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Beitrag vom 31.12.2018

FAZ

Warum Afrika so arm ist

Abrechnung mit Korruption und Entwicklungshilfe

Auf der ganzen Welt entkommen immer mehr Menschen der Armut. Nur nicht in Afrika, dort nimmt die Zahl der absolut Armen zu. Nur eine Handvoll afrikanischer Länder hat es geschafft, das UN-Millenniumsziel der Halbierung der Armut zu erreichen. Woran liegt das? Der deutsche Diplomat Volker Seitz, der 17 Jahre auf verschiedenen Posten in Afrika gearbeitet hat, davon drei Botschafterstationen, ist ein intimer Kenner des Kontinents. In seiner Streitschrift „Afrika wird armregiert“, die jetzt aktualisiert und erweitert vorliegt, legt er eine faktenreiche Analyse vor. Seitz teilt mit guten Argumenten in zwei Richtungen aus: Er kritisiert die vielfach korrupten, verantwortungslosen afrikanischen Herrschercliquen, die ihre Länder verkommen lassen, und eine fehlgeleitete Entwicklungshilfe westlicher Industriestaaten.

Laut Schätzungen wurden seit den sechziger Jahren weit über eine Billion Dollar, vielleicht sogar 2 Billionen Dollar für Entwicklungshilfe in Afrika und Asien ausgegeben. Der ghanaische Wirtschaftswissenschaftler George Ayittey, den Seitz zitiert, hat errechnet, dass Entwicklungshilfe in der Summe etwa sechs Marshallplänen für Afrika entspreche. Die Ergebnisse sind mager. Während einige ostasiatische Länder, die wenig Hilfe erhielten, rasant aufgestiegen sind, fiel Afrika zurück.

Deutschland zahlt nächstes Jahr mehr als 10 Milliarden Euro für „Entwicklungszusammenarbeit“; alle Industriestaaten zusammen kommen auf mehr als 100 Milliarden Dollar im Jahr größtenteils für Afrika. Aber die Hilfe von außen kann auch zu Untätigkeit und mangelnder Eigeninitiative der Regierungen vor Ort verleiten. Ein ganzer Kontinent werde „zum Almosenempfänger“ degradiert, schrieb Rupert Neudeck.

„Das Gros der Hilfe ist unter der Sonne Afrikas verdunstet“, versickere in korrupten und ineffizienten Systemen, schreibt Seitz. Dabei ist Afrika ein reicher Kontinent: reich an Rohstoffen, Energiereserven und Arbeitskräften. Aber gerade die öl- und rohstoffreichen Länder wie Angola, Nigeria, Sierra Leone oder Kongo fielen in die Hände von Kleptokraten oder wurden durch Bürgerkriege zerrüttet. Die Organisation Freedom House bewertet nur eine Handvoll der 55 Staaten Afrikas als wirkliche Demokratien mit politischer und ziviler Freiheit (Botswana, Benin, Ghana, Namibia und Südafrika), der Rest sind Fassadendemokratien.

Leidenschaftlich prangert Seitz das Verhalten der Oberschicht an, die gigantische Vermögen angehäuft und ins Ausland geschafft hat, während die eigenen Bevölkerungen unglaubliche Not leiden. Er sieht wenig Unrechtsbewusstsein und Selbstzweifel bei den Herrschereliten. Selbst skrupellose Diktatoren wie Mugabe wurden in der Afrikanischen Union gefeiert, der bis zum Hals in Korruptionsaffären steckende südafrikanische Präsident Zuma wurde lange toleriert. Bei Kritik aus Europa oder Amerika werde oft reflexhaft „das ist Neokolonialismus“ oder „Rassismus“ gerufen.

Seitz glaubt keineswegs, dass mehr Entwicklungshilfe mehr helfen würde, im Gegenteil: Die Entwicklungshilfe sei Teil des Problems. Die Zahlungen haben, so kritisiert Seitz, vor allem eine fragwürdige riesige Helferindustrie mit Zigtausenden gutbezahlten Mitarbeitern geschaffen, die ein privilegiertes Leben führen. Viel Geld verwenden die staatlichen Organisationen und die Hunderte NGOs für Verwaltung, PR-Budgets, Konferenzen, Workshops und Studien. Und zu viel Entwicklungshilfegeld landet über Umwege in den Taschen der Herrschercliquen, es stabilisiert korrupte Regime mit bis zu 70 Ministern und Staatssekretären.

Viel zu wenig werde überprüft, was die Hilfsprojekte und Programme für die afrikanischen Bevölkerungen vor Ort bringen. Nötig seien striktere Erfolgs- und Wirksamkeitskontrollen. Man müsste verbindliche Zwischenziele mit den Regierungen definieren; falls sie nicht erfüllt werden, sollte man Projekte abbrechen. Problematisch ist die Rolle Chinas, das mit Milliarden-Schecks unterwegs ist und keine Skrupel bei der Auswahl seiner Partner zeigt.

Seitz’ Buch legt den Finger in die Wunden und entlarvt die oft gehörten Klagelieder und Opfermythen, mit denen afrikanische Herrscher von ihrer eigenen Verantwortung ablenken. Was würde tatsächlich helfen? Zielgerichtete Programme, um Schul- und Berufsbildung zu verbessern, um die Gleichberechtigung und Beteiligung von Frauen zu stärken, der Aufbau von funktionierenden Rechtssystemen, Kampf gegen Korruption und Abbau aufgeblähter Bürokratien und Regulierungen. Statt staatlicher Entwicklungsprogramme sollte der Westen mehr private Investoren unterstützen, fordert Seitz.

Nur kurz thematisiert er das Problem der Bevölkerungsentwicklung. Alle zwei Wochen wächst Afrikas Bevölkerung um eine Million. Die Zahl der Menschen in Subsahara-Afrika wird sich bis 2050 auf über 2 Milliarden verdoppeln. Es wäre dringend nötig, das ungezügelte Bevölkerungswachstum zu bremsen, vor allem mehr Schulbildung für Mädchen könnte helfen. Nur am Rande geht Seitz auf die Migrationsproblematik ein, die eng verbunden ist mit dem Bevölkerungsdruck und falschen Vorstellungen vom „Eldorado Europa“. Ein anderes Problem ist die Auswanderung von Fachkräften, etwa 20000 Ärzte und Pflegekräfte verlassen jedes Jahr den Kontinent. Seitz warnt vor diesem „Brain- Drain“. Europa sollte die Emigration von Fachkräften nicht noch fördern.

Damit das Buch nicht zu pessimistisch schließt, fügt der Autor, der voller Sympathie ist für die Vitalität, den Mut und die Lebensfreude der Afrikaner trotz schwierigster Umstände, einige Erfolgsgeschichten an. Etwa der Musterstaat Botswana, der die Einnahmen aus dem Diamantengeschäft in Schulbildung, Gesundheit und Infrastruktur investiert. Oder Ruanda, das sich ein Vierteljahrhundert nach dem Völkermord heute als Vorbild für Modernisierung präsentiert. Insgesamt sind die beispielhaften Reformer aber dünn gesät. Das wird sich auch nicht ändern, solange der Westen Afrika als unmündigen Hilfsempfänger sieht.
Philip Plickert

Volker Seitz: Afrika wird armregiert oder
Wie man Afrika wirklich helfen kann. München 2018, dtv, 287 Seiten, 12,90 Euro.