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Beitrag vom 17.01.2019

FAZ

Verdammter Terror im Namen des Islams

In Kenias Hauptstadt Nairobi überfallen Mitglieder der Shabaab-Miliz ein Luxushotel. Mindestens 14 Menschen sterben. Das Blutbad hätte aber noch viel schlimmer ausfallen können. Von Thilo Thielke

NAIROBI, 16. Januar
Vor gut einer Stunde sind noch Schüsse und der Krach von Explosionen zu hören gewesen. Jetzt, am Mittwochmorgen gegen neun Uhr, scheinen die Kämpfe beendet, und die ersten Menschen strömen zum Chiromo-Leichenschauhaus in Nairobis Stadtteil Westlands. Sie suchen Angehörige, vermissen Freunde oder Kollegen. Das Dusit-Hotel liegt nur wenige hundert Meter entfernt, Riverside Drive ist eine vornehme Adresse in der kenianischen Hauptstadt. In unmittelbarer Nachbarschaft zu dem Hotel liegt die australische High Commission, auch die ugandische und die deutsche Botschaft befinden sich nicht allzu weit entfernt.

„Sie haben meinen Sohn und meinen Schwiegersohn getötet“, schluchzt ein alter Mann mit weißem Bart. Die beiden seien nur in die Nobelherberge gegangen, um dort am Nachmittag einen Kaffee zu trinken. Auch der Mann neben ihm, Mohammed Yassir Jama, 35 Jahre alt, hat zwei Angehörige verloren, die sich im Gartenrestaurant aufhielten, als die Terroristen das Hotel stürmten. „Wir sind doch selbst Muslime“, rufen die beiden immer wieder. „Dieser verdammte Terror im Namen des Islams!“

Etwas abseits steht der 27 Jahre alte Abel Nanzai. Er ist seit 14 Monaten als Koch in dem Fünf-Sterne-Hotel beschäftigt, das zu einer thailändischen Kette gehört. Mit Glück konnte er durch einen Hinterausgang flüchten, als gegen 15 Uhr Mitglieder der somalischen Terrormiliz al Shabaab die Anlage stürmten. „Unsere Schicht hatte eine Stunde zuvor begonnen, und wir waren gerade in der Küche damit beschäftigt, die Zutaten vorzubereiten“, sagt er, „als wir einen lauten Knall hörten.“

Einer seiner Kollegen sei daraufhin ins Freie gerannt, um nachzusehen, was geschehen ist. „Als er zurückkam, rief er nur: ‚Lauft, so schnell ihr könnt!‘“, berichtet Nanzai. Ein Selbstmordattentäter, so wurde später deutlich, hatte sich im Hotelfoyer in die Luft gesprengt. Während die Köche flüchteten, hörten sie schon das Geknatter von Schnellfeuergewehren und weitere Explosionen.

Wie viele Menschen sich zu dieser Zeit im Hotel befanden, weiß Nanzai nicht. Es sei aber gerade Hauptsaison in Kenia, normalerweise wohnten zu dieser Zeit viele ausländische Touristen, Deutsche, Briten oder Amerikaner, im Hotel, das damit wirbt, über „einen Wellnessbereich, mehrere Restaurants und ein 24-Stunden-Fitnesscenter“ zu verfügen, und nicht weniger als 30 Köche beschäftigt. Auch an diesem Tag hatte es geheißen, in der Küche werde es wieder viel Arbeit geben. Gegenüber dem britischen Fernsehsender BBC berichtete ein Kellner, der, als der Überfall begann, im Gartenrestaurant Dienst hatte, dass die Täter sofort um sich geschossen und nicht zwischen Angestellten und Gästen unterschieden hätten. Einige seiner Kollegen hätten versucht, sich auf der Toilette zu verstecken. Er selbst sei wie Nanzai durch den Hinterausgang entkommen. Ein anderer Zeuge will noch gehört haben, wie einer der Terroristen rief: „Warum bringt ihr unsere Leute in Somalia um?“ Rund 700 Menschen sollen aus dem Komplex gerettet worden sein.

Abel Nanzai ist zur Leichenhalle gekommen, um zu sehen, welche seiner Kollegen sich unter den Opfern befinden. Mindestens 14 Tote habe es gegeben, teilte Kenias Präsident Uhuru Kenyatta am Morgen in einer Fernsehansprache mit; die Operation sei erfolgreich abgeschlossen und bei dem Einsatz seien auch fünf Terroristen getötet worden. Nun beginne die Jagd auf die Drahtzieher. Kenyatta: „Wir werden jede Person aufspüren, die an der Finanzierung, Planung und Ausführung dieser ruchlosen Aktion beteiligt war.“ Kenia sei zwar ein Land, in dem alle friedlich zusammenleben könnten, aber auch „eine Nation, die nicht vergisst, wer ihre Kinder verwundet hat“.
Unter den Todesopfern befinden sich auch der amerikanische Staatsbürger Jason Spindler, der mit Unterstützung der „Bill und Melinda Gates Stiftung“ und der „Clinton Foundation“ in Kenia Geschäfte aufbauen wollte, und ein Hotelgast mit britischer und südafrikanischer Staatsbürgerschaft. Ein weiterer Brite soll verletzt worden sein, so das britische Außenministerium. Das kenianische Rote Kreuz sprach sogar von 24 Toten, und die dschihadistische Terrormiliz selbst brüstete sich damit, 47 Menschen ermordet zu haben.

Wie es scheint, war jedoch ein viel größeres Blutbad geplant gewesen. Am 15. Januar wollten Bürger der Vereinigten Staaten ursprünglich auf dem Hotelgelände eine Konferenz veranstalten. Sie hatten sich allerdings kurzfristig für einen anderen Veranstaltungsort entschieden, erklärte Mawira Mungania, ein Beamter der kenianischen Antiterroreinheit, gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Dieser Veranstaltung habe möglicherweise der Angriff gegolten.

Nanzai macht sich auf den Weg zum nahe gelegenen M.P.-Shah-Hospital, in das Verletzte eingeliefert wurden. „Derzeit versorgen wir sechs Verwundete, ihr Zustand ist stabil“, sagt die Krankenhaussprecherin Jane Gaty, „eine Person allerdings ist gestern noch auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben.“ Ratlos bleibt der junge Mann vor dem Krankenhaus stehen. Die Frau vom Hospital nennt keine Namen und lässt niemanden durch.

In den vergangenen Jahren war es etwas ruhiger geworden um das ostafrikanische Land, das in der Vergangenheit immer wieder das Ziel von Terroranschlägen geworden war. 1980 zündete ein Marokkaner mit maltesischem Pass eine Bombe im Norfolk-Hotel: 16 Menschen wurden getötet und 87 verletzt. 1998 sprengten Terroristen, die zu Al Qaida gehört haben sollen, mit rund tausend Kilogramm Sprengstoff einen Tanklaster vor der amerikanischen Botschaft in Nairobi. Dabei töteten sie 213 Menschen, unter ihnen zwölf Amerikaner, und verletzten 4500. Im Jahr 2013 schlug erstmals die somalische Terrortruppe al Shabaab zu und überfiel das Einkaufszentrum Westgate, nur wenige Kilometer vom Schauplatz der jüngsten Attacke entfernt. Nach offiziellen Angaben starben bei dem Angriff 67 Menschen, unter ihnen ein Neffe von Staatspräsident Kenyatta und der ghanaische Schriftsteller Kofi Awoonor. Bewaffnete hatten das Gebäude gestürmt und um sich geschossen und später auch einen Teil der Shopping-Mall in die Luft gesprengt. 2015 massakrierten Al-Shabaab-Männer in der kenianischen Stadt Garissa 148 Studenten, die das Garissa University College besuchten.

Auf den Tag genau drei Jahre vor dem Überfall auf das Dusit-Hotel hatten Dutzende von Al-Shabaab-Kämpfern in Somalia ein kenianisches Militärlager angegriffen und dabei nach eigenen Angaben rund 200 Soldaten aus dem Nachbarland getötet. Seit 2011 hat Kenia Soldaten in Somalia stationiert – als Teil der African Union Mission to Somalia. Sie begann 2007 und hat zum Ziel, die Lage in Somalia zu stabilisieren und die schwache Regierung in ihrem Antiterrorkampf zu unterstützen. Auch Truppen aus den ostafrikanischen Staaten Uganda, Burundi, Äthiopien und Djibouti sind in Somalia stationiert.

„Seit kenianische Truppen in Somalia aktiv sind, leben wir hier auf einem Pulverfass“, sagt der Menschenrechtler Peter Kioko. Er arbeitet für eine Organisation, die versucht, Terroristen zur Aufgabe zu überreden. „Al Shabaab ist überall“, sagt Kioko, „in Kenia leben immer schon viele Somalier, die einen kenianischen Pass besitzen, doch in letzter Zeit strömen völlig unkontrolliert immer mehr Somalier aus ihrem Bürgerkriegsland zu uns.“ In Stadtteilen wie Eastleigh in Nairobi mischten sie sich dann unter die Kenia-Somalier. Hier werde kaum noch Englisch oder Kisuaheli gesprochen, sondern vornehmlich Somalisch. Selbst in der Polizei und im Militär sei die Terrororganisation mittlerweile fest verankert. „Jeder zehnte Polizist und jeder zehnte Soldat sind in irgendeiner Form mit al Shabaab verbunden“, behauptet Kioko. Die Unterwanderung gelinge den somalischen Terroristen, weil sie es schafften, „immer häufiger junge Männer zu rekrutieren, die keine somalischen Wurzeln haben und oft noch nicht einmal Muslime sind“.

Kioko nennt ein Beispiel: Im vergangenen Jahr hatte sich Joseph Kangethe, ein 38 Jahre alter Mann vom Stamm der Kikuyu, bei Kiokos Organisation in der Stadt Niery gemeldet. Der Mann habe erklärt, er wolle sich der Polizei stellen. Früher war Kangethe Mitglied in einer sogenannten Mungiki-Bande, die auf Schutzgelderpressung spezialisiert ist. Als ihm vor zehn Jahren die Polizei auf den Fersen war und er einen Unterschlupf und Geld benötigte, warb ihn al Shabaab an. Derzeit steht Kangethe in Nairobi vor Gericht. Er gestand, im Namen der Terrormiliz rund 300 Menschen ermordet und Waffen geschmuggelt zu haben.

Das Geld für ihre Terroraktivitäten treiben die Dschihadisten, die sich mit Al Qaida verbündet haben, nach Informationen Kiokos vorwiegend durch Steuern ein. Nach Schätzungen der amerikanischen Denkfabrik Council on Foreign Relations unterhalten sie mit dem Geld eine Armee von 7000 bis 9000 bewaffneten Kriegern. „Uns steht ein langer Kampf bevor“, meint Kioko. Obwohl die Amerikaner ihre Luftangriffe auf Al-Shabaab-Ziele in der letzten Zeit massiv verstärkt hätten, sei die Terrororganisation noch lange nicht besiegt. „Manchmal glaube ich, das Schlimmste steht uns noch bevor.“