Beitrag vom 12.06.2019
FAZ
Industrieländer sollen mehr für Menschenrechte tun
Merkel sieht die Profiteure der Globalisierung in der Pflicht. Aber nützt es Entwicklungsländern, wenn sich deutsche Firmen dort zurückziehen?
dc. BERLIN, 11. Juni. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht die führenden Industriestaaten in der Pflicht, mehr für die Durchsetzung grundlegender Sozialstandards und fairer Arbeitsbedingungen in der Welt zu tun. „Gerade die Industrieländer profitierten von Globalisierung und internationaler Arbeitsteilung“, sagte Merkel am Dienstag auf einer Versammlung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Genf. „Daher stehen sie besonders in der Verantwortung, nicht nur bei sich für faire Arbeitsbedingungen zu sorgen, sondern auch an jeder anderen Stelle der globalen Wertschöpfungs- und Lieferkette darauf zu drängen.“
Vor den Vertretern der 187 ILO-Mitgliedstaaten riss sie damit ein Thema an, das in Deutschland derzeit innerhalb der Regierung sowie zwischen Regierung und Wirtschaft für Konflikte sorgt. Dies betrifft vor allem die Frage, inwieweit neben staatlichen Stellen auch die Unternehmen aus Industrieländern für die Einhaltung von Menschen- und Arbeitnehmerrechten in anderen Regionen verantwortlich oder sogar haftbar gemacht werden sollen. Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) hält dazu seit Februar einen Gesetzentwurf bereit, der zwar offiziell noch nicht spruchreif, aber schon heftig umstritten ist: Unternehmen und ihre Manager könnten damit zur Rechenschaft gezogen werden, falls es an irgendeiner Stelle der Wertschöpfungskette zu Verstößen gegen Sozial- oder Umweltstandards kommt – selbst bei fernöstlichen Zwischenhändlern für ein Zulieferteil ihres Produkts. Zum Sanktionsrahmen gehören Geld- und Haftstrafen.
Wirtschaftsvertreter sind darüber entsetzt. Sie halten den Ansatz nicht nur für unpraktikabel, sondern für kontraproduktiv. „Es mag einfach klingen, die ganze Verantwortung rund um ein Produkt beim Unternehmer abzuladen“, sagt Ingeborg Neumann, Präsidentin des Gesamtverbandes der Textil- und Modeindustrie. „Doch erstens ist es rein praktisch nicht umzusetzen und zweitens ein Abschreckungsprogramm für Auslandsinvestitionen der deutschen Wirtschaft.“ Am Ende würden deutsche Unternehmen, die international für hohe menschenrechtliche Sorgfalt stünden, von anderen Wettbewerben verdrängt – oder gar von der eigenen Regierung „in die Flucht geschlagen“. Die Globalisierung werde damit jedenfalls „kein bisschen gerechter gestaltet“, warnt sie.
Merkel ging in Genf nicht näher auf solche Gesetzespläne ein und rückte andere Verantwortungsträger in den Vordergrund: Sie würdigte die Arbeit der ILO, in der Arbeitgeber, Gewerkschaften und Regierungen der beteiligten Länder in gemeinsamen Strukturen zusammenwirken. Zudem nannte sie als Beispiel für mehr Verantwortung der Industrieländer einen 2015 eingerichteten Präventionsfonds, der in Entwicklungsländern Projekte zum Schutz der Beschäftigten vor gefährlichen Arbeitsbedingungen fördert.
Welche Bedeutung das umstrittene Haftungsgesetz für die deutsche Wirtschaft bald bekommen könnte, wird derweil auf einem anderen Konfliktfeld geklärt: Ein vom Auswärtigen Amt unter Heiko Maas (SPD) geführter Regierungsausschuss bereitet ein „Monitoring“ vor – eine Studie, die klären soll, ob sich die deutsche Wirtschaft im Rahmen von Selbstverpflichtungen schon ausreichend sorgfältig für Menschenrechte einsetzt. Laut Koalitionsvertrag soll das umstrittene Gesetz kommen, falls sich dies bis 2020 nicht bestätigt.
Umstritten ist aber schon das Verfahren des Monitorings gemäß „Nationalem Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“, den die Regierung 2016 beschlossen hat: Nicht nur aus den Wirtschaftsverbänden, sondern auch aus dem Wirtschaftsministerium ist Kritik zu hören, dass der geplante Fragenkatalog an die Unternehmen deutlich höhere Messlatten anlegt, als es der Aktionsplan fordert. Das Ergebnis des Monitorings wäre demnach fast schon programmiert. Das Kanzleramt teilt dem Vernehmen nach aber einige Sorgen des Wirtschaftsministeriums.
Eine klare Position gegen das Haftungsgesetz hat auch der Afrikaverein der deutschen Wirtschaft: Er erinnert daran, dass sich die Regierung – Merkel wie auch CSU-Minister Müller – seit einiger Zeit besonders stark für mehr Investitionen deutscher Unternehmen in Afrika einsetzen. Dahinter steht nicht zuletzt die Hoffnung, dass eine bessere wirtschaftliche Entwicklung die Lebensbedingungen der Menschen dort verbessert und sie von einer Flucht nach Europa abhält. Müller hat sogar gerade ein neues Investitionsförderprogramm „AfricaConnect“ gestartet.
Sein drohendes Gesetz zur Menschenrechtshaftung aber, kritisiert der Afrikaverein, stehe in „eklatantem Widerspruch“ dazu. Immerhin sei es in den „herausfordernden Märkten“ Afrikas besonders schwierig, die geforderten Ansprüche gegenüber allen direkten und indirekten Geschäftspartnern durchzusetzen. Schon die Drohung an deutsche Unternehmer, dafür haften zu müssen, „gefährdet Investitionen und die Geschäftstätigkeit in afrikanischen Ländern“.