Beitrag vom 18.10.2013
Neue Zürcher Zeitung
Republik Zentralafrika: Eskalation der Gewalt
Ein halbes Jahr nach der Machtübernahme durch Rebellen versinkt die Republik Zentralafrika in Gewalt und Anarchie. Der selbsternannte Präsident Djotodia unternimmt untaugliche Versuche zur Schadensbegrenzung.
Markus M. Haefliger, Nairobi
Aus der Republik Zentralafrika haben in den vergangenen Tagen und Wochen die Meldungen über gewaltsame Übergriffe von marodierenden Banden auf die Zivilbevölkerung, über Vertreibungen und Flüchtlingselend in einem beängstigenden Ausmass zugenommen. Laut Korrespondentenberichten sind die Anzeichen einer staatlicher Ordnung nur noch schwach zu erkennen und beschränken sich auf die Hauptstadt Bangui. In den Provinzen dagegen wüten die Milizen der Rebellenallianz Séléka und bewaffneter Banden, die ihre Reihen in den vergangenen Monaten aufgefüllt haben.
Wachsendes Flüchtlingselend
Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) meldete diese Woche aus der Stadt Bossangoa im Westen des Landes, dass über 28 000 aus ihren Dörfern vertriebene Zivilisten auf dem Gelände einer katholischen Mission untergebracht worden seien und dort notdürftig mit Hilfe versorgt würden. Andere Vertriebene seien in Schulen und in einem Spital untergebracht. Laut MSF halten sich viele Gewaltopfer im Busch versteckt. Da die Regenzeit anhält, wächst die Gefahr von Malariainfektionen. Die Hilfsorganisation berichtet von abgebrannten Dörfern, summarischen Hinrichtungen und gezielten Morden in dem Gebiet. Über 80 Prozent der versorgten Wunden stammten von Schusswaffen her oder seien andere Kriegsverletzungen. Über das ganze Land verteilt, schätzen Beobachter die Zahl der Vertriebenen auf knapp eine halbe Million; mehr als 60 000 Zentralafrikaner sind in die Nachbarländer geflüchtet.
Konfessionelle Dimension
In der Gegend von Bossangoa sind die Gbaya zu Hause, ein Volksstamm, dem auch der im März abgesetzte und mittlerweile in Paris lebende Präsident Bozizé angehört. Ihm getreue Milizen sollen laut Berichten in den vergangenen Wochen versucht haben, Rache an den Séléka-Rebellen zu nehmen - daher der Gewaltausbruch. Die Rebellen ihrerseits stammen mehrheitlich aus dem Norden und Nordosten des Landes und sind Muslime, Ethnien des Westens und Südens wie die Gbaya dagegen sind mehrheitlich Christen. Der Konflikt hat eine konfessionelle Dimension angenommen, was in der Region in der Nachbarschaft des Sudans und der weiter westlich gelegenen Sahelzone das Gespenst der Einmischung von militanten Islamisten umgehen lässt.
Die afrikanische Interventionstruppe Misca (Mission internationale de soutien à la Centrafrique), mit einem Truppenbestand von 2100 Mann, ist heillos überfordert. Weil zudem fast die Hälfte der Soldaten vom benachbarten Tschad gestellt werden, ist die Truppe aus Sicht von Zentralafrikanern wenig glaubwürdig. Vor einer Woche beschloss der Uno-Sicherheitsrat eine Unterstützung der Misca durch die Uno und die längst fällige Aufstockung der Truppenstärke auf über 3500 Mann. Frankreich, das zum Schutz von Franzosen und Europäern rund 400 Soldaten in Bangui stationiert hat, will zusätzlich zwischen 750 und 1200 Mann entsenden, die die Misca operationell unterstützen sollen. Präsident Hollande, der diese Woche in Südafrika weilte, besprach sich diesbezüglich mit Präsident Zuma. Der Misca gehört auch ein Kontingent von Südafrikanern an.
Der ehemalige Rebellenchef Michel Djotodia, der am 24. März an der Spitze des Séléka-Bündnisses in Bangui eingezogen war und sich daraufhin hatte zum Staatschef ausrufen lassen, unternahm bisher nur untaugliche Versuche, das Chaos einzudämmen. Vor einem Monat ordnete er die Auflösung der Séléka an (das Wort bedeutet «Allianz» in der einheimischen Nationalsprache Sango). Aber der ehemalige Gendarm hat gar keine Macht, seinen verzweifelt anmutenden Beschluss durchzusetzen. Laut David Zounmenou vom Institute for Security Studies in Pretoria könnte der Schuss leicht nach hinten losgehen; Djotodia sei für seine Rolle als Übergangspräsident in keiner Weise vorbereitet oder geeignet, schrieb Zounmenou in einem kürzlich veröffentlichten Bericht.
Das Heer der Aufständischen bildete schon bei der Gründung der Séléka letztes Jahr einen zusammengewürfelten Haufen von Milizen, die sich noch kurz zuvor gegenseitig bekämpft hatten. Seit der Machtübernahme sind ihre Reihen von einigen wenigen tausend auf rund 25 000 angeschwollen - ein in sich ausreichender Hinweis auf die sich ausbreitende Anarchie. Die kleineren und grösseren Kriegsherren und ihre Fusssoldaten leben davon, dass sie von Bauern und Diamantenschürfern Schutzgelder und Naturalien abpressen.
Viele örtliche Konflikte
Die eingangs erwähnte Notlage in Bossangoa ist bei weitem nicht der einzige Brennpunkt. Anfang Oktober kam es in Bangassou, einem Zentrum von Schürfern und Schmugglern von Rohdiamanten im Osten des Landes, zu einem Konflikt zwischen christlichen Einheimischen und Séléka-Kämpfern. Die Auseinandersetzung begann mit Protesten der Bevölkerung gegen Übergriffe der Rebellen, bald folgten Ausschreitungen mit Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten. Laut Uno-Beauftragten, die sich auf den Bischof von Bangassou berufen, forderten die Gewaltakte mindestens zehn Todesopfer.