, Wasserleitungen und Infrastruktur investiert. Seit 25 Jahren gab es konstante Wachstumsraten von etwa neun Prozent. Man hat einen Zukunftsfond für künftige Generationen angelegt. Die demokratischen Zustände haben dafür gesorgt, dass kein Botswaner je aus politischen Gründen im Gefängnis saß. Einmalig in Afrika.

Zur Person: Volker Seitz, Jahrgang 1943, war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das Auswärtige Amt tätig. Er war unter anderem persönlicher Referent des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Klaus von Dohnanyi. Er ging zur EU nach Brüssel und lebte in verschiedenen afrikanischen Ländern. Ab 1996 war er Botschafter in Benin, Armenien und in Kamerun. Sein Buch "Afrika wird armregiert" erschien 2009 beim dtv.